Politik

Deutschland gibt 185 Millionen Euro für die Pharmaindustrie

  • Dienstag, 15. November 2022
/Kurhan, stock.adobe.com
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Berlin – Deutschland beteiligt sich am EU-Förderprojekt zur Stärkung der Gesundheitswirt­schaft. 185 Millio­nen Euro will die Bundesregierung nun beisteuern. Das beschloss sie am vergangenen Freitag, nachdem die deutsche Beteiligung monatelang auf der Kippe gestanden hat. Die Pharmaindustrie zeigte sich erleichtert.

Bei dem Förderprogramm handelt es sich um ein sogenanntes „Wichtiges Projekt im gemeinsamen Europäi­schen Interesse“ (Important Project of Common European Interest, IPCEI). Der Name täuscht nicht: ICPEI sind transnationale Vorhaben, bei denen mehrere europäische Staaten koordiniert investieren, um ein als wichtig wahrgenommenes wirtschaftliches oder politisches Ziel zu erreichen.

Dabei sollen vor allem Ziele mit Blick auf Forschung, Innovation und Entwicklung verfolgt werden: Neben dem aktuellen ICPEI Health, gibt es beispielsweise auch solche zu Zukunftstechnologien wie Cloudinfrastruk­turen, grünem Wasserstoff und Batteriezellen.

Die jetzige IPCEI Health geht zurück auf den dritten Deutsch-Französischen Technologiedialog im Mai ver­gangenen Jahres und soll die Widerstandsfähigkeit der europäischen Medizin- und Pharmaindustrie stärken.

Dabei soll es vor allem darum gehen, jene Schwachstellen zu beseitigen, die während der Coronapandemie offensichtlich geworden waren, beispielsweise fragile Lieferketten und daraus resultierende Engpässe bei Gesundheitsprodukten.

Auch hätten bedeutende medizinische Fortschritte in bestimmten Therapiebereichen nicht in vollem Umfang genutzt werden können, erklärte die Bundesregierung vergangenes Jahr nach Gesprächen mit den französi­schen Kolleginnen und Kollegen. Auch müsse die medizinische Forschung beschleunigt und die Arbeit der wichtigsten Akteure für einen schnellen Einsatz von Behandlungslösungen stärker koordiniert werden.

Produktionskapazitäten ausbauen

Eine zentrale Rolle nimmt bei alldem die Arzneimittelindustrie ein: Produktionskapazitäten müssten ausge­baut werden, um den Bedarf zu decken und Lieferengpässe zu vermeiden. In den vergangenen Jahren wuchs in Europa das Bewusstsein dafür, dass vor allem die Verlagerung der Produktion von grundlegenden Arznei­mitteln wie Antibiotika, Schmerzmitteln oder antiviralen Medikamenten aus Kostengründen nach Indien und China im Krisenfall Verwundbarkeit erzeugt, wenn Lieferketten abreißen und der europäische Markt nicht mehr ausreichend bedient wird.

Das IPCEI soll die Widerstandsfähigkeit der Wertschöpfungsketten in Europa erhöhen und den Kontinent in die Lage versetzen, gegenüber China und Indien konkurrenzfähig zu werden und seine Importabhängigkeit bei wichtigen Medikamenten zu verringern. Mehrere Ministerien wurden beauftragt, einen detaillierten Plan und eine Roadmap zu erarbeiten.

Genaue Projektbestandteile wurden bis heute noch nicht definiert, allerdings sollen drei Hauptziele konkret verfolgt werden: Erstens sollen erhebliche medizinische Fortschritte schneller in die Versorgung gebracht werden, zweitens die strategische Autonomie der EU durch die Weiterentwicklung innovativer Produktions­prozesse entlang der gesamten Wertschöpfungskette erhöht werden.

Drittens wiederum soll dazu beigetragen werden, ein industrielles Instrument zu entwickeln, mit dem auf unerfüllte medizinische Bedarfe reagiert und Europa auf neue Gesundheitskrisen vorbereitet werden kann.

Lindner war zögerlich

Doch dann wurde es ruhig um Deutschland. Im März dieses Jahres trafen sich französische Ministerinnen und Minister mit EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides und EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton, um den Prozess anzustoßen. 16 EU-Staaten hatten sich zwischenzeitlich mit einer gemeinsamen Erklärung hinter das Konzept gestellt – Deutschland war nicht dabei.

Einem Bericht des Handelsblatts zufolge stand die deutsche Beteiligung zu dieser Zeit nämlich auf der Kippe: Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) habe mit Blick auf die anstehenden Sonderausgaben wegen des Ukrainekriegs und anderer Krisen sowie die Schuldenbremse, die er im kommenden Jahr einhalten will, mehrere hundert Millionen Euro teure Unterstützungs­zahlungen an die Pharmaindustrie vermeiden wollen.

Das hat sich nun geändert. Bei den Verhandlungen für den Bundeshaushalt 2023 haben sich die Ampelpar­teien darauf geeinigt, dass sich Deutschland mit 185 Millionen Euro am IPCEI Heath zu beteiligen.

Es handele sich um „ein wichtiges Signal für die forschenden Pharmaunternehmen hierzulande“, erklärte die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Verena Hubertz. „Die neuen Investitionen in die Schlüsselbranche tra­gen zum Erhalt unserer internationalen Wettbewerbsfähigkeit bei. Deutsche Unternehmen profitieren erheb­lich davon.“

Mit rund einer Million Beschäftigten sei die industrielle Gesundheitswirtschaft ein Jobmotor auf Augenhöhe mit der Automobilindustrie, der zum Wohlstand Deutschlands beitrage, stimmte auch die zuständige Bericht­erstatterin der SPD, Gabriele Katzmarek, ein.

Arzneimittelhersteller begrüßen die Förderung

Ebenso erfreut zeigt sich die Industrie selbst. „Mit dem IPCEI haben wir jetzt die Voraussetzungen, um wich­tige Projekte europaweit voranzutreiben“, erklärte heute Han Steutel, Präsident des Verbands forschender Arzneimittelhersteller (vfa).

Allerdings handele es sich noch nicht um eine konsistente Gesamtstrategie, kritisiert Steutel – und spielt damit auf das jüngst verabschiedete GKV-Finanzstabilisierungsgesetz an, das auch Einsparpotenziale bei der Pharmaindustrie berücksichtigt hatte. Folge sei, dass der Refinanzierungsrahmen bei Marktreife in Deutsch­land nicht mehr stimme und das Spargesetz damit der natürlich Feind eines europäischen Investitionspro­gramms sei.

lau

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