Politik

Befürchteter Ansturm auf Semaglutid bei Adipositas bisher ausgeblieben

  • Dienstag, 1. August 2023
/myskin, stock.adobe.com
/myskin, stock.adobe.com

Berlin – Der Beginn der Verordnungsfähigkeit des Adipositas-Medikaments Wegovy hat offenbar bislang zu keinem deutlich erhöhten Patientenaufkommen in Deutschland geführt.

Die Engpässe aus dem vergangenen Jahr haben sich damit nicht wiederholt, berichten Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) und Deutsche Adipositas Gesellschaft (DAG) auf Nachfrage des Deutschen Ärzteblattes. Der Hersteller betont jedoch, dass es durchaus noch dazu kommen könnte.

Seit dem 17. Juli dürfen Ärztinnen und Ärzte in Deutschland Wegovy gegen Adipositas (also bei einem Body-Mass-Index (BMI) von über 30) oder Übergewicht (bei einem BMI von über 27) mit mindestens einer ge­wichts­­assoziierten Begleiterkrankung wie Typ-2-Diabetes verschreiben.

Es ist nach Orlistat und Liraglutid das dritte verschreibungspflichtige Arzneimittel zur Gewichtsreduktion. Hinter dem Markennamen verbirgt sich der GLP-1-Rezeptoragonist Semaglutid, der in geringerer Konzentra­tion als Ozempic bereits seit 2013 für die Behandlung von Diabetes zugelassen ist.

Ende vergangenen Jahres war, auch und vor allem durch prominente Anwender, in den USA ein Hype um das Mittel entstanden, der nach Europa überschwappte und auch hier teils zu Lieferschwierigkeiten führte.

Die Befürchtung war deshalb groß, dass die Möglichkeit, Wegovy auf Verordnung auch als Abnehmmittel auf Selbstzahlerbasis zu erhalten, zu einem neuen Ansturm führen könnte. Doch der blieb trotz umfassender Be­richterstattung in Publikumsmedien bisher aus.

„Der große Run ist eigentlich schon nach der Publikation der STEP-Daten zu verzeichnen gewesen“, erklärte die DAG. Die STEP-5-Studiendaten waren im Oktober vergangenen Jahres veröffentlicht worden und wiesen bei einer Kombination von Semaglutid und Basistherapie aus Ernährungs-, Bewegungs- und Verhaltensinter­vention eine durchschnittliche Gewichtsreduktion von 15,2 Prozent des Körpergewichts aus.

„Viele Patienten haben nach Semaglutid gefragt. Die Einführung in Deutschland hat dies zwar noch einmal verstärkt. Aber die zusätzlichen Anfragen sind überschaubar“, berichtet die DAG weiter. Anfragen von Patien­ten, die das Präparat nicht aufgrund einer Erkrankung, sondern als Abnehmpräparat erhalten möchten, habe es bereits vor der Markteinführung von Wegovy gegeben.

Das sei „sicherlich auch bedingt durch die mediale Berichterstattung aus den USA, wo Wegovy ja schon länger erhältlich ist“, sagte ein DAG-Sprecher. „Bislang bezogen sich die Anfragen auf Ozempic – jetzt vermehrt auch auf Wegovy.“

Für viele Menschen mit Diabetes hingegen hatte der Ansturm ernste Folgen. Nach dem Hype um Ozempic im vergangenen Herbst habe es bis ins Frühjahr hinein Lieferengpässe aufgrund stark erhöhter Nachfrage von Patienten gegeben, die das Medikament als Mittel zum Abnehmen nutzen wollten, betonte Baptist Gallwitz, Facharzt für Innere Medizin, Diabetologie und Endokrinologie sowie Sprecher der DDG.

„Es gab viele Diabetes-Patienten, die bereits seit längerem auf Ozempic eingestellt waren und plötzlich Schwierigkeiten hatten, ihr Arzneimittel in der Apotheke zu bekommen“, berichtete er. Dabei habe es aller­dings lokal und zeitlich größere Unterschiede in der Verfügbarkeit gegeben.

