Organmangel trotz langsam steigender Spenderzahlen

Würzburg/Berlin – Die prekäre Situation der Organspende in Deutschland entspannt sich – von Entwarnung kann jedoch keine Rede sein. Zwar steigen nach Angaben der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) die Organspendezahlen in diesem Jahr nach dem unerwarteten Rückgang von 2022 wieder, sie haben aber nur das niedrige Niveau von 2018 erreicht. Rund 8.500 schwer kranke Patienten warten nach wie vor dringend auf ein Spenderorgan.
„Der Aufwärtstrend, den wir bereits zur Mitte dieses Jahres sahen, hat sich weiter fortgesetzt“, sagte Axel Rahmel, Medizinischer Vorstand der DSO, zur Eröffnung des DSO-Jahreskongresses, der heute und morgen in Würzburg stattfindet.
„Diese Zahlen sollten aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass gerade in Deutschland immer noch ein eklatanter Mangel an Spenderorganen herrscht“, betonte er. Mit Blick auf die schwer kranken Patienten auf den Wartelisten könne, dürfe und wolle man sich nicht mit dem erreichten Niveau abfinden.
Konkret wurde von der DSO in den vergangenen zehn Monaten eine Steigerung der Spendezahlen von etwa elf Prozent gegenüber dem Vergleichszeitraum in 2022 registriert. Es gab es von Januar bis Oktober in den rund 1.200 Entnahmekrankenhäusern 788 postmortale Organspenderinnen und Organspender.
Die Summe der in Deutschland entnommenen Organe, die über die internationale Vermittlungsstelle Eurotransplant allokiert und schließlich in Deutschland oder im Ausland transplantiert werden konnten, beträgt 2023 bisher 2.381 (Vorjahreszeitraum: 2.180). Transplantiert wurden hierzulande in diesem Jahr 2.480 Organe aus dem Eurotransplantverbund (Vergleichszeitraum: 2.294). „Deutschland ist immer noch ein Organ-Importland“, verdeutlichte Rahmel.
Dass Deutschland im internationalen Vergleich nach wie vor ein Schlusslicht bei der Organspende bilde, prangerte auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) an, der mit einem Videobeitrag am DSO-Jahreskongress teilnahm.
„Das ist beschämend und für die betroffenen Patientinnen und Patienten ist es lebensbedrohlich“, sagte er. Persönlich habe er sich für einen „echten Paradigmenwechsel“ im deutschen Organspendesystem im Sinne einer Widerspruchslösung stark gemacht¸ bei der die Menschen einer Organspende zu Lebzeiten ausdrücklich widersprechen müssten, sofern sie diese nicht wollten.
Diese Initiative sei leider im Bundestag gescheitert. Nichtsdestotrotz gelte es jetzt, an einem Strang zu ziehen und alle Möglichkeiten und Verbesserungen, die das Gesetz zur Stärkung der Entscheidungsbereitschaft in der Organspende biete, auch zu nutzen.
Lauterbach verwies dabei insbesondere auf das geplante und beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) angesiedelte digitale Organspende-Register, das Anfang kommenden Jahres starten soll.
2020 wurde es mit dem Gesetz zur Stärkung der Entscheidungsbereitschaft bei der Organspende beschlossen. Bürger sollen dort ihre Einstellung zur Organspende festhalten können, die im Akutfall von den Krankenhäusern abgerufen werden können. „Wir müssen jetzt gemeinsam für das Eintragen in das Register werden“, so Lauterbach.
Auch Rahmel betonte die Bedeutung der Kenntnis der Einstellung zur Organspende. Es sei positiv, dass die Krankenhäuser bereits jetzt mehr mögliche Organspender erkennen würden als zuvor und auch die Transplantationsbeauftragten mehr Angehörige kontaktieren würden. Dennoch seien von den gemeldeten potenziellen Organspenden nur ein Drittel realisiert worden. „Rund die Hälfte scheiterte an einer fehlenden Zustimmung“, erklärte er. Eine schriftliche Willensbekundung hätte nur bei 15 Prozent der möglichen Organspenden vorgelegen.
„Eine Widerspruchslösung würde es einfacher machen“, so Rahmel. Denn wenn die Angehörigen anhand des mutmaßlichen Willens oder gar aufgrund ihrer eigenen Wertvorstellungen entscheiden müssten, sinke die Zustimmungsrate deutlich- und dies, obwohl Umfragen immer wieder zeigen, dass die Mehrheit der Bevölkerung hinter der Organspende stehe.
Das Parlament hatte sich jedoch für vermehrte Aufklärung der Bevölkerung und den Aufbau eines digitalen Organspende-Registers zur Stärkung der Entscheidungsbereitschaft entschieden. Das Register sei grundsätzlich eine gute Idee, um im Akutfall besser auf den Willen der Menschen zuzugreifen können - wohl wissend, dass es mit einigen Hürden versehen sei, so Rahmel.
