Politik

Qualitätssicherung in der Psychotherapie wird in Nord­rhein-Westfalen erprobt

  • Freitag, 19. Januar 2024
Psychotherapie
/zinkevych, stock.adobe.com

Berlin – Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat beschlossen, das geplante neue datengestützte Qualitätssicherungs(QS)-verfahren in der ambulanten Psychotherapie ab 2025 in Nordrhein-Westfalen (NRW) zu erproben.

Der regional begrenzte Testlauf sei notwendig, bevor das neue QS-Verfahren, das das bisherige Antrags- und Gutachterverfahren in der Psychotherapie ablösen soll, bundesweit etabliert werde. „Über einen Zeitraum von sechs Jahren soll nun geprüft werden, ob die vorgesehenen technischen, organisa­to­rischen und inhaltlichen Aspekte bereits aussagekräftig sind“, hieß es aus dem G-BA.

Das QS-Verfahren müsse geeignet sein, in einem guten Aufwand-Nutzen-Verhältnis belastbare Aussagen zur Versorgungsqualität zu gewinnen und Verbesserungsbedarfe aufzuzeigen. Geregelt ist das Verfahren in der Richtlinie zur datengestützten einrichtungsübergreifenden Qualitätssicherung (DeQS-RL).

„Pro Quartal nehmen in Deutschland rund 1,5 Millionen Patientinnen und Patienten ambulante psychothera­peutische Leistungen in Anspruch“, sagte Karin Maag, unparteiisches Mitglied des G-BA und Vorsitzende des Unterausschusses Qualitätssicherung.

Es gebe circa 38.000 niedergelassene Leistungsanbieter, deren Behandlungsspektrum zudem verschiedene wissenschaftlich anerkannte Verfahren umfassen könne. „Das QS-Verfahren ambulante Psychotherapie wird eine deutlich größere Anzahl von Leistungserbringern betreffen als bisherige Verfahren der datengestützten Qualitätssicherung in der somatischen Medizin.“

Um die Versorgungsqualität transparent zu machen und wo nötig zu verbessern, würden künftig Daten so­wohl aus fallbezogenen Dokumentationen als auch aus Patientenbefragungen erfasst. „Entsprechend aufwen­dig und zeitintensiv waren die Entwicklungsschritte“, so Maag. Der Teilnehmerkreis in Nordrhein-Westfalen sei groß genug, um sicher zu stellen, dass auch Softwareanbieter ein Interesse daran hätten, sich an der Erpro­bung zu beteiligen, hofft sie.

Die Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) und psychotherapeutische Berufsverbände sehen die Einfüh­rung des QS-Verfahrens kritisch. „Das geplante QS-Verfahren wird keinen Nutzen für die Patienten bringen und gleichzeitig dringend benötigte Behandlungskapazitäten binden“, betonte BPtK-Vizepräsident Nikolaus Melcop. „Der bürokratische Aufwand bei den Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten, aber auch für das gesamte Verfahren ist enorm und wird auch in der Erprobung hohe Kosten verursachen.“

Auch der G-BA habe diese Problematik erkannt, glaubt Melcop. Die zahlreichen methodischen und inhaltli­chen Zweifel an dem QS-Verfahren hätten das Gremium dazu veranlasst, erstmals eine mehrjährige Erpro­bung vorzusehen, ehe es bundesweit ausgerollt werden soll.

„Insbesondere der Fragebogen für die Patientenbefragung erfüllt wichtige wissenschaftliche Standards nicht und wurde von zahlreichen Expertinnen und Experten umfassend kritisiert, ohne dass bislang eine Besserung in Sicht ist, kritisierte der BPtK-Vizepräsident.

„Das QS-Verfahren ist aufwändig, vor allem für unsere Patientinnen und Patienten, wissenschaftlich schlecht gemacht und hat unklare Auswirkungen“, sagte Gebhard Hentschel, Bundesvorsitzender der Deutschen Psy­cho­therapeutenVereinigung (DPtV).

Psychotherapeuten praktizierten tatsächlich schon lange Qualitätssiche­rung und nähmen regelmäßig an Fortbildungen teil. Das neue Verfahren sollte nach Ansicht der DPtV in dieser Form nicht eingeführt, sondern auf eine wissenschaftlich fundierte Basis gestellt werden.

Auch der Bundesverband der Vertragspsychotherapeuten (bvvp) ist gegen die Einführung der datengestützten Qualitätssicherung. „Die personellen und finanziellen Kapazitäten, die dadurch entstehen, lassen sich sinn­voller für die Behandlung der Patienten einsetzen“, sagte der Bundesvorsitzende Benedikt Waldherr.

Auch er verwies auf „bereits funktionierende Verfahren der Qualitätssicherung“. Dazu gehörten umfangreiche Fortbildungspflichten, Inter- und Supervision sowie interne Rückmeldesysteme für die Patienten.

„Erfreulich und sachgerecht ist zumindest, dass dieses Verfahren nun zunächst in einer Modellregion über einen Zeitraum von sechs Jahren erprobt und evaluiert werden soll“, betonte Ulrike Böker, Mitglied des bvvp-Bundesvorstands.

Die Evaluation dieser Erprobungsphase müsse aber zwingend von einem unabhängigen Institut durchgeführt werden, das in Psychotherapieforschung erfahren sei und entsprechende Änderungen und vor allem Straffun­gen der bislang viel zu umfänglichen bürokratischen Maßnahmen anregen könne, so Böker.

Die beiden Berufsverbände fordern außerdem, dass den Praxen in der Modellregion die anfallenden Kosten für den Zeitaufwand und für die digitalen Tools vollumfänglich erstattet werden. Zudem solle ihnen ein Bonus für deren Beitrag zur Verbesserung des QS-Instruments gewährt werden.

Das QS-Verfahren für die ambulante Psychotherapie wurde vom Gesetzgeber beauftragt. Es soll das Antrags- und Gutachterverfahren, das bisher vor Beginn einer Richtlinien-Psychotherapie verpflichtend ist, ablösen.

Nach Angaben des G-BA werden mit dem neuen Verfahren qualitätsrelevante Aspekte gemessen, vergleichend dargestellt und bewertet. Generelles Ziel sei es, die Behandlungsqualität bei Kurz- und Langzeittherapien transparent zu machen und zu fördern, die patientenorientierte Kommunikation zu verbessern und die Par­tizipation der Patienten am Behandlungsprozess zu stärken.

Erstmals werden zudem für einen nicht-somatischen Leistungsbereich qualitätsrelevante Aspekte erfasst und bewertet. QS-Verfahren gibt es derzeit zum Beispiel bereits bei gynäkologischen Operationen oder Hüftgelenks­eingriffen.

PB

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