Politik

Lindners Etatpläne: Strikter Haushaltskurs, Gesundheitsetat zusammengestrichen

  • Dienstag, 4. Juli 2023
/picture alliance, Daniel Kalker
/picture alliance, Daniel Kalker

Berlin – Eigentlich ist es üblich, dass die Eckpunkte für den Haushalt eines kommenden Jahres im März vom Bundes­kabi­nett verabschiedet werden. Das aber schaffte die Ampelkoalition nicht. Das Bundeskabinett will nun morgen über den Entwurf für den Bundeshaushalt 2024 beraten.

Was am Ende in den Haushaltsbera­tungen im Haushaltsausschuss des Bundestags passiert, steht auf einem anderen Blatt. Die Pläne sehen aber derzeit – um die Schuldenbremse einhalten zu können – Einsparungen in fast allen Bereichen vor.

Beson­ders stark trifft es die Sozialversicherungen. Geht es nach dem Willen des Bundesfinanzministers Chris­tian Lindner (FDP) entfällt im Jahr 2024 der Steuer­zuschuss in Höhe von einer Milliarde Euro zur Pflegeversi­cherung. Bundesge­sundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) will infolge im kommenden Jahr die Zuweisung an den Pflegevor­sorgefonds aussetzen.

Darüber hinaus sollen der Zuschuss an die Rentenkassen reduziert und der Zuschuss für die gesetzliche Krankenversicherung eingefroren werden. Es gibt allerdings Warnungen, dass deswegen die Beiträge steigen dürften. Auch bei weiteren Sozialleistungen gibt es Abstriche, etwa beim Elterngeld. Insgesamt müssen fast alle Ressorts 2024 und 2025 einen Einsparbeitrag von insgesamt rund 3,5 Milliarden Euro pro Jahr erbringen.

Der Wehretat wird im Vergleich zur bisherigen Finanzplanung um 1,7 Milliarden Euro aufgestockt. Gekürzt wird aber auch hier: Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) hatte eigentlich einen Mehrbedarf von rund zehn Milliarden Euro angemeldet.

Mehr Geld fließen soll vor allem in Klimaschutz und den Ausbau der digitalen Infrastruktur, außerdem in Ausbau und Sanierung des maroden Schienennetzes. Ebenfalls einen Zuwachs im Vergleich zur bisherigen Finanzplanung verzeichnen die Bereiche Entwicklung und humanitäre Hilfe.

Die Nettokreditaufnahme soll im kommenden Jahr 16,6 Milliarden Euro betragen. Die Schuldenbremse im Grundgesetz würde damit wieder knapp eingehalten, nachdem die Regierung seit 2020 jeweils von einer Ausnahmeklausel Gebrauch machen musste – zunächst wegen der Coronapandemie und dann auch wegen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine. 2025 soll die Neuverschuldung 16,0 Milliarden Euro betragen, 2026 dann 15,4 Milliarden Euro und 2027 noch 15,0 Milliarden Euro.

Insgesamt sind im kommenden Jahr 445,7 Milliarden Euro für Ausgaben des Bundes vorgesehen. Das sind deutlich weniger als die Ausgaben 2022 von 481,3 Milliarden Euro und die geplanten Ausgaben für das laufende Jahr von 476,3 Milliarden Euro. In den kommenden Jahren soll das Haushaltsvolumen wieder leicht ansteigen. Für 2025 sind Ausgaben von 451,8 Milliarden Euro vorgesehen, für 2026 von 460,3 Milliarden Euro und für 2027 von 467,2 Milliarden Euro.

Trotz der Konsolidierungsmaßnahmen bestehe in den Jahren 2025 bis 2027 ein haushaltspolitischer „Hand­lungsbedarf“ von 14,4 Milliarden Euro, hieß es aus dem Finanzministerium. Man könnte auch von Haushalts­löchern sprechen. Dieses Geld muss also noch eingespart werden. Es drohen weitere Verteilungskämpfe in­ner­halb der Bundesregierung. Als denkbar gilt zudem, dass Subventionen gestrichen werden. Steuererhöhun­gen schließt die FDP aus.

In den kommenden Jahren werde man nun einen „strikten Haushaltskurs“ verfolgen, um Handlungsspielräume für die Zukunft zu eröffnen, wie es aus dem Finanzministerium zum Entwurf für den Etat 2024 sowie den Finanzplan bis 2027 hieß. Ausgaben und Maßnahmen müssten priorisiert, Einsparpotenziale identifiziert und realisiert werden.

Unions-Fraktionsvize Mathias Middelberg (CDU) kritisierte, Lindner spiele die „Show eines harten Sparkom­mis­sars“. Tatsächlich feilsche er mit seinen Ampelpartnern wochenlang nur um Kleckerbeträge. „Man schleppt sich gerade über das nächste Jahr.“

Weiter Ärger um Kindergrundsicherung

Immer noch nicht gelöst ist der Streit darüber, wie die Kindergrundsicherung finanziert werden soll. Sie soll Leistungen wie das Kindergeld, das Kinderbürgergeld, den Kinderzuschlag und solche aus dem Bildungs- und Teilhabepaket zusammenführen, um Kinderarmut besser zu bekämpfen.

