Reform des Medizinstudiums: Kritik an fehlender Finanzierung

Berlin – Bund und Länder haben sich heute mit dem „Masterplan Medizinstudium 2020“ endgültig auf Eckpunkte für eine Reform des Medizinstudiums verständigt. Manche der 37 Einzelmaßnahmen, die Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe, Bundesforschungsministerin Johanna Wanka sowie Vertreter der Gesundheits- und der Kultusministerkonferenz vor Journalisten in Berlin vorstellten, stoßen auf Zustimmung bei Vertretern der Ärzteschaft und der Medizinstudierenden. Vielfach gibt es aber auch Kritik. Vor allem die immer noch fehlende Finanzierung für das Reformvorhaben sorgt für Unverständnis, zeigen Stimmen aus der Ärzteschaft.
„Wer den Ärztemangel bekämpfen will, muss bereits im Medizinstudium ansetzen. Deshalb ist es gut, dass die Reform des Medizinstudiums mit der heutigen Einigung endlich in Angriff genommen werden kann“, sagte der Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), Frank Ulrich Montgomery. Enttäuschend sei jedoch, dass sich Bund und Länder nicht über eine klare und langfristige Finanzierungsvereinbarung einigen konnten. „Offenbar auf Betreiben der Länder wurde die vollständige Umsetzung des Masterplans unter Haushaltsvorbehalt gestellt“, sagte er.
Der BÄK-Präsident bemängelte, dass dadurch klare Vorgaben für wichtige Bereiche fehlten. Eine Entscheidung über die dringend erforderliche Erhöhung der Studienplatzkapazitäten hätten die Verhandlungspartner auf unbestimmte Zeit vertagt. Auch bei der bundesweiten Etablierung von Lehrstühlen für Allgemeinmedizin bleibe der Masterplan vage und sehe lediglich eine Soll-Bestimmung vor. „Bloße Absichtserklärungen bringen uns jedoch nicht weiter. Hier muss dringend nachgeschärft werden“, erklärte Montgomery.
Er kündigte an, dass sich die BÄK in die konkrete Umsetzung des Masterplans einbringen werde. Gleiches erwarte man von den Ländern. „Statt auf Kostenschätzungen einer Expertenkommission zu warten, müssen Sie jetzt ihrer Verantwortung für die ärztliche Nachwuchsförderung gerecht werden und die nötigen Mittel bereitstellen“, forderte er und mahnte, es müsse allen Beteiligten klar sein, dass die Änderungen 15 Jahre dauerten, bis sie in der Patientenversorgung ankämen. „So lange dauern Studium und Facharztausbildung. Wir dürfen keine Zeit mehr vergeuden“, so Montgomery.
Neuerungen nicht ohne mehr Mittel möglich
Auch der Medizinische Fakultätentag, ein Zusammenschluss der Medizinischen Ausbildungs- und Forschungsstätten, warnte angesichts des fehlenden Finanzierungskonzepts vor einer weiteren „Hängepartie“. Unstrittig sei, dass eine erfolgreiche Weiterentwicklung des Medizinstudiums nur durch ein belastbares Finanzierungskonzept gelingen kann, sagte MFT-Präsident Heyo K. Kroemer. Maßnahmen wie die Einführung eines vertragsärztlichen Pflichtquartals für alle Studierenden außerhalb bislang etablierter Lehrstrukturen seien ohne die Bereitstellung zusätzlicher Mittel nicht möglich.
Der Marburger Bund (MB) sprach von „Licht und Schatten“. Als positiv bewertet die Ärztegewerkschaft, dass die ärztliche Ausbildung stärker an Kompetenzen ausgerichtet werden soll und Studierende frühzeitig mit der Patientenversorgung in Kontakt kommen. „Auf der Schattenseite verbuchen wir die Einführung zusätzlicher Obligatorien im Studium und die Quartalisierung des Praktischen Jahrs“, sagte der Vorsitzende des Sprecherrats der Medizinstudierenden im MB, Victor Banas. Damit werde eine bewährte Struktur aufgelöst, die den Studierenden den notwendigen Freiraum verschafft habe, um im Rahmen eines viermonatigen Wahltertials eigenen Präferenzen nachzugehen oder die gewünschte Fachrichtung besser kennenzulernen.