Die Bevölkerung müsse sich aber tatsächlich mit der Frage der Organspende auseinandersetzen und eine Entscheidung treffen und dokumentieren. Dies sei wiederum abhängig davon, wie leicht das Register zugänglich sein werde. Momentan sei es ein „komplexer Weg“, seinen Willen registrieren zu lassen, sagte der DSO-Vorstandsvorsitzende. Der Aufbau des Registers, das eigentlich hätte schon längst in Betrieb sein sollen, sei ein „Balanceakt zwischen Datenschutz und Umsetzung“.
Dennoch müsse man positiv mit den neuen gesetzlichen Regelungen umgehen und sich darum kümmern, dass das Organspenderegister funktioniert“, sagte heute Gerald Gaß, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG). „Es ist unsere gemeinsame Verantwortung, alles dafür zu unternehmen, dass es gelingt, den gesamten Organspendeprozess vertrauensvoll und effizient zu gestalten. Das sind wir den
Menschen, die auf ein Spenderorgan warten, schuldig.“ Die Entnahmekrankenhäuser hätten dabei eine Schlüsselstellung.
Dessen und der daraus folgenden Verantwortung seien sich die Krankenhäuser auch bewusst, betonte Gaß. „DSO und Entnahmekrankenhäuser arbeiten Hand in Hand. Wir wollen die Dinge, die möglich sind, auch möglich machen.“ Dass die Organentnahmekrankenhäuser zur Anbindung an das Register für Erklärungen zur Organ- und Gewebespende ausdrücklich verpflichtet werden sollen, wie es in einem Änderungsantrag zum Gesetz zur Beschleunigung der Digitalisierung des Gesundheitswesens heißt, hält Gaß mehr oder weniger für unnötig. „Ich halte es für eine Selbstverständlichkeit“, sagte er.
Das „Onboarding“ der Krankenhäuser an das Register sei seit September möglich, erklärte Stefanie Weber, Leiterin der Abteilung „Register“ beim BfArM. Bislang hätten sich jedoch nur etwa fünf Prozent der Entnahmekrankenhäuser angemeldet. Sie ermutigte die Kliniken auf dem DSO-Kongress, sich mit dem neuen Prozedere vertraut zu machen.
Eine Hotline sowie Filme, die den Workflow einfach erklärten, stünden ab sofort zur Verfügung. Transplantationsbeauftragte der Kliniken berichteten indes auf dem Kongress von großen Problemen bei der Registrierung, die alles andere als „niedrigschwellig“ sei. Hier bestehe noch viel Handlungsbedarf, um das Sytem praktikabel zu gestalten.
Es komme darauf an, jede Möglichkeit zu prüfen, um Prozesse bei der Organspende zu optimieren, sagte Rahmel. Dazu gehöre auch, insbesondere technische Neuerungen einzusetzen, die ermöglichten, mehr Spender zu erkennen und/oder die Organqualität sowie letztendlich auch die Empfängersicherheit zu erhöhen.
Einige davon werden heute und morgen auf dem Kongress vorgestellt und diskutiert: Beispielsweise unterstütze das Open Source Tool DETECT Transplantationsbeauftragte bei der systematischen Identifizierung von möglichen Organspendern auf der Intensivstation. Retrospektive Todesfallanalysen in Entnahmekrankenhäusern mit dem Programm DSO-TransplantCheck hätten zudem gezeigt, dass durch rechtzeitiges Erkennen mehr Spenden realisiert werden können, erläuterte Rahmel.
Entscheidend für die Empfänger sei aber auch insbesondere die Qualität der zu transplantierenden Organe. Hilfreich sei diesbezüglich die Fotodokumentation von zur Transplantation entnommenen abdominellen Organen, die mittlerweile bundesweit als Standard vorgesehen sei. Ein Pilotprojekt („FoQuex-Studie, Fotodokumentation zur Qualität explantierter Organe“) in der DSO-Region Mitte zeige vielversprechende Ergebnisse.
Eine weitere vielversprechende Option, die Zahl und die Qualität der zu transplantierenden Organe zu steigern, sei der Einsatz der Maschinenperfusion. „Dieses Verfahren kann entscheidend zur Verbesserung der Überlebenschancen der Empfängerinnen und Empfänger von Organen beitragen“, betonte Thomas Biet, Kaufmännischer Vorstand der DSO.
Die Maschinenperfusion ermögliche nicht nur eine Verlängerung der Zeitspanne zwischen Entnahme und Transplantation, sondern auch eine bessere Evaluation und möglicherweise Behandlung der entnommenen Organe vor einer Organübertragung. Konkret kann die Maschinenperfusion die Ischämie und den Reperfusionsschaden eines Organs drastisch minimieren, da es nicht ohne Sauerstoff und Nährstoffversorgung aushalten muss.
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