Notfallreform: Es braucht Mut zu Veränderungen

Berlin/Frankfurt am Main – Bei der Notfallreform fehlt es nicht an Expertise für eine Neuordnung, es fehlt an Mut und Tatkraft, neue Regelungen für die richtige Patientensteuerung in Notaufnahmen und Notdienstzeiten vorzunehmen. Diese Botschaft teilten viele Diskutanten eines Forums, den der Verband der Ersatzkassen (vdek) Hessen in Frankfurt am Main zum Reformbedarf in der Notfallversorgung organisiert hatte.
Für Reformen warb besonders Janosch Dahmen, gesundheitspolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion der Grünen. „Es gibt genug Modellprojekte, Bund und Länder müssen gute Projekte nun in die Tat umsetzen“, sagte er in einer Videobotschaft. Aus seiner Sicht muss die Gesetzgebung darauf achten, dass die „Lösungen vom Patienten her gedacht“ sind.
„Das System muss eine Antwort darauf finden, wo das Bedürfnis des Patienten in seiner dringlichen Notsituation richtig versorgt werden kann“, so Dahmen weiter. Daher sei es wichtig, bundesweit eine bessere Vernetzung und Steuerung der Notrufnummern 116117 sowie der 112 zu organisieren. Die Antworten, die dort auf die jeweiligen Notsituationen gegeben würden, müssten viel differenzierter werden als heute, so Dahmen weiter.
In einem Gesetzentwurf, der aus seiner Sicht noch vor der parlamentarischen Sommerpause vorliegen wird, setzt er sich dafür ein, dass der Rettungsdienst ins Sozialgesetzbuch V übernommen wird. „Wir müssen jetzt den Schritt gehen“, so Dahmen. Er hatte zu der Frage, ob der Rettungsdienst in das Sozialgesetzbuch aufgenommen werden kann und damit unter die Gesetzgebungshoheit des Bundes fallen würde, ein Gutachten beim wissenschaftlichen Dienst des Bundestages in Auftrag gegeben.
Die Eigenheiten des Rettungsdienstes, zu denen auch die Gefahrenabwehr gehöre, müsse bei einer Reform aber berücksichtigt werden, betonte Sonja Optendrenk, Staatssekretärin im Hessischen Ministerium für Familie, Senioren, Sport, Gesundheit und Pflege. Es stehe außer Frage, dass viele Menschen, die im Rettungs- und Notdienst versorgt werden, nicht dort hingehörten.
„Wir müssen die zwei Welten zusammenbringen und auch deren Motive zusammen denken. Denn die Grenzen vom Rettungsdienst und der Notfallversorgung sind oft größer als die der ambulanten und stationären Versorgung“, so Optendrenk, die vor der Berufung zur Staatssekretärin lange Zeit im Bundesgesundheitsministerium (BMG) gearbeitet hat.
Hessen sieht sie beim Kommunikationsprojekt IVENA gut aufgestellt, auch soll im künftigen hessischen Pakt für das Gesundheitswesen die Patientensteuerung stärker in den Blick genommen werden. Optendrenk forderte auch mehr Kommunikation mit dem Bund über eine Notfallreform. Diese müsse im Vergleich zum Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz deutlich verbessert werden.
Leitstellen schlecht aufgestellt
Die Organisation des Notdienstes in Deutschland bewertete Christof Chwojka, Geschäftsführer der Björn-Steiger-Stiftung und früherer Geschäftsführer Notruf Niederösterreich, wenig positiv. „Die deutschen Leitstellen sind leider schlecht“, sagte Chwojka in Frankfurt am Main. Der Ist-Zustand, in dem Patienten nicht wissen, wo sie anrufen, müsse sich dringend verändern.
„Der Patient muss nicht wissen, wohin es geht, wir steuern die Patienten zum besten Punkt.“ Dazu benötige es in den künftigen Leitstellen „völlig neues Personal“, das aber ganz unterschiedlich ausgebildet werden müsse. Er bezeichnete Ideen aus einigen Bundesländern als „absurd“, die dreijährige Notfallausbildungen für den Telefondienst installieren wollen. Kritisch betrachtet er, dass sich die Kompetenzen von Notfallsanitätern von Landkreis zu Landkreis unterschieden.
Er kritisierte auch, dass in Deutschland nur ein Drittel der Reanimationen am Telefon angeleitet werden. „Das muss man nur vorlesen, was in der Situation gemacht werden muss.“ Die Software Smed, die von den Kassenärztlichen Vereinigungen entwickelt wurde, sei zwar „schon gut, braucht aber jetzt mehr Beratungsinhalte“, so Chwojka.
