Politik

Neue EU-Marktordnung: Mehr Anreize für zuckerreiche Lebensmittel

  • Mittwoch, 27. September 2017
/dpa
Mit der Aufhebung der Produktionsquoten können EU-Produzenten Zucker (etwa aus Zuckerrüben) und Isoglukose unbegrenzt auf dem EU-Binnenmarkt absetzen. /dpa

Berlin – Ab dem 1. Oktober 2017 tritt eine neue Zuckermarktordnung in Kraft. Die Verbraucherorganisation foodwatch befürchtet, dass damit die Anreize für die Indus­trie, noch mehr zuckerreiche Lebensmittel zu vermarkten, weiter steigen. Zudem drängt ein äußerst wettbewerbsfähiger Zucker aus den USA auf den deutschen Markt: High Fructose Corn Sirup (HFCS), bekannt als Isoglukose. Auch das Thünen Institut kommt in einer Marktanalyse zu dem Schluss, dass der Gesamtverbrauch von Zucker inklusive     Iso­­glu­ko­se leicht steigen wird. Uneinig sind sich Experten nur darüber, ob der Maissirup im Vergleich zu Saccharose noch gesundheitsschädlicher sein könnte. 

Ab Oktober werden wesentliche Bestandteile der Zuckermarktordnung fallen. Produk­tionsquoten, Mindestabnahmepreise für Zuckerrüben und Exportbeschränkungen gehören dann nicht mehr zum Instrumentarium der EU. Die Entscheidung wurde bereits im Rahmen der Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik am 1. Januar 2014 mit der Verordnung 1308/2013 beschlossen.

Nach dem Ende der Quotenregelung verbleiben auf dem europäischen Zuckermarkt lediglich die Importzölle als Instrument, um die Preise zu stützen, fürchtet das Thünen Institut. Unter Leitung von Martin Banse und Marlen Haß hat das Marktanalyse-Institut die Auswirkung der Abschaffung der EU-Quotenregel untersucht und in der Schriftenreihe der Landwirtschaftlichen Rentenbank publiziert.

Die EU-Zucker­industrie müsste ihre bisherige Verarbeitungs- und Gewinnspanne um etwa 40 Prozent oder 150 Euro pro Tonne reduzieren, um Zucker zum gleichen Preis anbieten zu können wie Isoglukose. Die logische Konsequenz: „Zucker wird als Rohstoff für die verarbeitende Industrie noch billiger und die ohnehin schon hohe Gewinnspanne für hochgradig verarbeitete, zuckerreiche Lebensmittel noch größer“, erläuterte Oliver Huizinga, Experte für Lebensmittelkennzeichnung, Lebensmittelwerbung und Übergewichtsprävention bei foodwatch auf Anfrage des Deutschen Ärzteblatts. Es sei zu erwarten, dass die Lebensmittelindustrie die billige Isoglukose in Europa vermehrt einsetzt, warnt auch die Deutsche Diabetes-Hilfe. „Die Bundesregierung muss in der kommenden Legislaturperiode darauf hinwirken, dass die Lebensmittel nicht süßer werden und der Zuckerkonsum nicht weiter zunimmt – er übersteigt nämlich heute schon die Empfehlung für die maximale Aufnahme um das Doppelte“, sagt Hans-Georg Joost, zuständig für die Themen Wissenschaft und Ernährung im Vorstand der Deutschen Diabetes-Hilfe. Gemeinsam mit medizinischen Fachgesellschaften ruft foodwatch Ärzte dazu auf, einen offenen Brief an die Bundesregierung mit fünf Forderungen für eine gesündere Ernährung zu unterschreiben.

Isoglukose gleichermaßen schädlich wie Saccharose

Während der Agrarwissenschaftler Udo Kienle von der Universität Hohenheim gegenüber der TAZ vor dem „besonders schädlichen“ fruktosehaltigen Sirup warnt, gibt foodwatch Entwarnung: „Ob Softdrinks mit Isoglukose oder Saccharose gesüßt werden, ist aus gesundheitlicher Sicht unerheblich.“ Diese Getränke hätten unabhängig von der verwendeten Zuckerart eine wesentliche Rolle in der globalen Epidemie von Über­gewicht und chronischen Krankheiten.

Auch das Max-Rubner-Institut (MRI) schließt sich dieser Einschätzung an. In einer ernährungsphysiologischen Bewertung des Bundesforschungsinstituts für Ernährung und Lebensmittel zur Auswirkung des Isoglukosekonsums auf die menschliche Gesundheit heißt es: „Der Unterschied im Fruktosegehalt bei den üblicherweise (in den USA) eingesetzten Isoglukose-Varianten im Vergleich zur Saccharose ist gering und ernährungsphysiologisch nicht relevant.“ Die schriftliche Einschätzung soll in Kürze online veröffentlicht werden.

Die Beobachtung von Bray et al., die in erster Linie Isoglukose als Verursacher von Adipositas in den USA sehen, hält das MRI für nicht schlüssig: Vermutlich hänge die Beobachtung von Bray et al. mit einer allgemein höheren Energieaufnahme zusammen, die nicht zuletzt durch den deutlich angestiege­nen Verzehr von gesüßten Getränken verursacht wurde. In seiner ernährungsphysiolo­gischen Bewertung zitiert das MRI diverse Studien, die keinen Unterschied zwischen Saccharose und Isoglukose feststellen konnten (unter anderem: Nutrition 2007, American Journal of clinical nutrition 2007 und 2008, European Journal of Clinical Nutrition 2014).

