„Viele haben noch nicht realisiert, wie schlecht es den Krankenhäusern geht“
Köln – Zwei herausfordernde Coronawinter hat die Belegschaft der Krankenhäuser mittlerweile hinter sich. In diesem Jahr kommen zur Coronapandemie noch die Auswirkungen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine dazu.
Christian Karagiannidis leitet das ARDS und ECMO Zentrum Köln-Merheim an der Klinik der Universität Witten/Herdecken. Zudem ist er Präsident der Deutschen Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin (DGIIN) und Mitglied der Regierungskommission, die im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums die anstehende Krankenhausreform vorbereitet.
Im Gespräch mit dem Deutschen Ärzteblatt (DÄ) erklärt er, wie die Stimmung in den Krankenhäusern vor dem Winter ist und mit welchen Maßnahmen die Politik das Klinikpersonal entlasten kann.

Fünf Fragen an Christian Karagiannidis, Klinik der Universität Witten/Herdecke
DÄ: Herr Professor Karagiannidis, wie bewerten Sie die Verfassung der Ärztinnen, Ärzten und Pflegenden in den Krankenhäusern kurz vor Beginn des Herbstes und des Winters?
Karagiannidis: Die Stimmung ist deutlich angespannt – auch, wenn die letzten Monate in einigen Teilbereichen etwas ruhiger waren.
Besonders schwierig war die Sommerwelle der COVID-19-Pandemie in der Notaufnahme, da es wegen der vielen Infektionen unter den Beschäftigten zu erheblichen Personalausfällen kam.
In den Notaufnahmen hatten wir zugleich mit breitflächigen Exit Blocks zu kämpfen. Dabei können Patientinnen und Patienten nicht zeitnah aus der Notaufnahme abverlegt werden, weil auf den Stationen keine betreibbaren Betten frei sind.
Ein solcher Exit Block verursacht einen Patientenstau, der zu einer verzögerten Behandlung führt und damit die Patientensicherheit gefährdet und das Personal überlastet. Ich habe in einem Sommer noch nie einen so großen Exit Block erlebt wie in diesem Jahr.
DÄ: Was sind die größten Probleme, die die Ärztinnen, Ärzte und Pflegenden belasten?
Karagiannidis: Die Personaldecke ist dünn. Wenn dann durch Corona, aber auch durch andere Infektionserkrankungen wie Influenza, punktuell starke Ausfälle hinzukommen, kippt die Stimmung sehr schnell. Das System ist nicht mehr resilient. Das Grundproblem heißt Arbeitsverdichtung und Überlastung. Beides wird durch die enorme Überbürokratisierung verstärkt, die wir in Deutschland haben.
In den kommenden Monaten rechne ich infolge der unterschiedlichen Infektionskrankheiten mit erheblichen Personalausfällen in den Kliniken. Ich hoffe, dass die Impfung gegen Influenza dabei hilft, die Welle in einem erträglichen Maß zu halten – auch, wenn der Infektionsschutz nur mäßig ist.
Eine ausgeprägte Immun-Escape-Variante wie BA75.2 oder Q1 wird wahrscheinlich nicht im Bereich der Intensivmedizin größere Probleme erzeugen, aber sie bringt das Risiko erneuter breitflächiger und prolongierter Personalausfälle mit sich.
DÄ: Inwiefern wirken sich die finanziellen Probleme der Krankenhäuser infolge der aktuellen Preissteigerungen auf das Befinden der Ärztinnen, Ärzte und Pflegenden aus?
Karagiannidis: Viele haben noch nicht realisiert, wie schlecht es den Häusern geht. Wir rechnen im Moment mit bis zu 60 Prozent der Kliniken, die kommendes Jahr rote Zahlen schreiben könnten. Bis zu 40 Prozent könnten insolvenzgefährdet sein.
DÄ: Durch welche Maßnahmen könnte die Politik die Belastung des Personals in den Krankenhäusern reduzieren?
Karagiannidis: Es gibt ein paar Stellschrauben, die akut Entlastung bringen könnten. Dazu gehört die schnelle Einführung der Tages-DRG, die die Regierungskommission jetzt vorgeschlagen hat. Dabei sollen die Krankenhäuser zusammen mit den Patientinnen und Patienten entscheiden, welche Behandlungen auch ohne Übernachtung im Krankenhaus durchgeführt werden können.
Ich rechne damit, dass 20 bis 30 Prozent der stationären Leistungen auch ohne Übernachtung im Krankenhaus erbracht werden könnten. Das entlastet das Personal auf den Normalstationen und hilft, den Exit Block der Notaufnahmen aufzuheben.
Eine weitere Idee wäre, das System durch eine bessere Patientenkoordination akut zu entlasten. Dafür sollten wir aus Dänemark lernen und zum Beispiel eine Steuerung der Patienten über eine zentrale Notrufnummer incentivieren, zum Beispiel über die 116117. Dabei werden die nichtlebensbedrohlichen Notfälle dann telefonisch dem richtigen Behandlungsort zugeführt und der Patient erhält im Gegenzug zeitnah und gut koordiniert einen Termin.
Auf diese Weise würden wieder die Patienten in die Notaufnahme gelangen, die auch wirklich dort behandelt werden müssen. Das würde die Notaufnahmen und insbesondere den Rettungsdienst sehr entlasten.
DÄ: Wie bewerten Sie die Arbeit der Regierungskommission? Und mit welchen Problemen befasst sie sich als nächstes?
Karagiannidis: Die Kommission arbeitet intensiv an kurz-, mittel- und langfristigen Reformvorschlägen. Die ehrenamtliche Tätigkeit ist sehr arbeitsaufwendig. Doch wir dürfen die Reformen jetzt nicht noch weiter aufschieben.
Das System steht nahe an einem Kipppunkt, insbesondere in den hochbelasteten Bereichen – wie der breitflächige Exit Block in den Notaufnahmen in diesem Sommer gezeigt hat. Wir müssen das System deshalb jetzt grundlegend umgestalten. Reförmchen helfen keinem. Einfach mehr Geld ins System zu pumpen, würde nur die Agonie verlängern.
Gleichzeitig liegt in der Krise aber auch eine historische Chance. Deshalb sollten wir jetzt nicht zu viel Zeit mit Jammern und Schlechtreden verbringen. Stattdessen sollten wir aufeinander zu gehen und die Reformen gemeinsam und mit positiver Energie voranbringen. Nur so werden wir aus dem aktuell dunklen Tunnel wieder herauskommen. Die Grundreform der Krankenhausfinanzierung ist sicher zeitnah ein Kernthema der Kommission.
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