5 Fragen an...

„Erkennungs­genauigkeit in der Straßenbahn eher nach einem Zufallsprinzip“

  • Freitag, 21. August 2020

Dublin/Berlin – Wird das Bluetoothsignal der Corona-Warn-App gestört, ist ihre Kontakt­erkennung nicht mehr zuverlässig. Besonders in öffentlichen Verkehrsmitteln könnte das ein relevantes Problem sein, wie Untersuchungen des irischen TACT-Projekts (Testing Apps for Coronavirus Tracing) zeigen. Die Forscher hatten verschiedene europäische Apps in unterschiedlichen Szenarien untersucht und auf ihre Funktionalität getestet.

Das Deutsche Ärzteblatt (DÄ) sprach mit dem Leiter des TACT-Projekts, Douglas J. Leith. Er ist Professor für Computersysteme an der School of Computer Science and Statistics des Trinity College in Dublin. (Übersetzt aus dem Englischen).

Douglas J. Leith, Professor für Computersysteme an der School of Computer Science and Statistics des Trinity College in Dublin /privat
Douglas J. Leith, Professor für Computersysteme an der School of Computer Science and Statistics des Trinity College in Dublin /privat

5 Fragen an Douglas J. Leith, Professor für Computer­systeme in Dublin

DÄ: In einer Ihrer Studien beschreiben Sie, dass die drei Corona-Kontakt-Tracing-Apps aus Deutschland, der Schweiz und Italien Probleme mit der Abstands­messung in einer Straßenbahn haben. Sie sagen, Metallteile seien hierfür verantwortlich. Können Sie das genauer erklären?
Leith: Die Grundidee hinter der Bluetooth-Abstands­er­kennung ist, dass mit zunehmendem Abstand zwischen zwei Geräten die empfangene Signalstärke abnimmt. Grob gesagt sollen die Apps daher ein Kontakt­ereignis erkennen, wenn die empfangene Signalstärke über ei­nem bestimmten Schwellenwert liegt.

Tatsächlich nimmt die empfangene Signalstärke in gro­ßen offenen Innenräumen im Allgemeinen mit der Ent­fernung ab. In kleineren geschlossenen Räumen kann das Verhalten aufgrund von Reflexionen an Wänden oder Möbeln wesentlich komplizierter sein.

Insbesondere Metall reflektiert Funkwellen sehr stark – ähnlich wie ein glänzender Spie­gel das Licht reflektiert. Busse und Straßenbahnen sind im Grunde Metallröhren, weshalb Funkwellen dazu neigen, von den Wänden, dem Boden und der Decke reflektiert zu wer­den. Dies war bereits aus früheren Studien in Zügen bekannt.

Die daraus resultierenden „Rausch“-Schwankungen in der empfangenen Signalstärke können oft sogar größer sein als die Änderungen der Signalstärke über eine Entfernung von zwei Metern. So ist es extrem schwierig, die Nähe zwischen zwei Mobiltelefonen zu­verlässig zu erkennen. Das ist der Hauptgrund, warum es ernsthafte und begründete Be­denken bezüglich der Verwendung von Bluetooth in Anwendungen zur Kontakt­verfolgung gibt.

Bei unseren Messungen in einem Bus und einer Straßenbahn fanden wir nur eine geringe Korrelation zwischen der empfangenen Signalstärke und der Distanz zwischen den Mo­bil­telefonen.

: Vor der Veröffentlichung wurde die deutsche Corona-Warn-App vom Fraunhofer Ins­ti­tut auf ihre Funktion getestet. Jedoch in anderen Umgebungen als in ihren Unter­suchun­gen: Im Zug (ICE), in der Supermarktschlange, im Restaurant, und bei Partys soll sie eine Genauigkeit von 80 Prozent haben. Wie bewerten Sie diese Ergebnisse?
Leith: Bei den mir bekannten Fraunhofer-Ergebnissen handelt es sich um Labormes­sun­gen, die in einem großen offenen Raum durchgeführt wurden. Dort wurde beispiels­weise ein Zug nachgebildet, indem Sitze und Tische in verschiedenen Konfigurationen aufge­stellt wurden.

Unsere Messungen deuten aber darauf hin, dass diese „Labor“-Messungen nicht die Funk­tionalität in einer tatsächlichen Straßenbahn und einem Bus vorhersagen können. Es ist wahrscheinlich auch erwähnenswert, dass die öffentlichen Fraunhofer-Dokumente eher den Charakter von Zusammenfassungen haben und daher nicht detailliert genug sind, um sie wissenschaftlich auszuwerten oder zu reproduzieren. Ich freue mich darauf, zu gege­be­ner Zeit die vollständigen technischen Berichte zu lesen.

: Die Hersteller der deutschen App sagen selbst, dass „in geschlossenen Räumen ver­schiedene Störfaktoren die Genauigkeit der Feldstärke als Näherungsfaktor für die ge­schätzte Entfernung zwischen zwei Endgeräten beeinflussen“. Können Sie weitere Mate­rialien oder Faktoren beschreiben, die die Funktion der Apps einschränken?
Leith: Die empfangene Signalstärke wird von mehreren Faktoren beeinflusst, zum Bei­spiel durch die relative Ausrichtung zweier Mobiltelefone zueinander oder durch die Ab­sorption des Funksignals durch den menschlichen Körper. Die verwendete Frequenz ist die gleiche wie die von Mikrowellengeräten, wird also stark absorbiert. Variationen in den Eigenschaften der verschiedenen Modelle von Mobiltelefonen können ebenfalls zu Unterschieden zwischen Mobiltelefonpaaren führen.

