Ärzteschaft

Psychotherapeutische Versorgung: Bedarfsgerechter Ausbau angemahnt

  • Donnerstag, 13. Juli 2023
/RFBSIP, stock.adobe.com
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Berlin – Die Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) hat im Rahmen einer Pressekonferenz ein Konzept zur Weiterentwicklung der ambulanten psychotherapeutischen Versorgung vorgestellt. Mit dem vorgeschlagenen Maßnahmenbündel sollen gezielt die Wartezeiten auf eine Psychotherapie in ländlichen und strukturschwa­chen Regionen und in der Versorgung von Kindern und Jugendlichen abgebaut werden.

Zusätzlich soll für Patienten, die einen besonderen Unterstützungsbedarf haben, der Zugang zur psychothera­peutischen Versorgung erleichtert werden. „Psychische Erkrankungen sind eine Volkskrankheit. Rund 20 Millio­nen Menschen erkranken jährlich daran“, sagte Andrea Benecke, Präsidentin der BPtK.

Sie wies darauf hin, dass die Behandlungsleitlinien Psychotherapie bei den meisten psychischen Erkrankun­gen als Behandlungsmethode der ersten Wahl empfehlen. „Doch unsere Auswertungen zeigen eine durch­schnittliche Wartezeit von 142 Tagen zwischen der ersten Sprechstunde und dem Beginn der eigentlichen Psychotherapie – das ist viel zu lang“, monierte sie.

Die letzten Änderungen an der Bedarfsplanung seien unzureichend gewesen. „Wir fordern eine Absenkung der Verhältniszahlen in der psychotherapeutischen Bedarfsplanung um mindestens 20 Prozent“, so Benecke. Auf diese Weise würden 1.600 neue Kassensitze entstehen, 87 Prozent davon in strukturschwachen Gebieten wie Ostdeutschland und in der Sonderregion Ruhgebiet.

„Ausgerechnet in der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie fehlen besonders viele Therapieplätze. Die Praxen sind überlaufen. Am besten für Kinder und Jugendliche ist aber die ambulante Versorgung, eingebettet in ihre Lebenswelten der Kinder“, erklärte Cornelia Metge, Beisitzerin im Vorstand der BPtK und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin.

Unbehandelte oder zu spät behandelte psychische Erkrankungen im Kindesalter könnten im schlimmsten Fall das gesamte Leben beeinflussen – mit allen negativen Folgen für die soziale, schulische und berufliche Teil­habe.

„Wir fordern deshalb, dass über die Absenkung der Verhältniszahlen in der Bedarfsplanung auch mehr Sitze für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie geschaffen werden und künftig in einer eigenen Bedarfspla­nungs­gruppe geplant werden. Kinder brauchen kurze Wege in die Praxen“, sagte Metge. Zusätzlich seien auf­suchende Angebote und sektorenübergreifende Unterstützung für psychisch kranke Kinder und Jugendliche sowie ihre Familien besonders wichtig.

Darüber hinaus müsse die Gruppenpychotherapie, die für Kinder und Jugendliche besonders gut geeignet sei, weiter gestärkt werden, forderte die BPtK-Vorständin. „Aber es ist insbesondere in ländlichen Regionen schwierig, ausreichend Kinder zu finden, die in dieselbe Behandlungsgruppe passen. Außerdem sagen Kinder häufiger Termine ab, weil sie krank sind oder weil ihre Eltern sie nicht zur Therapie bringen können.“ Deshalb sei es notwendig, die Gruppengröße von jetzt drei auf zwei junge Patientinnen und Patienten zu reduzieren, sagte Metge.

Zudem fehle immer noch das Angebot einer ambulanten Komplexversorgung für Kinder und Jugendliche mit entsprechendem Versorgungsbedarf. „Die Frist, die der Gesetzgeber für die Erarbeitung der entsprechenden Richtlinie gesetzt hat, ist schon 2,5 Jahre verstrichen“, kritisierte sie. Die Fehler der Erwachsenenrichtlinie dürften zudem nicht wiederholt werden.

„Armut macht krank, auch psychisch krank. Darunter leiden Kinder besonders“, betonte Wolfgang Schreck, Beisitzer im BPtK-Vorstand und Leiter Jugendamtes Gelsenkirchen. In der Stadt im Ruhrgebiet lebten 42 Prozent der Kinder in Bedarfsgemeinschaften.

Die Eltern verfügten über geringe Bildung, bei Menschen mit Migrationshintergrund kämen auch noch Sprach­­probleme hinzu. „Hier braucht es eine aufsuchende Versorgung, mobile Angebote, wie Busse, die in die Quartiere fahren. Am besten sollten solche Angebote muttersprachlich ausgerichtet sein“, erklärte Schreck.

Ungünstig sei auch, dass die Leistungen der verschiedenen Sozialgesetzbücher nicht aufeinander abgestimmt sind. „Das überfordert viele Menschen“, betonte der Jugendamtsleiter. „Die Versorgung muss für alle Hand in Hand gehen, die Akteure sich vernetzen.“ Primärversorgungszentren könnten die Angebote insbesondere für sozial benachteiligte Menschen hingegen zugänglicher machen. „Menschen in Armut und deren Kinder brauchen mehr Unterstützung.“, betonte Schreck.

Die BPtK spricht sich weiter dafür aus, die Versorgung von Patienten mit schweren psychischen Erkrankungen, länger andauernder Arbeits- oder Schulunfähigkeit und nach Krankenhausbehandlung zu verbessern. „Die Hürden der Richtlinie zur ambulanten Komplexversorgung müssen beseitigt werden, damit mehr Patienten mit komplexen psychischen Erkrankungen von diesem Angebot profitieren können“, sagte BPtK-Vizepräsident Nikolaus Melcop. „Die Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschuss ist missglückt. Das wird ein Rohrkrepierer“, urteilte er.

„Außerdem sollte nach der Entlassung aus dem Krankenhaus die Bereitstellung einer ambulanten Anschluss­behandlung gesetzlich gefördert werden.“ Sinnvoll sei es darüber hinaus, wenn Patienten bereits während eines Krankenhausaufenthalts Sprechstunden bei niedergelassenen Psychotherapeuten in Anspruch nehmen könnten. Das würde den Übergang erleichtern.

„Es ist wichtig, dass auch der niedrigschwellige Zugang gestärkt wird. Psychische Erkrankungen gehören zu den häufigsten Beschwerden, mit denen Patienten eine Hausarztpraxis aufsuchen und auch in Kinderarztpra­xen spielen Entwicklungsstörungen und psychische Beschwerden eine wesentliche Rolle“, erklärte Sabine Maur, Vizepräsidentin der BPtK.

Die psychotherapeutische Versorgung müsse deshalb systematisch in die geplanten Primärversorgungs­zent­ren einbezogen werden. Dort sollte dann eine schnelle differenzialdiagnostische Abklärung für Menschen mit psychischen Beschwerden erfolgen, sowie Prävention angeboten werden.

„Wir greifen mit unseren Forderungen entsprechende Ziele des Koalitionsvertrags der Bundesregierung auf“, betonte BPtK-Präsidentin Benecke. Damit die Verbesserungen die Patienten noch in dieser Legislaturperiode erreichen, forderte sie die Politik auf, die Vorschläge schnellstmöglich in Gesetzesreformen zu berücksich­tigen.

PB

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