„Das Wirtschaftlichkeitsgebot muss von einem Nachhaltigkeitsgebot flankiert werden“
Nürnberg – Der 125. Deutsche Ärztetag hat sich intensiv mit den Folgen des Klimawandels für die Gesundheit und Fragen der Nachhaltigkeit befasst. Früh engagiert haben sich beim Thema die Anästhesisten. Der Berufsverband Deutscher Anästhesisten (BDA) und die Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI) hatten im vergangenen Jahr bereits ein Positionspapier herausgegeben, in dem sie für ihren Fachbereich mehr Nachhaltigkeit postulieren.
Im Gespräch mit dem Deutschen Ärzteblatt (DÄ) erklärt Martin Schuster, aufseiten des BDA Vorsitzender des gemeinsam mit der DGAI geführten Forums Nachhaltigkeit in der Anästhesiologie, wie „Green Teams“ in den Krankenhäusern den Ausstoß von Treibhausgasen reduzieren und weshalb ein Nachhaltigkeitsgebot in die deutschen Sozialgesetzbücher aufgenommen werden muss.

Fünf Fragen an Martin Schuster, Berufsverband Deutscher Anästhesisten
DÄ: Weshalb engagiert sich der BDA im Bereich der Nachhaltigkeit?
Schuster: Die Folgen des Klimawandels und der Umweltverschmutzung bedrohen das Wohlergehen und die Gesundheit der aktuellen wie aller zukünftigen Generationen. Als Ärztinnen und Ärzte liegt der Fokus unseres Handelns immer auf dem Wohlergehen der Menschen. Darum können wir den Klimawandel nicht ignorieren.
Als Anästhesisten, Intensiv- und Notfallmediziner sind wir aber schon jetzt in erheblichem Ausmaß mit den Folgen von Hitzewellen und sonstigen Extremwetterereignissen konfrontiert. Da besteht also auch eine unmittelbar berufliche Betroffenheit.
Zuletzt sind wir aber, wie alle Mitwirkenden im Gesundheitswesen, auch für erhebliche CO2-Emissionen verantwortlich, die es zu reduzieren und schließlich ganz zu vermeiden gilt.
DÄ: Was hat der BDA in diesem Bereich bereits erreicht?
Schuster: Mit dem Positionspapier „Ökologische Nachhaltigkeit in der Anästhesiologie und Intensivmedizin“ haben BDA und DGAI als zwei der ersten Fachgesellschaften umfangreiche und detaillierte Handlungsempfehlung veröffentlicht, wie wir als Anästhesisten bei der Wahl unserer Medikamente und Sachartikel, bei der Abfallverminderung und bei der Vermeidung fossiler Energiequellen konsequent CO2-Emissionen reduzieren können.
Zugleich nehmen wir die Auswirkungen des Klimawandels auf die Gesundheit der Menschen und die Gesundheitsversorgung als Ganzes in Forschung, Aus- und Weiterbildung in den Fokus.
DÄ: Sie fordern die Aufnahme eines Nachhaltigkeitsgebots in das SGB V. Wie stellen Sie sich dies konkret vor?
Schuster: Das Wirtschaftlichkeitsgebot muss nicht nur im SGB V, sondern auch in den anderen Sozialgesetzbüchern, zum Beispiel in der Rehabilitation oder in der Pflege, von einem Nachhaltigkeitsgebot flankiert werden.
Da damit zu rechnen ist, dass dadurch tiefgreifende Veränderungen bewirkt werden, die auch mit einer veränderten Kostenverteilung im Gesundheitswesen einhergehen, müssen die entsprechenden Stakeholder und ihre Vertreter, also Krankenhausgesellschaften, Krankenkassen und Länder, in diesen Prozess eingebunden werden. Angesichts der Tatsache, dass die mit Abstand unwirtschaftlichste aller Lösungen ist, nicht auf die Klimakrise zu reagieren, ist hier von Verhandlungs- und Kompromissbereitschaft aller auszugehen.
England macht es vor: Im letzten Jahr hat der National Health Service 1,3 Megatonnen CO2 eingespart und seine Zulieferer auf die Einhaltung von Nachhaltigkeitskriterien verpflichtet.
DÄ: Welche Auswirkungen hätte die Aufnahme eines Nachhaltigkeitsgebots in das SGB V?
Schuster: Diese Frage ist gegenwärtig noch nicht exakt zu beantworten. Klar ist allerdings: Wenn nachhaltig eingekauft werden muss, reduziert sich der Teil der Kosten, der in Form von Umweltschäden und daraus resultierenden Krankheiten in andere Teile der Welt oder in die Zukunft externalisiert wird. Das ist gesamtwirtschaftlich und vor allem medizinisch sinnvoll, führt aber bei den Einkäufern wahrscheinlich zunächst zu einer Mehrbelastung. Also erhöhen sich die Kosten des laufenden Betriebs.
Auf der anderen Seite stehen aber auch direkte Kosteneinsparungen durch niedrigere Betriebskosten, wenn Energieverbräuche sinken oder Energie lokal per Photovoltaik zu circa sieben Cent pro Kilowattstunde erzeugt wird. Insgesamt illustriert dies eine Neuverteilung von Kosten, die am Ende gerechter ist und dazu beträgt, durch Klimaschutz und Ressourcenschonung weniger Krankheiten zu verursachen.
Dafür braucht es eine Reform, die Nachhaltigkeit und Systemfunktionalität miteinander versöhnt. Die Herausforderung besteht für alle darin, den Blick zu lösen von scheintrügenden Jahresbilanzen, um eine Vision für die kommenden Dekaden zu entwickeln.
DÄ: Welche weiteren Pläne hat der BDA im Bereich der Nachhaltigkeit?
Schuster: Es entstehen nun in zahlreichen Krankenhäuser sogenannte Green Teams, die sich, gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen aus anderen Fächern und Mitarbeitern aus der Verwaltung und Technik, für die Umsetzung konkreter Maßnahmen einsetzen. Wir hoffen hier auf eine wirkliche Graswurzelbewegung, mit der wir auch viele jungen Kolleginnen und Kollegen einbinden wollen.
Im Moment sind das Gesundheitswesen und vor allem die Krankenhäuser eher nicht in einer Vorreiterposition, was die Umsetzung der Klimaziele angeht. Wenn wir die Pariser Klimaziele ernstnehmen und den Ausstoß der Treibhausgase bis 2030 um 65 Prozent reduzieren wollen, um bis 2050 klimaneutral zu werden, müssen wir wirklich sehr aktiv und sehr kreativ werden. Eine Alternative sehe ich nicht.
Diskutieren Sie mit
Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.
Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.
Diskutieren Sie mit: