Politik

Breiter Widerstand gegen vertrauliche Erstattungspreise und Bundesethik­kommission

  • Freitag, 7. Juni 2024
/RGtimeline, stock.adobe.com
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Berlin – Der Entwurf für ein Medizinforschungsgesetz (MFG) erhält von Oppositions- und Regierungsparteien gleichermaßen grundlegende Zustimmung. Die beiden enthaltenen Vorhaben, vertrauliche Erstattungspreise zu ermöglichen und eine Bundesethikkommission einzurichten, treffen aber auf ebenso einhellige Kritik von beiden Seiten.

Deutschland muss bei der Erforschung und Entwicklung neuer Arzneimittel verlorenen Boden wiedergutmachen, hatte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) gestern bei der ersten Lesung des MFG-Entwurfs im Bundestag erklärt. Wer heute an einer Krebserkrankung leidet, dessen Chance, in eine klinische Studie aufgenommen zu werden, sei hierzulande nur ein Zehntel so groß wie in Dänemark.

„Es kann nicht sein, dass in Deutschland eine ganze Generation von innovativen Arzneimitteln in der Entwicklung abgeschnitten ist, nur weil wir da so zurückgefallen sind“, unterstrich er. Mit dem MFG wolle er deshalb den Forschungsstandort wieder stärken, ein klares Bekenntnis zu Deutschland als Produktions­standort für Medizinprodukte und Arzneimittel abgeben und die Versorgung verbessern.

So werde das Gesetz dazu führen, dass die Dauer der Prüfung vor Zulassung einer klinischen Studie auf 26 Tage sinke und die für ihre Bewertung auf fünf. „Dann haben wir in 31 Tagen eine Komplettprüfung einer Studie“, betonte er. Bislang dauere es meist doppelt so lange, was dazu führe, dass eine klinische Studie hierzulande oft noch gar nicht zugelassen ist, während in anderen Ländern schon die Probandinnen und Probanden rekrutiert werden.

Die Politik seines Hauses zur Verbesserung der Bedingungen für Forschung und Entwicklung – zu der auch das Digitalgesetz (DigiG) und das Gesundheitsdatennutzungsgesetz (GDNG) gehören – trage bereits erste Früchte.

„Wir haben eine Blüte von Ansiedlungen, wie wir sie seit Jahren nicht gehabt haben“ erklärte er. Globale Pharmakonzerne wie Eli Lilly, Roche, Daiichi Sankyo und Merck hätten in den vergangenen Monaten jeweils Milliardenbeträge in Deutschland investiert und das werde weitergehen. „Wir sind derzeit in Gesprächen mit einem weiteren europäischen Anbieter, der mehr als eine Milliarde investieren will“, kündigte er an.

Lauterbach zeigte sich erfreut über den großen Zuspruch, den das MFG bisher erhalte. Er wolle noch einmal darauf verweisen, dass die Opposition das Gesetz bisher nicht kritisiert habe.

Echten Widerspruch erhielt er dafür zumindest von der Unionsfraktion nicht. Auch die Union wolle, dass Deutschland und Forschung wieder an alte Stärke anknüpft, erklärte Hubert Hüppe (CDU): „Der Gesetzentwurf der Bundesregierung enthält in der Tat Dinge, die wir unterstützen werden.“

Dennoch enthalte der Entwurf Punkte, die eine volle Zustimmung unmöglich machen, insbesondere die geplante Einrichtung einer Bundesethikkommission, offiziell Spezialisierte Ethik­kommission für besondere Verfahren (SEKbV).

Es gebe bereits 33 registrierte Ethikkommissionen für Arzneimittelstudien. „Diese Ethikkommissionen haben sich bewährt“, betonte Hüppe. Alle Beteiligten von der Bundesärztekammer (BÄK) bis zur Pharmaindustrie würde betonten, dass es eine Bundesethikkommission nicht brauche.

Diese würde nicht nur eine unnötige Parallelbürokratie schaffen. Vielmehr sei durch ihre Angliederung an das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) als eine dem Bundesgesundheitsministerium (BMG) nachgeordnete obere Bundesbehörde ihre Unabhängigkeit nicht ausreichend gewährleistet. „Das entspricht nicht der Deklaration von Helsinki.“

Hüppes Fraktionskollegen Erich Irlstorfer (CSU) und Erwin Rüddel (CDU) sekundierten. Eine Bundesethik­kommission schaffe „Doppelstrukturen, die die bestehende Mechanismen nachhaltig schwächen und keinen Mehrwert haben“, kritisierte Irlstorfer. Rüddel mahnte mit Blick auf vertrauliche Erstattungspreise, dass die Transparenz bei Arzneimittelpreisen für neutrale Bewertungsverfahren erhalten bleiben müsse.

Dahingehende Kritik kam auch von den Grünen. Auch sie befürworte das Gesetz prinzipiell, erklärte Paula Piechotta. Man müsse sogar noch viel stärker den Nutzen für die tatsächliche medizinische Versorgung in den Vordergrund stellen: Das MFG schaffe „am Ende die Rahmenbedingungen dafür, welche Krankheiten, die heute noch Familien auseinanderreißen, in fünf oder zehn Jahren behandelbar sind“, sagte sie. „Es geht ganz praktisch um die Frage, wie viele Kilometer austherapierte Kranke in ihrem Zustand zum nächstens Studienzentrum zurücklegen müssen.“

Dennoch gebe es Abstriche, nämlich den vertraulichen Erstattungspreis: „Der ist so ein bisschen der Fremdkörper in diesem Gesetzentwurf“, betonte sie. „Dieses Anliegen zieht die Gegnerschaft des gesamten Gesundheitswesens auf sich“, von der gesetzlichen und privaten Krankenversicherung über einen Großteil der pharmazeutischen Unternehmen bis hin zur Selbstverwaltung, „inklusive der Ärzteschaft, die nicht mehr wissen, wie viel das kostet, was sie da verschreiben“.

Man müsse es in diesem Fall wohl so machen wie im Jahr 2016, als schon einmal vertrauliche Erstattungspreise im Gespräch waren, dann aber im parlamentarischen Verfahren herausverhandelt wurden.

Weit schwerere Geschütze fuhr indes die Linke auf. „Eigentlich sollten wir hier keine Gesetze für einzelne Unternehmen machen, aber die Ampel tut das. Wir reden hier von einer Lex Lilly“, erklärte Kathrin Vogler mit Blick auf vertrauliche Erstattungsbeträge. „Als Gesundheitsminister Gröhe das 2016 vorgeschlagen hat, hielt ein gewisser Karl Lauterbach das noch für inakzeptabel.“

Selbst die meisten Pharmakonzerne seien gegen die Pläne. „Warum ist gerade die Firma Lily so scharf auf Intransparenz?“, fragte sie, um gleich selbst zu antworten: Der Konzern wolle das gleiche Medikament erstattungsfähig für Diabetes und als Abnehmmittel als Selbstzahlerleistung vermarkten.

Wenn die Erstattungspreise nicht bekannt seien, könne auch für Selbstzahler mehr verlangt werden „und das freut die Aktionäre“, sagte sie. „Auch wenn Lilly in Alzey 1.000 Jobs schafft – wenn sich dafür der Kanzler zum Lobbyisten machen muss, ist uns dieser Preis zu hoch.“

lau

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