Unterschiede zwischen Isoglukose und Haushaltszucker

Fruktosereicher Maissirup unterscheidet sich vom Haushaltszucker Saccharose darin, dass die Glukose und Fruktose nicht als Dimere im 1:1-Verhältnis, sondern als Monomere vorliegen – wie übrigens auch in Honig und Invert­zucker. Diese Monosaccharide können direkt aus dem Darm in den Blutkreis­lauf aufgenommen werden. Im Gegensatz zu Glukose löst Fruktose daher eine deutlich geringere Insulin­antwort aus. Deshalb wurde Fruktose auch jahrelang in Diabetikerlebens­mitteln genutzt, bevor die gesundheitlich bedenklichen Auswirkungen bekannt waren.

Nur bei einem unphysiologisch hohen Angebot an Fruktose (> 100 g/Tag) kann sich Fett bilden und in der Leber akkumulieren (European Journal of clinical nutrition 2014). Selbst junge Männer, die den höchsten Verzehr an freien Zuckern haben, konsumieren durchschnittlich nur etwa 100 Gramm pro Tag (17 Prozent der Gesamtenergie). Zudem würde Fruktose, die in Kombination mit Glukose aufgenommen wird, anders verstoffwechselt, als Fruktose allein, gibt das MRI zu Bedenken. In Lebensmitteln liegt Isoglukose üblicherweise in zwei Zusammensetzungen vor: 42:53:5 oder 55:42:3 (Fruktose: Glukose: andere) mit 4 kcal pro Gramm. Das entspricht der Energiedichte von Saccharose, Invertzucker und Honig (siehe Kasten).

Einsatz von Isoglukose technisch auf maximal 30 Prozent beschränkt

In den USA verwenden Lebensmittelhersteller andere Zucker als in Deutschland. Iso­glukose macht in den USA etwa 50 Prozent des Zuckers aus. In Deutschland lag der Anteil von Isoglukose aus marktrechtlichen Gründen bisher bei unter fünf Prozent. Technisch wäre der Einsatz von Isoglukose auf 20 bis 30 Prozent der bisherigen Zuckerverwendung beschränkt.

Welche Lebensmittelunternehmen die neuen Markt­bedingungen nutzen werden und den Anteil von Isoglukose erhöhen, wollte auf Anfrage des Deutschen Ärzteblattes (DÄ) keine Firma preisgeben. Stattdessen betonen alle unisono, dass sie den Zucker in ihren Produkten reduzieren wollen. Nur Unilever und Pepsi wollten ausdrücklich keinerlei Auskunft geben. Die Anfrage nach dem derzeitigen Einsatz von Isoglukose bleibt unbeantwortet.

Antworten der Lebensmittelhersteller zum Einsatz von Isoglukose

Aldi Süd teilt mit: „Wir haben den Einsatz von Isoglukose in Produkten unserer Eigenmarken ausgeschlossen. Daher können wir bestätigen, dass in unseren Getränken und Süßigkeiten keine Isoglukose enthalten ist.“

Hingegen hält sich Aldi Nord bedeckt: „Sofern Isoglukose in einem Produkt verwendet wird, kann dies dem Zutatenverzeichnis entnommen werden. Wir kennzeichnen den Anteil von Isoglukose und Fruktose nicht gesondert in der Nähwerttabelle, da dies gemäß den gesetzlichen Vorgaben der Lebensmittelinformationsverordnung (LMIV) Art. 30 (1) und (2) verboten ist.“

Nestlé Deutschland: „Der Glukose-Fruktose-Sirup Isoglukose ist in Deutschland nur in sehr geringen Mengen (unter drei Prozent) in einem Produkt enthalten, dem Nestlé Nesquik Snack. Isoglukose wird in dem Produkt in sehr geringen Mengen aus technischen Gründen eingesetzt.“ Zu Prognosen zum Rohstoffeinkauf kann Nestlé Deutschland keinen Kommentar geben. Sie verweisen stattdessen auf ihre Policy on Sugar, die das Ziel verfolgt, den Gesamtanteil von Zucker in den Produkten zu senken.

Auch Lidl gab dem Auskunft: „Der Anteil an Glukose-Fruktose-Sirup ist je nach Produktkategorie unterschiedlich und beispielsweise bei unserem ‚Firenze’-Stracciatella-Kuchen mit 0,02 Prozent sehr gering. Ebenso erfolgt dessen Einsatz neben der Süßkraft von Glukose-Fruktose-Sirup vor allem aus technologischen Gründen. Zum Beispiel verhindert der Glukose-Fruktose-Sirup in unserem ‚Crownfield’-Knuspermüsli (Gehalt 1,6 %), dass das Knuspermüsli zu hart wird.  Im ‚Firenze’-Stracciatella-Kuchen ist Glukose-Fruktose-Sirup in den Schokoladenflocken enthalten, damit die Flocken beim Backen nicht zerfließen.“

gie

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