Nicht wegen Streiks erlassen: Nahles verteidigt Tarifeinheitsgesetz

Karlsruhe – Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) hat sich vor dem Bundesverfassungsgericht gegen den Vorwurf gewehrt, die Tarifeinheit auch in Reaktion auf große Streiks gesetzlich geregelt zu haben. „Ich kann das als schlicht falsch zurückweisen“, erklärte die SPD-Politikerin am zweiten Verhandlungstag heute in Karlsruhe. Alleiniger Anlass für die 2015 in Kraft getretene Neuregelung sei die geänderte Rechtsprechung der Arbeitsgerichte gewesen, betonte die Ministerin. Machtkämpfe zwischen Gewerkschaften hätten dadurch zugenommen.
Zuvor hatte der Prozessbevollmächtigte der Flugbegleiter-Gewerkschaft Ufo, Matthias Jacobs, vorgetragen, eigentlicher Zweck sei die Verhinderung von Arbeitskämpfen gewesen. Ende 2014 und Anfang 2015 hatte die Lokführer-Gewerkschaft GDL im Tarifstreit mit der Deutschen Bahn in mehreren Streikwellen den Zugverkehr spürbar beeinträchtigt.
Mit einem Urteil von 2010 hatte das Bundesarbeitsgericht eine jahrzehntelange Praxis nach dem Motto „Ein Betrieb – ein Tarifvertrag“ gekippt. Das neue Gesetz soll nun verhindern, dass einander überschneidende Verträge nebeneinander gelten. Vorgesehen ist, dass im Konfliktfall in dem Betrieb nur der Abschluss mit der mitgliederstärksten Gewerkschaft gilt. Der Unterlegene kann sich allenfalls anschließen und den Vertrag nachträglich unterzeichnen.
Laut Nahles soll der Grundsatz der Tarifeinheit die Gewerkschaften in erster Linie dazu animieren, sich von vornherein über ihre Zuständigkeiten und Positionen abzustimmen. Die Situation, in der das Gesetz der Mehrheit den Vorrang gibt, werde dann gar nicht eintreten.
Die Gewerkschaften befürchten hingegen gravierende Auswirkungen. So brachten Ufo und die Pilotenvereinigung Cockpit vor, dass die einzelnen Berufsgruppen mit ihren Interessen dann möglicherweise gar kein Gehör mehr fänden. So sei für die Piloten zum Beispiel das Thema Gesundheitsschutz zentral. Für die vorwiegend weiblichen Flugbegleiter seien wiederum Teilzeitregelungen wichtiger als Geld.
Die Ärztegewerkschaft Marburger Bund (MB) betonte bereits gestern, die Ärzte stellten im Betrieb immer eine Minderheit dar. In einem Krankenhaus könne der MB maximal 15 Prozent der Beschäftigen organisieren – das sei in der Regel der Anteil der Ärzte an der Belegschaft. Es würde die Gewerkschaft schwer beeinträchtigen, wenn sie nur noch als „Bittsteller“ gesehen würde und bei Tarifverhandlungen nur noch am „Katzentisch“ Platz nehmen dürfte, hieß es.
Der Beamtenbund dbb warnte davor, dass Spartengewerkschaften ihre Zuständigkeiten in Zukunft immer mehr ausweiten könnten, um so Einfluss zu sichern. „Der Flächentarif wird an allen Ecken und Enden durchlöchert“, sagte der Prozessbevollmächtigte Wolfgang Däubler.
Der Erste Senat unter Vizegerichtspräsident Ferdinand Kirchhof verhandelte gestern und heute stellvertretend über Klagen diverser Gewerkschaften. Insgesamt sind elf Verfassungsbeschwerden anhängig (unter anderem Az. 1 BvR 1571/15). Das Urteil ist frühestens in mehreren Monaten zu erwarten .
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