Zu viel Versorgungspolitik
Banas glaubt nicht, dass die Reform insbesondere den Mangel an Landärzten beheben kann. „Insofern bedauern wir sehr, dass einseitige versorgungspolitische Erwägungen und Mutmaßungen zu strukturellen Änderungen im Medizinstudium führen sollen“, sagte er. Das sei ein „gefährlicher Paradigmenwechsel“. Der MB bekräftigte seine Forderung nach einem Ausbau der Studienplatzkapazitäten „um mindestens zehn Prozent“. Eine vor allem aus der Ärzteschaft geforderte Aufstockung der Zahl der Medizinstudienplätze sieht der Masterplan zunächst nicht vor.
Der Hartmannbund kritisierte, die Reform setze mit der optionalen Landarztquote, einem zusätzlichen ambulanten Pflichtabschnitt im Praktischen Jahr und einer zu einseitigen Fokussierung auf das Fach Allgemeinmedizin in wichtigen Fragen „eher auf Zwang und Lenkung statt auf Motivation und Freiheit“. „Dahinter verblassen leider einige durchaus positive Ansätze, wie wir sie zum Beispiel in einer Veränderung der Zulassungsbedingungen zum Studium oder in der Stärkung der Wissenschaftlichkeit sehen“, sagte Moritz Völker, Vorsitzender des Ausschusses der Medizinstudierenden im Hartmannbund. Statt noch mehr innovativen Konzepten eine Chance zu geben und das Medizinstudium zukunftsfähig zu gestalten, habe sich die Politik mit ihrer Konzentration auf versorgungspolitische Aspekte in der Masterplan-Debatte verkrampft.
Völker appellierte an die politisch Verantwortlichen, die Studierenden in die Arbeit der Expertenkommission einzubeziehen, die nun daran gehe, den Masterplan in eine neue Approbationsordnung münden zu lassen. Denn nun müsse es wenigstens darum gehen, die im Masterplan enthaltenen guten Ansätze praxistauglich und mit Blick in die Zukunft umzusetzen.
Mehr Praxisnähe erwartet
Für den Bundesvorsitzenden des Deutschen Hausärzteverbandes (DHÄV), Ulrich Weigeldt, ist es eine „gute Nachricht, dass die jahrelangen Diskussionen jetzt ein Ende haben“. Er zeigte sich erfreut, dass Allgemeinmedizin und hausärztliche Versorgung zukünftig im Medizinstudium deutlich mehr Raum einnehmen. „In der Vergangenheit war es schlichtweg so, dass viele Studierende so gut wie gar nicht mit der hausärztlichen Tätigkeit in Berührung kamen“, sagte er. Das werde sich durch die Reform ändern.
Weigeldt betonte aber auch, dass eine „umfassende und seriöse Finanzierung“ Voraussetzung dafür sei, dass die Maßnahmen in der Praxis auch wirklich greifen. „Hier sind nach wie vor viele Fragen offen. Bedenkt man, dass im deutschen Gesundheitswesen jährlich insgesamt weit über 300 Milliarden Euro ausgegeben werden, dann sollte es auch möglich sein, die notwendigen Mittel für diese gesellschaftspolitisch wichtige Reform des Medizinstudiums zur Verfügung zu stellen“, so Weigeldt. Ohne einen solide finanzierten Masterplan werde es nur schwer möglich sein, auch zukünftig eine flächendeckende hausärztliche Versorgung in Deutschland sicherzustellen.