„Es war sicher ein überzogener Hype, weil es auch Menschen, die nicht adipös sind und keine Begleiterkran­kungen haben, off-label und ohne ärztliche Kontrolle eingenommen haben“, betonte er weiter. „Glücklicher­weise hat das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte daraufhin einen Verordnungshinweis ver­öffentlicht, den wir als DDG sehr unterstützen und der klarstellt, dass Ozempic nur für Diabetes zugelassen ist.“

Dieser Hype habe sich im Juli nicht wiederholt. Zwar sei die Nachfrage nach Wegovy hoch, auch weil das Prä­parat neu sei, „aber wir haben den Eindruck, dass es in geordneteren Bahnen verläuft als vergangenen Herbst und die Versorgung mit Ozempic besser sichergestellt ist“, sagte Gallwitz. Außerdem sei davon auszugehen, dass der Hersteller seine Produktionskapazitäten erhöht habe.

Der wiederum, das dänische Unternehmen Novo Nordisk, will auf Anfrage keine konkreten Aussagen zu Pa­tien­tenaufkommen und Absatzzahlen machen. Aber: „Bei einer hohen Nachfrage können wir nicht ausschlie­ßen, dass es in den nächsten Monaten zu Nichtverfügbarkeiten in Apotheken oder beim Großhandel kommen kann“, sagte eine Sprecherin.

Tatsächlich könnte auch Wegovy künftig eine Rolle in der Diabetestherapie spielen, der Unterschied zu Ozem­pic ist lediglich die höhere Wirkstoffkonzentration. „Das Disease-Management-Programm (DMP) für Typ-II-Dia­betes wurde noch nicht verabschiedet, ab da wird man dann sehen, für welche Patientengruppen diese medi­ka­mentöse Therapie angezeigt ist“, sagte Gallwitz. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) arbeitet derzeit an einer Anpassung der Richtlinien zu den DMP-Anforderungen.

Auch Gallwitz warnt vor falschen Erwartungen an das Medikament, die durch die Berichterstattung in die Be­völkerung und von da an die behandelnden Ärzte herangetragen wird. Zwar hätten schon die Zulassungsstu­dien gezeigt, dass mit der Einnahme von GLP-1-Rezeptor-Agonisten ein Gewichtsverlust von 10 bis 15 Pro­zent des Körpergewichts einhergeht.

„Allerdings ist nach einigen Monaten Therapie ein gewisses Gleichgewicht erreicht und das Gewicht pegelt sich ein“, erläuterte Gallwitz. „Wir wissen auch aus Studien, dass, wenn man das Medikament absetzt, das Ge­wicht relativ schnell wieder zunimmt.“

Adipositastherapie sei aber im besten Falle interdisziplinär und multifaktoriell – sie begleite einen Patienten ein Leben lang und sollte nicht nur Medikamente, sondern auch Verhaltenstherapie umfassen.

„Adipositas ist ein zunehmendes Problem und hat große Auswirkungen auf die wachsende Verbreitung von Typ-2-Diabetes“, sagte er. Die DAG als Fachgesellschaft fordere deshalb schon seit langem, dass die Politik richtige Maßnahmen wie Werbeverbote für ungesunde Lebensmittel für Kinder, höhere Standards bei Schul- und Kita-Essen oder täglich mindestens eine Stunde Bewegung im Schulprogramm ergreife.

Das seien Maßnahmen, die wenig kosten, aber eine große Wirkung entfalten können, da mittlerweile Konsens sei, dass Verhaltens- und Konsummuster, die bereits in der Kindheit und Jugend erworben werden, einen ent­scheidenden Einfluss haben, erklärt Gallwitz: „Ich hoffe sehr, dass sich die gesellschaftlichen Maßnahmen durchsetzen und nicht die Dauermedikation. Prävention ist günstiger als Therapie.“

lau

Diskutieren Sie mit:

Diskutieren Sie mit

Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.

Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.

Es gibt noch keine Kommentare zu diesem Artikel.

Newsletter-Anmeldung

Informieren Sie sich täglich (montags bis freitags) per E-Mail über das aktuelle Geschehen aus der Gesundheitspolitik und der Medizin. Bestellen Sie den kostenfreien Newsletter des Deutschen Ärzteblattes.

Immer auf dem Laufenden sein, ohne Informationen hinterherzurennen: Newsletter Tagesaktuelle Nachrichten

Zur Anmeldung