Psychiatrien leiden unter mangelhafter Finanzierung, Personalmangel und Überbürokratisierung

Berlin – Die psychiatrische und psychotherapeutische Versorgung in Deutschland muss nach Ansicht von Experten reformiert werden, um den wachsenden Bedarf zu decken. Das wurde gestern bei einem Sachverständigengespräch über die Zukunft der psychiatrischen Versorgung im Krankenhaus im Gesundheitsausschuss des Bundestages deutlich. Notwendig seien mehr Personal, mehr Prävention und eine flexible Behandlung über Sektorengrenzen hinweg, hieß es.
Der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN), Andreas Meyer-Lindenberg, sprach von einem enormen Versorgungsbedarf. Mehr als ein Viertel der Erwachsenen in Deutschland werde jedes Jahr behandlungsbedürftig psychisch krank. Etwa ein Zehntel davon sei schwer krank und habe einen intensiven, oft chronischen oder wiederkehrenden Behandlungsbedarf. Diese Gruppe brauche eine bedarfsorientierte, ärztlich gesteuerte, flexible und sektorenübergreifende Behandlung.
Die DGPPN schlage deshalb ein Versorgungsmodell vor mit den Leitprinzipien ambulant vor stationär und Prävention vor Therapie. Neben der vollstationären Versorgung müsse eine flexible teilstationäre Versorgung mit intensiver ambulanter Behandlung ermöglicht werden.
Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) stellte auf die Anhörung Bezug nehmend ihre Positionen zur Reform der psychiatrischen und psychosomatischen Versorgung vor. „Zentrale Leitidee ist die Förderung regionaler Versorgungsnetzwerke, die fließende Übergänge zwischen vollstationärer, teilstationärer, stationsäquivalenter und ambulanter Behandlung ermöglichen“, heißt es in dem Positionspapier.
Die Forderungen bestehen dabei aus sechs Kernpunkten: Etablierung sektorenübergreifender Versorgungsnetzwerke, Weiterentwicklung des Vergütungssystems, patientenorientierte Weiterentwicklung der Personalanforderungen, Abbau von Dokumentationsbürokratie, Aufbau digitaler Infrastruktur und Ausbau und Sicherstellung der Versorgung von Kindern und Jugendlichen.
„Die Diskussionen um die Krankenhausreform haben immer die Somatik im Mittelpunkt. Psychiatrie und Psychosomatik müssen aber angemessen berücksichtigt werden“, forderte der Vorstandsvorsitzende der DKG, Gerald Gaß.
Wie wichtig diese Fachbereiche seien, sei nicht zuletzt während und nach der Coronapandemie mit ihren psychischen Folgen deutlich geworden. Die Psychiatrien litten ebenso wie die anderen Bereiche der stationären Versorgung unter mangelhafter Finanzierung, Personalmangel, Überbürokratisierung, fehlender Digitalisierung und vielem mehr“, erklärte der Vorstandsvorsitzende der DKG.
Bei der Expertenanhörung im Bundestag nahm Katarina Stengler, Chefärztin für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie am Helios Park-Klinikum in Leipzig, Bezug auf die Gruppe der schwer psychisch kranken Patienten. „Es gibt in der Psychiatrie viele Patienten mit einem komplexen Hilfebedarf. Das sind Menschen in existenzieller Not, weil sie in Armut leben, soziale Herausforderungen haben oder altersbedingte Problemlagen.“ Sie forderte eine bessere Prävention, um die Versorgungssysteme nicht zu überlasten.
In Krankenhäusern werde überdies eine Zunahme der Akut- und Notfallaufnahmen registriert, berichtete Stengler weiter. „Aggression, Gewalt und Sucht sind Themen in der Psychiatrie.“
Parallel hätten die Häuser mit Personalflucht aus akuten Bereichen zu kämpfen sowie mit einem zunehmenden Dokumentationsaufwand, der letztlich die Versorgung beeinträchtige. Kliniken müssten mit einer Personalbemessung bei gleichzeitiger Verknappung der Personalressourcen zurechtkommen. „In manchen Häusern ist die Lage dramatisch“, betonte die Chefärztin.
Mehr Personal in den Kliniken, forderte auch Cornelia Metge, Vorstandsmitglied der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK). In den meisten psychiatrischen Kliniken sei derzeit keine leitliniengerechte psychotherapeutische Behandlung möglich. „Obwohl Patienten in Kliniken versorgt werden, weil sie eine intensivere Behandlung benötigen, ermöglichten die Mindestvorgaben keine optimale Versorgung“, kritisierte sie. Diese sehen eine Stunde Psychotherapie pro Woche vor.
Die meisten Patienten bräuchten nach der Krankenhausbehandlung eine ambulante Weiterbehandlung, sagte die BPtK-Vertreterin. „Das erfordert ausreichende ambulante Behandlungskapazitäten durch eine Reform der Bedarfsplanung. Auch sollten Patienten schon während der Krankenhausbehandlung psychotherapeutische Sprechstunden in den Praxen in Anspruch nehmen können“, so Metge.
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