„Antibiotika-Resistenzen sind eine extrem große Bedrohung“
Berlin – Gestern hat Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) einen 10-Punkte-Plan zur Bekämpfung multiresistenter Keime vorgelegt. Auch die Europäische Union arbeitet derzeit an einer Richtlinie zur Eindämmung von Antibiotika-Resistenzen. Der Arzt und Europaabgeordnete Peter Liese erklärt die Pläne der EU und wie Ärzte und Patienten eine Post-Antibiotika-Ära verhindern können.

Fünf Fragen an… Peter Liese, gesundheitspolitischer Sprecher der Europäischen Volkspartei (EVP)-Fraktion im Europäischen Parlament
DÄ: Herr Liese, wie bewerten Sie den 10-Punkte-Plan von Gesundheitsminister Gröhe?
Liese: Der Plan ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Darin wird ja auch von einer „One Health“-Strategie gesprochen, also davon, Maßnahmen zur Bekämpfung von Antibiotika-Resistenzen sowohl im human- als auch im veterinärmedizinischen Bereich zu ergreifen – und das in einem internationalen Rahmen. Denn Keime machen nun einmal an keinen Grenzen Halt.
DÄ: Wie versucht die Europäische Union, Antibiotika-Resistenzen einzudämmen?
Liese: Zurzeit berät das Europäische Parlament drei Gesetzgebungsvorschläge der Europäischen Kommission zu Tierarzneimitteln und Arzneifuttermitteln. Darin sind zwölf konkrete Maßnahmen genannt, von der Definition einer Antibiotika-Resistenz bis hin zu strengeren Regeln hinsichtlich der Werbung für verschreibungspflichtige Arzneimittel, die auch Antibiotika in der Tiermedizin umfassen.
Besonders wichtig sind aus meiner Sicht zwei Aspekte. Eine der wichtigsten Maßnahmen ist, dass Reserve-Antibiotika, die beim Menschen eingesetzt werden, wenn herkömmliche Antibiotika nicht mehr wirken, in der Tierzucht verboten oder auf ganz spezielle Anwendungen beschränkt werden. Das ist sehr vernünftig. Denn es gibt einen eindeutigen Bezug zwischen dem Einsatz von Antibiotika in der Tierzucht und Antibiotika-Resistenzen beim Menschen.
DÄ: Und der zweite?
Liese: In den letzten 25 Jahren sind praktisch keine neuen Antibiotikawirkstoffe auf den Markt gekommen. Das ist ein großes Problem. Ein Grund dafür ist, dass die Hersteller mit neuen Antibiotika nicht viel Geld verdienen können, weil sie als Mittel der letzten Wahl gelten werden: Nur, wenn alle anderen Antibiotika nicht wirken, wird man sie einsetzen. Man muss den Herstellern also finanzielle Anreize bieten, damit sie neue Wirkstoffe entwickeln. Der Vorschlag der EU ist es nun, den Unterlagenschutz für neue Antibiotika für Tiere von zehn auf 18 Jahre zu verlängern. Das halte ich für sinnvoll, und wir brauchen ähnliche Anreize auch in der Humanmedizin.
DÄ: Was können Ärzte und Patienten tun, um die Situation zu verbessern?
Liese: Bevor Antibiotika verordnet werden, müssten Ärzte bei jedem Patienten eigentlich mit Hilfe eines Abstriches bestimmen, ob er überhaupt einen bakteriellen Erreger in sich trägt. Im Labor würde es heute einige Stunden dauern, den Erreger zu bestimmen. Viele Patienten haben aber nicht die Geduld, auf das Ergebnis zu warten. Viele kommen auch mit der Erwartungshaltung in die Praxis, ein Antibiotikum verschrieben zu bekommen. Und manche Ärzte verschreiben es ihnen dann auch – obwohl sie gar nicht wissen, ob es helfen kann. Denn gegen Viren helfen Antibiotika natürlich nicht. Es ist deshalb sehr wichtig, einen Schnelltest zu entwickeln, mit dem Ärzte in kurzer Zeit feststellen können, ob ihre Patienten überhaupt einen bakteriellen Erreger in sich tragen.
Und die Patienten sollten in jedem Fall das ihnen verordnete Antibiotikum zu Ende einnehmen. Manche Patienten setzen es leider ab, wenn es ihnen ein wenig besser geht. Oder sie geben die übrig gebliebenen Tabletten an Freunde oder Verwandte weiter, die Halsschmerzen haben und dann ein, zwei Tabletten einnehmen. Dadurch verursachen sie natürlich erst die Resistenzen. Aus meiner Sicht wäre es wichtig, auf den Beipackzetteln an exponierter Stelle darauf hinzuweisen, dass Patienten Antibiotika zu Ende nehmen müssen. Eine solche Medikamenten-Fakten-Box hat auch schon die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft gefordert.
DÄ: Wie ernst ist die Situation heute?
Liese: Die Situation ist leider sehr ernst. Das Europäische Institut für Seuchenbekämpfung hat ermittelt, dass jedes Jahr 25.000 EU-Bürger an multiresistenten Keimen sterben. Wahrscheinlich sind es sogar mehr. Die WHO spricht mittlerweile sogar davon, dass wir vor einer Post-Antibiotika-Ära stehen könnten, in der Antibiotika gegen Keime nicht mehr helfen. Das ist eine extrem große Bedrohung.
Im April wird es eine Anhörung zu den Vorschlägen der Kommission geben. Voraussichtlich im Herbst gibt es die erste Lesung im Parlament. Wenn dann der Ministerrat schnell zu einer Position findet, könnte die Richtlinie schon zum Jahresende in Kraft treten. Ich hoffe, dass wir die Situation dadurch verbessern können.
Diskutieren Sie mit
Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.
Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.
Diskutieren Sie mit: