Praxissterben und Fachkäftemangel: KV Berlin besorgt

Berlin – Die Kassenärztliche Vereinigung Berlin (KV) warnt vor einer baldigen hausärztlichen Unterversorgung in der Hauptstadt. Auch bei Frauen-, Haut-, Augen- und Hals-Nasen-Ohren-Ärzten steuere Berlin in einzelnen Bezirken bereits auf eine Unterversorgung zu.
Noch herrsche kein akuter Notstand, aber insbesondere in den beiden östlich gelegenen Bezirken Lichtenberg, Marzahn-Hellersdorf und Treptow-Köpenick sei die Versorgung bereits schlecht; dicht gefolgt von Reinickendorf im Norden und Spandau im äußersten Westen der Stadt.
Noch sei die Versorgung generell gut aufgestellt, aber das werde sich mit dem kommenden Renteneintritt sehr vieler Ärztinnen und Ärzte sowie Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten in der Hauptstadt schon bald ändern, hieß es.
„Wir merken das daran, dass wir jetzt schon bestimmte KV-Sitze nicht besetzt bekommen“, erklärte der Vorstandsvorsitzende Burkhard Ruppert heute in Berlin. Insbesondere an den Rändern der Stadt gebe es „noch keine reale, aber eine gefühlte Unterversorgung“.
Auch das Förderprogramm der KV wirke zwar, habe die Not bisher aber nur leicht lindern, nicht beheben können. Seit vergangenem Jahr können Hausärzte für eine Neuniederlassung von der KV eine Erstattung von Investitionskosten bis zu 60.000 Euro bei voller Zulassung erhalten, bei einer Praxisübernahme bis zu 20.000 Euro. Bei Zweigpraxen ist eine einmalige Anschubfinanzierung von bis zu 40.000 Euro möglich.
Dennoch gebe es derzeit allein in der hausärztlichen Versorgung 140 offene Sitze in Berlin. Diese Zahl dürfte schon allein aus demographischen Gründen bald weiter steigen: Mehr als die Hälfte der in Berlin ambulant tätigen Ärzte und Psychotherapeuten sei 55 Jahre und älter. Bei den Praxisinhabern seien es sogar 61 Prozent.
Insbesondere unter den Hausärzten sei der Anteil der über 60-Jährigen mit 36 Prozent hoch. 249 Hausärzte und 435 Psychotherapeuten würden nach wie vor praktizieren, obwohl sie bereits über 70 Jahre alt sind. Insgesamt gibt es in der Hauptstadt 5.776 Praxen, in denen laut KV derzeit 10.393 Ärzte und Psychotherapeuten auf rechnerisch 8.173 Stellen arbeiten.
Von den 2.300 Hausärzten in der Hauptstadt könnten 800 in den kommenden Jahren altersbedingt in den Ruhestand gehen, erklärte Vorstandsvizin Christiane Wessel: „Die Alterspyramide steht auf dem Kopf. Und dieser Pyramideneffekt ist in einem Beruf besonders dramatisch, der sich um eine Bevölkerung kümmern muss, die gleichzeitig immer älter und multimorbider wird.“
Hinzu kämen weitere Trends wie der zur Teilzeit oder der zur Anstellung sowie der Fachkräftemangel. Mittlerweile würde jeder vierte Versorgungsauftrag in Berlin von angestellt tätigen Ärzten übernommen, vor fünf Jahren waren es noch 18 Prozent.
Auch sei die Zahl der Ärzte in Berlin zwar von 2018 bis 2023 von 9525 auf 10.393 gestiegen, die Summe der Ärzte nach Vollzeitäquivalent sei im selben Zeitraum aber nur von 8091 auf 8173 gewachsen. Der Anteil der Ärzte und Psychotherapeuten, die mit einem halben Versorgungsauftrag tätig sind, stieg währenddessen von 23 auf 31 Prozent.
Der Fachkräftemangel wiederum mache sich vor allem bei den Medizinischen Fachangestellten (MFA) bemerkbar. „Jede zweite Kraft in Berliner Praxen ist keine gelernte MFA mehr, sondern kommt aus Branchen wie Hotel oder Einzelhandel und wurde angelernt“, erklärte Ruppert. Mehr als die Hälfte der Praxen berichte außerdem laut einer Umfrage der KV davon, dass sie derzeit offene Stellen hätten und die Suche schwierig sei.
Hier erkenne man insbesondere die Benachteiligung des ambulanten Sektors. Viele MFA würden in Richtung Kliniken, Krankenkassen oder Behörden abwandern, wo die Bezahlung besser sei. Dabei würden die meisten Praxen in Berlin bereits übertariflich bezahlen, wären damit aber aufgrund der unzureichenden Finanzierungssituation bereits an der Belastungsgrenze.
So müsse die Budgetierung abgeschafft werden. In Berlin würden wegen dieser Deckelung im Schnitt 20 Prozent der erbrachten Leistungen nicht vergütet. Neben allen nötigen Strukturreformen brauche es aber kurzfristig vor allem mehr Geld. Inflation und Preissteigerungen hätten den Praxen jüngst schwer zu schaffen gemacht. Die Verhandlungen zum Orientierungswert für die Honorarerhöhungen würden sich jedoch am Wert von vor zwei Jahren orientieren.
„Wir fordern deshalb, dass diese Zweijahresregelung dann ausgesetzt wird, wenn sich die Rahmenbedingungen so massiv verändern wie im Moment“, erklärte Ruppert. „Die 2,1 Prozent Erhöhung, die der GKV-Spitzenverband in den Honorarverhandlungen bietet, bewegen sich im Bereich der Unverschämtheit.“ Bei solchen Angeboten müsse man sich fragen, ob nicht versucht werde, das System absichtlich an die Wand zu fahren.
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