Er warb dafür, künftig Gesundheitsleitstellen aufzubauen, in denen alle, von Patienten empfundene Notfälle, gesteuert werden. Man könne sich beispielsweise vorstellen, dass je nach Schwere des Falles die Leitstelle Termine in Notaufnahmen oder bei niedergelassenen Ärzten vornehme, je nach Dringlichkeit sofort, binnen vier Stunden oder am nächsten Tag.
Aus Untersuchungen aus Niederösterreich werde deutlich, dass rund 77 Prozent der dortigen Anrufer bei den Gesundheitsleitstellen sich auch an die gebuchten Termine in der vorgegebenen Zeit hielten. „Das hatten wir nicht erwartet“, betonte Chwojka.
Dass der Bund sich die Gesetzgebungskompetenz für den Rettungsdienst zuschreiben kann, bestätigte Ulrich Wenner, ehemaliger Vorsitzender Richter am Bundessozialgericht (BSG). Er betonte, der Bund könne aus seiner Sicht über seine Gesetzgebungskompetenz für die Sozialversicherung die „Ansprüche der Versicherten auf Leistungen des Rettungsdienstes, die Anforderungen an die Qualität dieser Leistungen und den rechtlichen Rahmen für die Preisbindung regeln“.
In der Ausgestaltung des Gesetzes sei es dann aber nicht ganz einfach, die Organisation des Rettungsdienstes als Teil der Gefahrenabwehr – und damit als Aufgabe der Länder – von dem Teil der Gesundheitsversorgung zu trennen. „Hier kommt es zu verfassungsrechtlichen Risiken. Diese sind aber nicht größer als bei den aktuellen Vorhaben zur Krankenhausreform.“
Wenner gab zu bedenken, dass die Länder auch bei einer möglichen Gesetzgebung durch den Bund, frei in ihrer Entscheidung bleiben würden, wie sie den Rettungsdienst organisierten. Hier gebe es sehr unterschiedliche Modelle, ob der Rettungsdienst eine Landesaufgabe, eine Pflichtaufgabe der Landkreise oder als deren Selbstverwaltungsaufgabe gesehen werde. Aus seiner Sicht brauche es viel Mut, wenn man Gremien installieren wolle, in denen Krankenkassen und Träger von Rettungsdiensten gemeinsame Qualitätsstandards festlegen sollten.
In der Diskussion mit Vertretern aus den hessischen Landkreisen, der Politik sowie den Rettungsleitstellen und der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) wurde allerdings auch deutlich, dass viele Akteure sich schon gut aufgestellt sehen. „Wir als KV haben uns auf die Fahnen geschrieben, die Notfallversorgung in Hessen aktiv zu gestalten“, betonte Armin Beck, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen.
So gebe es in den Kliniken Frankfurt-Höchst und Darmstadt einen gemeinsamen Tresen von Krankenhaus und ärztlichem Bereitschaftsdienst. Zudem werde in einem Modellprojekt die sektorenübergreifende ambulante Notfallversorgung erprobt. „Wir setzen auf die Vernetzung von Rettungsdienst und ambulanter Versorgung. Dabei fährt der Rettungsdienst Patientinnen und Patienten, die keine Notfallversorgung benötigen, in die Arztpraxis oder in die ärztliche Bereitschaftsdienstzentrale“, so Beck weiter.
Für den Geschäftsführer des DRK Rettungsdienst Mittelhessen, Markus Müller, stehen „Gefahrenabwehr und Patientensicherheit nicht im Widerspruch.“ Er befürwortet auch, dass das Spektrum der möglichen Reaktionen auf das Suchen von Hilfe größer werden müsse. „Dazu müssen wir uns öffnen und vernetzen“, so Müller.
Aber: „Bei allen Veränderungen darf die Perspektive derer, die die Arbeit leisten, niemals aus dem Blick verloren werden.“ Diese Perspektive betont auch Ben Michael Risch vom Hessischen Gesundheitsministerium: „Wichtig ist, dass bei einer Reform der Notfallversorgung gerade auch im Rettungsdienst darauf geachtet wird, dass die Ressourcen sinnvoll eingesetzt werden und das Personal in der Notfallversorgung spürbar entlastet wird.“
Für Boris von Maydell, Abteilungsleiter Ambulante Versorgung des Verbands der Ersatzkassen, ist es zwingend, dass nun die digitale Vernetzung der Leitstellen und der Rufnummern 116117 sowie 112 kommt. „Es wäre wichtig, die heutigen Leitstellen zu Gesundheitsleitstellen auszubauen, von wo aus neben dem Rettungsdienst- oder Notarzteinsatz auch andere Versorgungsangebote, wie eine pflegerische Notfallversorgung oder der psychosoziale Notdienst, angesteuert werden können“, so von Maydell weiter. Nach seinen Angaben seien die Ausgaben für Rettungswagen in den vergangenen zehn Jahren um 161 Prozent gestiegen und liegen derzeit über vier Milliarden Euro.
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