Für die Auswirkungen der Digitalisierung der Verfahren im Zusammenhang mit der Kindergrundsicherung soll nun ab 2025 Vorsorge von zwei Milliarden Euro pro Jahr getroffen werden, wie es in der Kabinettsvorlage heißt. Das ist deutlich weniger als die zwölf Milliarden Euro, die Familienministerin Lisa Paus (Grüne) gefor­dert hatte. Paus möchte zudem Leistungen erhöhen.

Gestern Abend kam Bewegung in den Zwist: In einem Brief schrieb Bundeskanzler Scholz an Paus, bis Ende August solle ein innerhalb der Bundesregierung „geeinter“ Entwurf vorliegen. Entlang der vorliegenden Eck­punkte solle Paus' Ministerium den neuen Gesetzentwurf nun zügig erarbeiten beziehungsweise ergänzen. Zuerst hatte das ARD-Hauptstadtstudio berichtet.

Hinsichtlich der mit der Einführung der Kindergrundsicherung beabsichtigen Leistungsverbesserungen bittet Scholz Paus, Alternativen zu erarbeiten – darunter eine, die ausschließlich den Kindersofortzuschlag bein­hal­te, sowie verschiedene weitere, die das „soziokulturelle Existenzminimum“ für Kinder neu berechne. Wie es mit der Kindergrundsicherung nun konkret weitergeht, bleibt damit offen, bis das politische Berlin im August aus der Sommerpause zurückkehrt.

Krankenkassen entsetzt

Die DAK Gesundheit wies gestern darauf hin, dass der Anteil des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) am Gesamtetat des Bundes im kommenden Jahr einen Tiefstwert erreichen werde. Von 445,7 Milliarden Euro an Ausgaben im Jahr 2024 entfielen 16,2 Milliarden Euro auf das BMG – das seien 3,64 Prozent.

„Der von der Ampelregierung aufgestellte Bundeshaushalt ist ein sozialpolitischer Offenbarungseid“, kritisiert der DAK-Vorstandsvorsitzende Andreas Storm. Die Kürzungen im Etat des Bundesgesundheitsministeriums führten zu einer Umverteilung von den Steuer- auf die Beitragszahlenden und treffen damit die Schwächsten in unserer Gesellschaft am härtesten.

Besonders kritisch sieht Storm die erneute Sparanstrengung des BMG. „Anstatt die Pflegeversicherung gene­ra­tionengerecht für die Zukunft aufzustellen, wird nun der Pflegevorsorgefonds ausgehöhlt“, sagte Storm. „Während in der Rentenversicherung der Einstieg in eine Teilkapitaldeckung beschlossen ist, wird diese in der Pflegeversicherung wieder abgebaut. Dieses widersprüchliche Vorgehen der Bundesregierung ist nicht zu vermitteln.“

Der Pflegevorsorgefonds war 2015 von der Großen Koalition eingeführt worden, auch Lauterbach war daran beteiligt. „Eine nachhaltige Finanzierung der Pflege ist dringender denn je, doch stattdessen schwächt der Minister das einzige Element der Teilkapitaldeckung, das wir in der Sozialversicherung haben“, so Storm. „Zusammen mit den völlig unzureichenden Änderungen im Pflegeunterstützungs- und -entlastungsgesetz (PUEG) ergibt sich ein verheerendes Gesamtbild: So fährt die Politik die Pflege gegen die Wand.“

Storm appelliert an die Bundesregierung, die nachhaltige Finanzierung von Gesundheit und Pflege müsse eine andere Priorität bekommen. „Mindestens der Einstieg in die Übernahme der Kosten für Bürgergeldbe­ziehende muss noch in dieser Wahlperiode vollzogen werden,“ fordert Storm. Zuletzt hatte das BMG beim Hauptstadtkongress im Juni signalisiert, Storms Vorschlag einer stufenweisen Erstattung dieser Kosten zu prüfen.

„Die Ampel ist 2021 mit dem Versprechen angetreten, die gesetzliche Krankenversicherung und die soziale Pflegeversicherung nachhaltig zu stabilisieren. Was wir seither aber erleben müssen, ist de facto die Fort­setzung des Kurses der Vorgängerregierung“, monierte die Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, Carola Reimann.

Die Koalitionszusagen über eine angemessene Gegenfinanzierung der Gesundheitsversorgung von Bürger­geldempfängern sowie von versicherungsfremden Leistungen seien immer noch nicht eingelöst. Stattdessen regiere weiter das Spardiktat. In der Folge würden die Beitragszahlenden immer wieder einseitig belastet, Kassen zum Rücklagenabbau gezwungen und der Pflegevorsorgefonds in Frage gestellt.

Auch die Diakonie Deutschland warnte davor, bei der Finanzierung der Pflegeversicherung allein auf die Versicherten zu setzen. „Statt die Pflegeversicherung endlich auf finanziell solide Füße zu stellen, werden jetzt alle Kosten auf die Versicherten abgewälzt“, bemängelte Vorständin Sozialpolitik der Diakonie, Maria Loheide.

dpa/afp/may

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