Politik

Digitalisierung: Langfristige Strategie und genaues Zielbild benötigt

  • Freitag, 5. Mai 2023
Beim Digitalforum Gesundheit diskutierten (v.li.) Jochen Werner (Universitätsklinikum Essen), Johannes Danckert (Vivantes - Netzwerk für Gesundheit). Markus Leyck Dieken (Gematik), Sylvia Thun (Berlin Institute of Health) und BMG-Abteilungsleiterin Susanne Ozegowski. Moderiert wurde die Runde von Rebecca Beerheide, Leiterin der Politikredaktion des Deutschen Ärzteblattes (von links) /Kurz
Beim Digitalforum Gesundheit diskutierten (v.li.) Jochen Werner (Universitätsklinikum Essen), Johannes Danckert (Vivantes - Netzwerk für Gesundheit). Markus Leyck Dieken (Gematik), Sylvia Thun (Berlin Institute of Health) und BMG-Abteilungsleiterin Susanne Ozegowski. Moderiert wurde die Runde von Rebecca Beerheide, Leiterin der Politikredaktion des Deutschen Ärzteblattes /Kurz

Berlin – Bei der Digitalisierung im Gesundheitswesen braucht es eine stärkere Definition des Zielbildes, in welche Richtung das System gesteuert werden sollte. Das betonte Jochen Werner, ärztlicher Direktor und Vorstandsvorsitzender des Universitätsklinikums Essen, heute beim Digitalforum Gesundheit.

Wichtig sei, den Ärztinnen und Ärzten mehr Zeit am Patientenbett zu ermöglichen und sie durch digitale Pro­zesse zu entlasten, sagte Werner. Mit den aktuellen Digitalisierungsvorhaben ist er sich allerdings nicht sicher, ob dieses Ziel tatsächlich auch erreicht werden könne. Eine wichtige Rolle spiele daher eine langfristige Stra­tegie, die etwa auf zwölf Jahre angelegt sei und auch mit wechselnden Bundesregierungen in die gleiche Richtung steuere.

Zudem brauche es eine bessere Kommunikation bezüglich der Digitalisierungsvorhaben. Patienten müssten verstehen, warum Ärzte mit Unterstützung von Algorithmen oder Anwendungen, die auf Künstlicher Intelli­genz (KI) basieren, künftig viel bessere Arbeit leisten könnten. Hier brauche es einen Kulturwandel und eine deutlichere Kommunikation über den Nutzen der Digitalisierung, forderte Werner.

Der Vorsitzende der Geschäftsführung des Vivantes-Netzwerks für Gesundheit, Johannes Danckert, erklärte, dass Algorithmen bei der Analyse von Bildgebung bereits heute schon bessere Arbeit leisten könnten als etwa manche Assistenzärzte im Bereitschaftsdienst. Allerdings sei es schwierig, dies auch den Ärztinnen und Ärzten sowie Patienten zu vermitteln. Hauptproblem sei, dass kaum ein Arzt oder eine Ärztin zugeben würde, dass er oder sie sich etwa bei einer Diagnose geirrt habe oder bei einem Fall nicht weiter weiß.

Hauptproblem Datenschutz

Zudem habe der Datenschutz nach wie vor zu viel Einfluss auf die Medizin, kritisierte Sylvia Thun, Direktorin für E-Health und Interoperabilität am Berlin Institute of Health (BIH) an der Charité. „Der Datenschutz beein­flusst uns so sehr, dass wir unsere Arbeit nicht mehr wirklich anständig machen können. Das wollen wir nicht“, betonte Thun.

Sie hofft, dass die geplanten Digitalisierungsgesetze des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) sowie das Forschungsdatengesetz, das beim Bundesforschungsministerium (BMBF) angesiedelt sei, diesbezüglich auch zusammengedacht werden und daraus nicht weitere Datensilos entstünden.

Auch der Vorstandsvorsitzende der Berliner Charité, Heyo Kroemer, sieht den Datenschutz als großes Hinder­nis der Digitalisierung. Das Vorhaben RACOON, mit dem Daten zu COVID-19 und Lungenerkrankungen in allen Unikliniken Deutschlands gesammelt werden, konnte zu Pandemiezeiten nach einem halben Jahr ins Leben gerufen werden.

Allerdings konnten die Daten nicht genutzt werden, weil es bezüglich der Datenschutz­be­stimmungen keine Einigung gab, berichtete Kroemer. Die deutschlandweiten Landesdatenschutzbehörden hätten sich demnach zwei Jahre lang entsprechend ab­gestimmt. Zur besseren Koordinierung der Behörden wurde extra für das Forschungsvorhaben eine Taskforce eingerichtet.

Kroemer forderte deshalb bundeseinheitliche Vorlagen für Datenschutzfolgeabschätzungen (DFSA). Zudem sollte es bundesweit akzeptierte Handreichungen beim Datenschutz geben. Hier sei die Rechtslage aufgrund verschiedener Landesdatenschutzgesetze, Landeskrankenhausgesetze sowie unterschiedlicher Forschungs­klauseln unklar und werde von allen Behörden unterschiedlich ausgelegt.

Diese Problematik hat auch die Politik erkannt. Die Abteilungsleiterin für Digitalisierung und Innovation im BMG, Susanne Ozegowski, kündigte heute eine „federführende Datenschutzaufsicht“ an, die stellvertretend für alle anderen Datenschutzbehörden in Deutschland sprechen solle und mit der sich Forschende oder Universi­tätskliniken lediglich abstimmen müssten.

Das bedeutet, dass eine der zuständigen Datenschutzaufsichtsbehörden künftig die zentrale Ansprechstelle sein und die Tätigkeiten der unterschiedlichen Aufsichtsbehörden koordinieren soll. Damit soll auf ein abge­stimmtes und einheitliches Vorgehen hingewirkt werden, sagte eine BMG-Sprecherin dem Deutschen Ärzte­blatt. Diese Regelung soll in die geplanten Digitalisierungsgesetze kommen, die in den kommenden Wochen in die Ressortabstimmung der Bundesregierung gehen sollen.

Demografischer Wandel führt zu Arbeiterlosigkeit

Kroemer wies darüber hinaus auch auf die Herausforderungen des demografischen Wandels hin. Durch die Verschiebung der Alterspyramide handele es sich nicht um einen temporären Fachkräftemangel, sondern um ein dauerhaftes Problem. Dass Viele Personalprobleme auf den Fachkräftemangel schieben würden, sugge­riere aber, dass der Mangel durch Wettbewerb ausgeglichen werden könne.

Vielmehr gebe es eine Arbeiterlosigkeit, die in den kommenden Jahren weiter verschärfe und im Gesundheits­wesen deutlich zu spüren sein werde. Diese Herausforderungen seien unter anderem auch der Grund, warum die Digitalisierung vorangetrieben werden müsse. „Wir müssen in diesem Digitalisierungsverhalten der Me­dizin weiterkommen, sonst haben wir keine Chance das System auf dem derzeitigen Niveau zu halten“, be­tonte Kroemer.

Zudem sei es Kroemer zufolge wichtig, die Digitalisierung des Gesundheitswesens aus Deutschland und Eu­ropa herauszudenken. Chinesische Firmen stünden etwa in den Startlöchern und würden in ein paar Jahren auch mit ihren Digitalisierungsvorhaben in der Medizin nach Deutschland kommen, prognostizierte er. „Wenn wir uns nicht selbst digitalisieren, dann werden wir durch andere digitalisiert“, sagte Kroemer.

cmk

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