Organtransplantation: Neue Möglichkeiten bleiben in Deutschland ungenutzt

Berlin/Köln – Nirgendwo in Europa rettet Organspende so wenig Leben wie in Deutschland. Den weiteren Abwärtstrend in Deutschland bestätigen auch die neuesten Spendezahlen. Die ausbleibende Aufregung darüber kritisierte kürzlich Rainer Blasczyk, Kongresspräsident der 56. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Transfusionsmedizin und Immunhämatologie (DGTI). Er ist der Ansicht, dass man sich in Deutschland an den Abwärtstrend bereits gewöhnt habe.
Pessimistisch äußerte er sich auch bezüglich neuer Techniken: Obwohl Tests für die Verträglichkeitsbewertungen von Organspenden immer präziser und moderner werden, würden sie für die Patientinnen und Patienten hierzulande keinen Fortschritt bringen, so Blasczyk. „Denn in Deutschland müssen Patienten nehmen, was sie kriegen können, egal wie schlecht die Verträglichkeit ist.“
Auch die Möglichkeit einer Cross-over-Lebendspende, die in vielen Ländern bereits erlaubt sei, bliebe in Deutschland weiterhin verboten, kritisierte der Leiter des Instituts für Transfusionsmedizin und Transplantat Engineering an der Medizinischen Hochschule Hannover. Für diese Option sprach sich heute auch die nephrologische Fachgesellschaft (DGfN) auf ihrer Kongress-Pressekonferenz aus.
Blasczyk wies auf Defizite bei der Organtransplantation im Fall von Leber- und Lungenspenden, aber auch bei Lebendspenden für Nierentransplantationen hin. „Die Mortalitätsraten auf den Wartelisten für Leber und Lunge sind im Vergleich zu anderen Eurotransplant-Ländern sogar mehr als doppelt so hoch.“
Das geht aus der Eurotransplant-Statistiken hervor, beispielsweise aus dem Jahre 2022. Im Gegensatz zur Dialysetherapie bei Niereninsuffizienz gibt es für diese Organe keine Ersatztherapie.
Hinzu kommt, dass vor allem bei der Lebertransplantation auch die Überlebensraten der transplantierten Empfänger niedriger sind als im europäischen Ausland.
„Das liegt daran, dass die Organknappheit bedingt, dass jeweils nur die Schwerstkranken mit den schlechtesten Prognosen transplantiert werden können“, erläuterte Blasczyk. Immer wieder wird der Konflikt zwischen Dringlichkeit und Erfolgsaussicht diskutiert.
Ein Ausweg wäre die Lebendspende – zumindest für die Nierentransplantation. „Aber genau hier geht die Problematik weiter: Die Qualität der Nierenlebendtransplantationen ist in Deutschland nicht gut, da sie mit besonders vielen Mismatches verbunden ist“, erklärte Blasczyk. Den Grund dafür sieht der Experte im veralteten Transplantationsrecht in Deutschland, welches ein Näheverhältnis (Verwandte, Partner) zwischen Spender und Empfänger verlangt.
Die Lebendorganspende ist in Deutschland nach Paragraf 8 des Transplantationsgesetzes (TPG) an strenge Voraussetzungen geknüpft, da sie für gesunde Spender und Spenderinnen keinen Heileingriff darstellt und mit Risiken verbunden ist. So müssen Spendende unter anderem mit dem Empfangenden besonders persönlich verbunden sein.
„Im Vordergrund steht also die Frage nach dem Verwandtschaftsverhältnis und nicht die Fragen, welche Spenderniere am besten zum Empfänger passt“, so der Transfusionsmediziner. Daher müsse er regelmäßig bei Kindern Ersttransplantationen mit Nieren eines der beiden Elternteile genehmigen, in dem Wissen, dass in zehn Jahren eine „äußerst schwierige Retransplantation“ anstehen wird, berichtete Blasczyk.
Im Jahr 2021 gab es bereits eine Überarbeitung der Richtlinie für die Wartelistenführung und Organvermittlung zur Nierentransplantation durch die Ständige Kommission Organtransplantation der Bundesärztekammer. Das Ziel war es, einzelne Wartelistenpatientengruppen zu verschieben. Mehr Spenderorgane oder weniger Wartelistenpatienten waren nicht zu erwarten, wie das Deutsche Ärzteblatt (DÄ) berichtet hat.
DGTI und DGfN plädieren für Cross-over-Spende
Abhilfe könnte indes die Cross-over-Spende ermöglichen, die in Deutschland nicht erlaubt ist. In Ländern mit modernerem Transplantationsrecht hingegen ist sie eine Selbstverständlichkeit. Dabei werden die lebend gespendeten Organe so verteilt, dass ein bestmöglicher Match für die Patienten erreicht wird, so dass das neue Organ möglichst gut vom Transplantierten angenommen und eine Abstoßung unwahrscheinlicher wird.
