Vermischtes

Noch viel zu tun bei der Prävention psychischer Erkrankungen

  • Mittwoch, 20. September 2023
/Vikky Mir, stock.adobe.com
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Berlin – Bei der Vorbeugung psychischer Erkrankungen steht Deutschland noch ziemlich am Anfang. Die Datenlage zur mentalen Gesundheit ist zudem lückenhaft und zum Teil veraltet. Das Gesundheitssystem ist mehr auf die Behandlung von Krankheiten ausgerichtet, zu wenig auf ihre Vermeidung. Diese Ansichten vertraten Fachleute gestern bei der Online-Veranstaltung „Mentale Gesundheit – Raus aus der Defensive“, veranstaltet von Pfizer Pharma.

Bei der Veranstaltung wurde zunächst der Präventionsindex, der die Präventionsarbeit in Deutschland mess­bar machen soll, vorgestellt. Dafür wurde der Stand einzelner Maßnahmen – beispielsweise von Impfungen oder Vorsorgeuntersuchungen – aus öffentlich zugänglichen Quellen aufgearbeitet und den Zielwerten, die beispielsweise von medizinischen Fachverbänden, dem Bundesgesundheitsministerium oder der WHO definiert sind, gegenübergestellt.

Es gibt sechs Einzelindices: Herzkreislauf, Krebs, Infektionskrankheiten, sexuell übertragbare Krankheiten, Zahngesundheit und eben psychische Gesundheit. Entwickelt wurde der Index von dem Gesundheitsökono­men Wolfgang Greiner, Universität Bielefeld, und Julian Witte, Geschäftsführer der Vandage GmbH.

Eine der Hauptschwachstellen bei der Gesundheitsprävention sei das Fehlen von Zielwerten: zu 71 Prozent der mehr als 300 Präventionskennzahlen im Index existiere kein definierter Zielwert, betonte Witte. „Wenn die Prävention aber besser werden soll, müssen Ziele definiert werden, die dann mit entsprechenden Strategien und Maßnahmen erreicht werden sollen.“

Ein weiteres Problem sei, dass die öffentlich zugänglichen Daten zu Präventionsmaßnahmen zum Teil sehr veraltet seien. „Wir wollen mit dem Präventionsindex Bewusstsein für Gesundheitsvorsorge schaffen und zeigen Potenzial für Verbesserungen auf“, betonte Witte. Der gesundheitsökonomische Nutzen von Prävention sei noch schwierig zu bewerten; man müsse Argumente dafür finden, warum es sich lohnt in Prävention zu investieren.

„Bei der Prävention psychischer Erkrankungen stehen wir noch ziemlich am Anfang. In der Bevölkerung gibt es wenig Wissen, was sie für ihre psychische Gesundheit tun können “, sagte Andrea Benecke, Präsidentin der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK). Präventiv wirksam sei grundsätzlich, sich selbstwirksam zu erleben, sozial eingebunden zu sein und soziale Unterstützung zu erleben.

Die schlechte und veraltete Datenlage sei „ein Armutszeugnis“ für das deutsche Gesundheitssystem. Die ge­samtgesellschaftlichen Kosten von Frühberentungen aufgrund psychischer Erkrankungen könne man sich langfristig nicht mehr erlauben, auch im Hinblick auf den Fachkräftemangel.

„Grundsätzlich müssen wir den Menschen, die mit Präventionsangeboten der Krankenkassen nicht erreicht werden, ein aufsuchendes Angebot machen“, betonte Benecke. Man wisse zum Beispiel, dass sozialökono­misch schwache Menschen sowie Kinder psychisch kranker Eltern ein höheres Risiko für psychische Erkran­kungen haben.

Angebote könnte es auch geben, für Menschen, die einen Platz bei einer Psychotherapeutin oder einem Psychotherapeuten suchen und keinen finden, weil die Kapazitäten bei diesen erschöpft sind. Die Wartezeiten auf Therapieplätze sind seit Jahren lang. „Wir wissen nicht, wie viele Menschen auf diesem Weg verloren gehen“, berichtete Benecke.

Wichtig findet die BPtK-Präsidentin auch, die U- und J-Untersuchungen bei Kinderärzten in Bezug auf die Erfassung von psychischen Belastungen anzupassen. „Gerade im Jugendalter ist das wichtig, weil man dann früh eingreifen kann“, sagte sie.

Für sinnvoll hält sie auch ein Gesundheitsfach Gesundheitsvorsorge sowie aufsuchende Maßnahmen am Arbeitsplatz im Rahmen eines betrieblichen Gesundheitsmanagements. Zudem müssten Präventionsprojekte, die gut laufen, verstetigt werden; es gebe dahingehend keine Nachhaltigkeit.

„Wir müssen in die Kitas, Schulen, Universitäten und in die Arbeitswelt, um die Menschen zu erreichen“, sagte Matthias Albers, Abteilungsleiter soziale Psychiatrie beim Gesundheitsamt der Stadt Köln. Für die Schulen sei das Modellprogramm der Bundesregierung eine gute Initiative.

An rund 100 Schulen werden „Mental Health Coaches“, also Sozialpädagogen, künftig Wissen über psychische Gesundheit vermitteln sowie über vertiefende Hilfs- und Beratungsangebote informieren. „Wir brauchen die­ses Angebot aber an viel mehr Schulen und mit mehr Fachkräften“, forderte Albers.

Bei den Studierenden sei die Abbruchquote aufgrund psychischer Erkrankungen enorm angestiegen. Hier könne mit Unterstützungsangeboten an den Universtäten gegengesteuert werden. In der Arbeitswelt sollten die Abläufe so gestaltet werden, dass „kein unnötiger Stress auftritt“, erklärte der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie weiter.

Auch die angespannte Situation am Wohnungsmarkt und ökonomische Sorgen führten zu Stress bei vielen Menschen. Entsprechendes politisches Gegensteuern sei auch eine Form von Prävention psychischer Erkran­kungen. Die von der Bundesregierung anvisierten Gesundheitskioske sind nach Ansicht von Albers ebenfalls ein guter Ansatz, um Menschen niederschwellig zu erreichen und psychischen Erkrankungen vorzubeugen.

Von Seiten der Politik beziehungsweise der Opposition, kritisierte Diana Stöcker (CDU/CSU), Mitglied im Ge­sundheitsausschuss, dass der Blick im Gesundheitswesen eher auf die Behandlung von Erkrankungen ge­rich­tet sei, weniger auf Prävention.

„Wir vergüten die Heilung von Krankheiten, wir vergüten aber keine Beratungsgespräche zur Gesundheits­vorsor­ge.“ Man brauche hier einen anderen Ansatz. Als wenig zielführend bezeichnete sie darüber hinaus, dass die Gelder für Prävention zurzeit im Haushalt des Bundesgesundheitsministeriums reduziert würden.

PB

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