Basierend auf unseren Messungen sind die wesentlichen Faktoren: Zum einen die Unter­schiede zwischen verschiedenen Modellen und Marken von Mobiltelefonen. Zum anderen die Signalschwankungen durch die relative Ausrichtung der Geräte zueinander. Selbst kleine Veränderungen können hierbei große Auswirkungen haben.

Darüber hinaus beeinflusst die Absorption das Signal, beispielsweise durch Taschen oder den menschlichen Körper selbst (vor allem, wenn sich das Telefon in der Hosentasche be­findet). Dann kommen noch die erwähnten Reflexionen von Wänden, Fußböden, Möbeln und so weiter dazu.

Jede dieser Veränderungen kann einen ziemlich erheblichen Einfluss auf die empfangene Signalstärke haben, vergleichbar mit einer Veränderung der Entfernung um zwei Meter oder mehr.

: In Ihrem Tram-Experiment hat die Italienische App ein wenig besser abgeschnitten als die beiden anderen. Können Sie einem Technik-Laien erklären, was die Italienische Version anders macht?
Leith: Um ein Kontaktereignis auszulösen, legen die deutsche und schweizerische App großen Wert auf die Beobachtung einer hohen empfangenen Signalstärke. Das bedeutet, dass Kontaktereignisse nur dann ausgelöst werden, wenn die Handys tatsächlich sehr nahe sind (vielleicht 50 cm oder weniger).

Die italienische App (und inzwischen auch andere europäische Apps) verwendet einen einfacheren Schwellenwert-Ansatz, der ein Kontaktereignis bereits bei niedrigeren em­pfangenen Signalstärken auslösen kann. Durch Feintuning dieses Schwellenwertes konnten wir in unseren Tests mehr Kontakterkennungen beobachten.

Bei einer Straßenbahn stellten wir jedoch fest, dass die Erkennungsgenauigkeit beider Ansätze schlecht war. Die europäischen Kontaktverfolgungsprogramme erzielten hier eine kaum bessere Erkennungsgenauigkeit als wenn man Personen einfach nach dem Zufallsprinzip benachrichtigen würde.

: Bedeutet das, Programmupdates könnten die Probleme beheben oder die Funktion zumindest verbessern?
Leith: Die Herausforderungen der Bluetoothtechnologie liegen größtenteils in der Physik der Funkausbreitung. Deshalb würde ich sagen, dass es keine einfache Lösung gibt. Die Erweiterung von Bluetoothdaten mit mehr Kontext, zum Beispiel ob sich eine Person in einem Bus oder einer Straßenbahn befindet, könnte hilfreich sein.

Vielleicht könnte das erreicht werden, indem man der App eine Taste hinzufügt oder einen Bluetoothsender in einen Bus setzt, der von der App erfasst werden kann. Im Mo­ment sind das jedoch nur Spekulationen, da es keine Daten über die Wirksamkeit solcher Ansätze gibt.

Ich würde sagen, eine hilfreiche Sichtweise in der aktuellen Situation ist, dass wir ein groß angelegtes Experiment durchführen, ohne zu wissen, ob die Apps zur Kontakt­ver­folgung wirklich funktionieren. Dieser Gesichtspunkt macht deutlich, dass wir wirklich darauf achten sollten, die richtigen Daten zu sammeln, damit die Leistung dieser Anwen­dungen richtig bewertet werden kann. Die richtigen Daten könnten dann Wege aufzeigen, um die Apps zu verbessern.

Messungen, die die Bluetoothdaten mit dem Infektionsrisiko in Beziehung setzen, sind das, was wir wirklich brauchen um diese Anwendungen zu verbessern. Denn das ist es, was diese Anwendungen eigentlich versuchen. Mir sind aber keine solchen veröffent­lichten Messungen bekannt.

Sehr wichtig ist es auch, dass wir Messungen sammeln, die es uns ermöglichen, den Mehrwert dieser Anwendungen innerhalb des größeren Kontaktverfol­gungssystems zu bewerten. Zum Beispiel, wie viele Kontakte von Apps erkannt werden, die bei der manuellen Kontaktverfolgung übersehen worden wären. Oder wie viele Kon­takte, die von Apps markiert werden, tatsächlich Fehlalarme sind.

Oder wie viel schneller Benachrichtigungen von Apps als von der manuellen Kontakt­ver­folgung sind. Ich habe bisher nicht gesehen, dass solche Daten veröffentlicht wurden. Die bloße Angabe der Anzahl von App-Downloads ist keine nützliche Metrik für diese Apps.

Vielleicht sollte man auch bedenken, dass sich bei Anwendungen, die eine Symptomver­fol­gungsfunktion oder Ähnliches enthalten, herausstellen kann, dass diese Teile der An­wendung nützlich sind, selbst wenn die Kontakterkennung nicht nützlich ist. Auch hierfür haben wir derzeit wiederum keine veröffentlichten Daten, anhand derer wir das beur­tei­len könnten.

Ich persönlich halte es für sehr wahrscheinlich, dass der Näherungserkennungsteil dieser Apps nur einen geringen Mehrwert innerhalb des gesamten Kontaktverfolgungssystems haben wird. Aber ein abschließendes Urteil in dieser Frage steht noch aus, bis weitere Da­ten vorliegen. Ich wäre natürlich froh, wenn man mir das Gegenteil beweisen könnte.

jff

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