Experten für bessere Finanzierung des mit dem Kinderschutzgesetz entstehenden Mehraufwands

Berlin – Detailkritik und Verbesserungsvorschläge wurden gestern bei der öffentlichen Anhörung im Bundesfamilienausschuss zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Stärkung der Strukturen gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen laut. Gefordert wurde unter anderem eine bessere Finanzierung des mit dem Gesetz entstehenden Mehraufwands. Grundsätzlich hat der Gesetzentwurf aber Zustimmung bei den Experten gefunden.
Mit dem Kinderschutzgesetz soll das Amt der oder des Unabhängigen Beauftragten der Bundesregierung für Fragen des sexuellen Kindermissbrauchs (UBSKM) dauerhaft verankert werden, ebenso der Betroffenenrat und die Unabhängige Aufarbeitungskommission. Der oder die UBSKM soll dem Bundestag regelmäßig einen Bericht zu sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche vorlegen sowie Maßnahmen zur Verbesserung empfehlen.
Die derzeitige UBSKM, Kerstin Claus, sprach in der Anhörung von einem „Meilenstein“. Elementar sei die regelmäßige Berichtspflicht an Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung. Damit werde es möglich, Lücken im Beratungs- und Hilfesystem zu adressieren.
Der Kinder- und Jugendpsychiater Jörg M. Fegert, der 2010 von der ersten UBSKM mit der Begleitforschung beauftragt worden war, forderte eine Berichtspflicht nicht nur einmal pro Legislaturperiode, sondern jährlich oder mindestens alle zwei Jahre. Letzteres kristallisierte sich im Verlauf der Anhörung als Konsens heraus.
Weiter sieht das Kinderschutzgesetz unter anderem vor, die Akteneinsichts- und Auskunftsrechte in der Kinder- und Jugendhilfe zu verbessern. Dauerhaft soll ein Beratungssystem für Betroffene durch den Bund zur Unterstützung der individuellen Aufarbeitung der Gewalt bereitgestellt werden. Außerdem werden mit dem Gesetzentwurf Schutzkonzepte in der Kinder- und Jugendhilfe verbindlich geregelt.
Schließlich sieht der Gesetzentwurf vor, die Medizinische Kinderschutzhotline (MKS) als Beratungsangebot für Angehörige des Gesundheitswesens, die Kinder und Jugendhilfe sowie Familiengericht dauerhaft verankert werden. Unter der Nummer 0800-1921000 beraten Fachärztinnen und -ärzte bundesweit, kostenfrei und 24 Stunden zu allen Verdachtsfällen.
Die Präsidentin des Kinderschutzbundes, Sabine Andresen, forderte wie auch mehrere weitere Sachverständige, zur Erreichung der Ziele des Kinderschutzgesetzes vor, „die finanziellen und personellen Ressourcen zu stärken“. Das sei bisher nicht in ausreichendem Maße vorgesehen.
Die kommunalen Spitzenverbände wiesen in einer schriftlichen Stellungnahme darauf hin, dass etwa durch das erweiterte Recht auf Akteneinsicht bei den Jugendämtern ein Mehraufwand entstehe, für den der Gesetzentwurf keinen finanziellen Ausgleich vorsehe.
Beratungsangebote stärken
Silke Noack von der Nationalen Informations- und Beratungsstelle bei sexualisierter Gewalt in Kindheit und Jugend wies auf die Notwendigkeit einer guten Erreichbarkeit von Beratungsangeboten für Betroffene hin, um die Zugangsschwelle niedrig zu halten. Es gebe viel zu wenig Fachberatungsstellen und diese seien damit oft zu weit entfernt.
Auch Angela Marquardt, Mitglied des Betroffenenrates bei der UBSKM, kritisierte eine unzureichende finanzielle Unterlegung des Gesetzentwurfs. „Kostenneutral wird das nicht gehen“, erklärte sie im Blick auf die erweiterten Aufgaben, „man kann nicht all die Dinge im Ehrenamt leisten“.
Mehrere Sachverständige kritisierten, dass der Bereich, für den ein Recht auf Akteneinsicht geschaffen werden soll, zu eng gefasst ist. So seien zum Beispiel Unterlagen aus Kinderschutzverfahren der Akteneinsicht entzogen, bemängelte Karin Böllert, Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe.
Franziska Drohsel, Rechtsreferentin der Bundeskoordinierung Spezialisierter Fachberatung gegen sexualisierte Gewalt in Kindheit und Jugend als Vertretung von rund 360 Beratungsstellen, sprach sich für die Aufnahme eines Zeugnisverweigerungsrechts für Betroffene von Missbrauch in Strafverfahren auf. Dies würde es vielen erleichtern, eine Beratung aufzusuchen und über das Erlebte zu sprechen.
Mehrere Sachverständige bemängelten wie auch der Generalsekretär und Geschäftsführer des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Marc Frings, die vorgesehene Altersgrenze von 50 Jahren für das Recht auf Akteneinsicht. Sehr oft komme das Bedürfnis oder die Bereitschaft zur Aufarbeitung der Jugenderlebnisse erst im höheren Alter.
Mehrfach kritisiert wurde auch der Geltungsbereich des geplanten Gesetzes, der sich im Wesentlichen auf staatliche und staatlich geförderte Einrichtungen der Jugendhilfe erstreckt. Der Psychologe Heinz Kindler vom Deutschen Jugendinstitut erinnerte an das „sehr viel weitergehende“ Schutzkonzept des 2010 einberufenen Runden Tischs Sexueller Kindesmissbrauch, das alle Angebote für Minderjährige bis hin zu Jugendreisen und Musikschulen umfasse.
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