Modellstudiengänge werden weiter gefördert
Die Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland (bvmd) zeigt sich erfreut von dem Eckpunktepapier. Gut seien insbesondere die längst überfällige stärkere Fokussierung auf ärztliche Grundfertigkeiten wie soziale Kompetenzen in den Lehrveranstaltungen und Staatsexamina. Auch sei die weitere Förderung der in Modellstudiengängen bereits erprobten Verzahnung von praktischen und theoretischen Studienanteilen über den kompletten Studienverlauf hinweg zu begrüßen. Aber auch der bmvd bedauert die fehlende Finanzierung. „Auf die Veröffentlichung des Masterplans muss nun eine zeitnahe und sinnvolle Umsetzung der vorgeschlagenen Maßnahmen erfolgen, die die finanziellen und kapazitären Rahmenbedingungen berücksichtigt“, heißt es.
Die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) zeigte sich „erleichtert“. Vor allem die Aufwertung der Allgemeinmedizin im Studium in Form eines verpflichtenden PJ-Quartals im ambulanten vertragsärztlichen Bereich sowie die M3-Prüfung in der Allgemeinmedizin seien „Meilensteine für die Positionierung des Faches“. Das würde dazu beitragen, dass das Medizinstudium zukünftig insgesamt praxisrelevanter werde und sich mehr Studierende für den Hausarztberuf entscheiden. Gut sei auch, dass zukünftig vermehrt ambulante Praxen in das Medizinstudium einbezogen werden, erklärte DEGAM-Präsidentin Erika Baum. So könne die ärztliche Versorgung der Bevölkerung langfristig auf einem hohen Niveau und kosteneffektiv gesichert werden.
Negativimage durch Landarztquote befürchtet
Die Kassenärztliche Vereinigung Schleswig-Holstein (KVSH) nannte es „richtig“, den Stellenwert der Allgemeinmedizin weiter anzuheben. Skeptisch sehe man aber die Landarztquote. Durch diese sollen Studenten bei der Studienplatzvergabe bevorzugt werden, die sich verpflichten, nach ihrer Facharztweiterbildung als Hausarzt auf dem Land zu arbeiten. „Ein solcher Zwang löst nicht das Versorgungsproblem. Es ist nicht sinnvoll, jungen Menschen, die gerade die Schule verlassen haben, eine so weitreichende Entscheidung abzuverlangen“, sagte KVSH-Vorstandsvorsitzende Monika Schliffke.
Auf dem Land würden Ärzte benötigt, die sich bewusst und motiviert für eine Tätigkeit abseits der großen Städte entscheiden würden und diese Option nicht nur als „Preis“ für einen Studienplatz in Kauf nehmen. „Ein solches Vorgehen kann sich sogar kontraproduktiv auf das Image des ländlichen Raums bei Medizinern auswirken“, erklärte sie.
Die Ärztekammer Westfalen-Lippe (ÄKWL) kritisiert den Masterplan scharf. Präsident Theodor Windhorst bedauerte auf eine Kammerversammlung, dass eine Aufstockung der Studienplatzzahl ausdrücklich nicht vorgesehen ist. „Was mir auch nicht gefällt, dass alles in einer verpflichtenden Art und Weise stattfinden muss“, sagte er. Als Beispiel führte er an, dass künftig zehn Prozent der Studienplätze vorab an Bewerber vergeben werden sollen, die sich verpflichten, nach dem Studium zehn Jahre lang als Hausärzte in unterversorgten Regionen tätig zu sein.
„Für mich persönlich ist das eine Sittenwidrigkeit, eine Festlegung vor den Beginn des Studiums zu legen“, so Windhorst weiter. Das habe man vor vielen Jahren bei den Medizinalrats-Studenten auch gemacht. Die Gerichte hätten allesamt anders entschieden und die Verpflichtungen nachträglich aufgehoben. Der Kammerpräsident befürchtet, dass erneut eine Klagewelle auf die Gerichte zukommen wird. Begrüßt hat er hingegen, dass künftig an allen Universitäten Lehrstühle für Allgemeinmedizin vorgesehen sind. „Wir haben dort doch schon jetzt nicht nur HNO-Heilkunde“, stellte er klar. Kritik übte die ÄKWL am Finanzierungsvorbehalt.
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