Rostock: Totenscheine sind zumeist fehlerhaft

Rostock – Bei fast allen untersuchten Todesbescheinigungen aus Rostock und Umgebung sind in einer Studie des Instituts für Rechtsmedizin der Universität Rostock Mängel festgestellt worden. Von 10.000 untersuchten Bescheinigungen aus dem Einzugsbereich des Rostocker Krematoriums seien lediglich 223 fehlerfrei gewesen, teilte die Universität heute mit. Ausgewertet wurden den Angaben zufolge zwischen August 2012 und Mai 2015 ausgestellte Dokumente.
„Mit dieser Größenordnung haben wir zu Beginn der Studie nicht gerechnet“, sagte Rechtsmediziner Fred Zack. Insgesamt seien 3.116 schwere und 35.736 leichte Fehler festgestellt worden. Mehr als ein Viertel aller Scheine habe mindestens einen schwerwiegenden Fehler aufgewiesen. Spitzenreiter seien nicht mögliche Kausalketten bei der Todesursache, gefolgt von fehlender Erreichbarkeit des Arztes, der die Leichenschau durchgeführt hat, und dem fehlenden Vermerk über sichere Todeszeichen. Mehr als die Hälfte aller Ärzte leistete sich demnach mindestens vier leichte Fehler pro Schein.
44 Mal fehlerhaft natürlicher Tod bescheinigt
Dem Totenschein kommt laut Institut eine hohe Bedeutung zu, denn nur Tote, deren Sterbeursache und Identität bekannt ist, können ohne Ermittlungen bestattet werden. In allen anderen Fällen trete die Polizei auf den Plan. Der Studie zufolge wurde in 48 Fällen unnötigerweise die Polizei informiert, in 44 Fällen dagegen fehlerhaft ein natürlicher Tod bescheinigt, was bei einer zweiten Leichenschau vor der Verbrennung auffiel.
„Die Praxis der ärztlichen Leichenschau in Deutschland ist bekanntermaßen schlecht und bereits vielfach von unserer Fachgesellschaft kritisiert worden“, sagte Zack. Hauptgrund sei die Art und Weise, wie die Leichenschau hierzulande organisiert sei. „Es sind keine Spezialisten am Werk. Wenn ein niedergelassener Arzt beispielsweise zweimal im Jahr zu einer Leichenschau gerufen wird, stellt sich bei ihm kaum eine Routine ein“, erklärte Zack.
Änderungen seien nicht in Sicht, weil jedes Bundesland eigene Bestattungsgesetze und Todesbescheinigungen habe. Weitere Gründe seien die Unbeliebtheit der Aufgabe bei vielen Ärzten und zahlreiche zu beachtende Bestimmungen, die die Arbeit verkomplizierten. Die Autoren der Studie plädieren deshalb für eine bundeseinheitliche Bescheinigung. Leichenschauen sollten von Spezialisten durchgeführt werden. „Zudem müssten mehr Sektionen erfolgen, denn die Leichenschaudiagnosen werden in etwa 50 Prozent aller Fälle nach einer Sektion korrigiert“, sagte Zack.
Die Deutsche Stiftung Patientenschutz bezeichnete die Studie als „einen Weckruf für Bund und Länder“. Mit nachlässigen Leichenschauen werde es nicht gelingen, Behandlungsfehler, Körperverletzungen und Tötungen aufzudecken, sagte Vorstand Eugen Brysch mit Blick auch auf die Mordserie des Krankenpflegers Niels H. in Niedersachsen.
Brysch appellierte an die Justiz- und Gesundheitsminister von Bund und Ländern, in allen 2.000 Krankenhäusern und 13.000 Pflegeheimen amtsärztliche Leichenschauen gesetzlich vorzuschreiben. „Wenn heute nur bei maximal drei Prozent der Verstorbenen die Totenbescheinigung durch eine amtliche Leichenschau überprüft wird, kann nicht von Patientenschutz geredet werden.“ Bisher seien von Seiten des Bundes und der Länder nur unverbindliche Allgemeinplätze zu hören.
Einige Bundesländer wie Bremen und Hamburg haben die Regeln bereits intensiviert. Bremen verkündete heute erste Zahlen. Mehr Leichenschauen hatte gestern auch der Marburger Bund gefordert.
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