„Diese Option sollte niemandem verwehrt werden“, findet auch Julia Weinmann-Menke, Pressesprecherin der DGfN. Dennoch könne die Cross-over-Spende das Problem des Organmangels nicht grundsätzlich lösen. „Rechnet man die Erfahrungen aus den Niederlanden und England auf Deutschland hoch, könnte man pro Jahr bis zu 150 weitere Nierenlebendspenden realisieren. Um eine wirkliche Trendwende zu erreichen, benötigt man aber mindestens 500 Organe mehr pro Jahr.“
Vor zwei Jahren sprach sich auch bereits der 125. Deutsche Ärztetag mehrheitlich dafür aus, den Kreis der Spendenden bei der Lebendorganspende auszuweiten. Aus Sicht des Ärzteparlaments sollte die Cross-over-Lebendspende künftig auch in Deutschland ermöglicht werden.
Dazu wären gesetzliche Neuregelungen erforderlich. Konkret müsste § 8 Absatz 1 des TPG erweitert werden, damit ein Spender-Empfänger-Paar mit einem geeigneten zweiten Paar vereinbaren kann, dass zwei Lebendorganspenden kreuzweise durchgeführt werden. Das DÄ hat darüber berichtet:
Neue Techniken sollen Retransplantationen reduzieren
Solange die Cross-over-Spende in Deutschland verboten ist, gibt es nur die Alternative, die Abstoßungsreaktion zu unterdrücken und somit die Retransplantationen zu reduzieren. Auf der diesjährigen Tagung der DGTI werden dazu zwei neue Ansätze für die Vermeidung einer Organabstoßung präsentiert.
Bei der ersten Innovation werden die Spenderorgane noch außerhalb des Körpers gentechnisch verändert. So konnten Forschende um Blasczyk in Minischweinen verhindern, dass das Immunsystem des Empfängertiers das neue Organ als fremd erkennt und angreift (Transfus Med Hemother; DOI: 10.1159/000525886; VS16-4). Dies sei ein vielversprechender Ansatz, der derzeit über eine klinische Studie in die Anwednung gebracht werden soll, so der Kongresspräsident.
Auch an der zweiten Technik war Blasczyk beteiligt. Sie wurde beim Kongress der European Society of Organ Transplantation (ESOT) vorgestellt. Sie löst das Problem der Antikörper-vermittelten Abstoßung, welche für die Mehrzahl der späten Organverluste verantwortlich ist.
Dazu wurden in einer Proof-of-Concept-Studie in vitro und in vivo patienteneigene Immunzellen durch gentechnische Veränderung in T-Killerzellen umgewandelt (Transfus Med Hemother DOI: 10.1159/000533306; VS-22). Die sogenannten CORA-Ts können passgenau Zellen des Immunsystems eliminieren, die ansonsten Antikörper gegen das Transplantat bilden würden. Alle anderen Antikörper-produzierenden Zellen bleiben dabei verschont, so dass das Immunsystem des Empfängers voll funktionstüchtig bleibt.
„Beide Verfahren haben das Potential, den Organmangel durch weniger Retransplantationen etwas zu beseitigen und sie können die Lebensqualität der Patientinnen und Patienten verbessern“, ist Blasczyk überzeugt.
Widerspruchslösung als einzige Option
Mehr Spenderorgane bekomme Deutschland aber nur, wenn hierzulande wie auch in anderen Ländern, die Widerspruchslösung einführt werden würde. Solange sich hierfür keine Mehrheit findet, sollte zumindest die Cross-over-Spende ermöglicht werden, so das Fazit des DGTI-Kongresspräsidenten.
Auch die DGfN hofft, dass die zuletzt gescheiterte Widerspruchslösung erneut diskutiert wird. Wie viele andere Fachgesellschaften, fordern die Nephrologen seit Jahren die Widerspruchslösung. „Andere Optionen können sicher ergänzend sinnvoll sein, greifen aber zu kurz“, so Weinmann-Menke und weiter: „Wenn bei uns der Anteil der Spenden nach Hirntod allein durch die Widerspruchslösung von 25 auf 40 Prozent steigen würde, kämen wir in den Bereich, dass wir fast so viele Spenderorgane haben, wie benötigt werden.“ Ein ähnlicher Anstieg konnte in den Niederlanden und in England nach Einführung der Widerspruchslösung beobachtet werden (Transpl Int; DOI: 10.3389/ti.2022.10466).
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