Politik

Positive Resonanz auf beabsichtigten Ausbau der Suizidprävention

  • Donnerstag, 6. Juli 2023
/Zerbor, stock.adobe.com
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Berlin – Die Suizidprävention soll in Deutschland gesetzlich gestärkt werden – die Suizidbeihilfe bleibt da­gegen vorerst weiterhin ungeregelt. Dies ist das Ergebnis der heutigen Abstimmung im Bundestag, bei der keiner der beiden vorgelegten Gesetzentwürfe zu einer Neuregelung der Hilfe zur Selbsttötung die notwen­dige Mehrheit fand. Dafür sprach sich aber eine überwältigende Mehrheit für eine Stärkung der Suizidprä­vention aus. Das stieß auf eine positive Reso­nanz in der Ärzteschaft.

„Es ist richtig, dass der Bundestag heute noch keine Entscheidung über ein Suizidhilfegesetz getroffen hat“, sagte der Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), Klaus Reinhardt. Das wäre im dichtgedrängten Sitzungs­betrieb der letzten Sitzungswoche der Sache nicht angemessen gewesen.

Er betonte, es gebe nun Zeit für die noch nicht ausreichend geführte gesamtgesellschaftliche Debatte. „Und es gibt Zeit, bei diesem wichtigen Thema den ersten Schritt vor dem zweiten zu tun: Wir brauchen zunächst ein­mal ein umfassendes Gesetz zur Vorbeugung von Suiziden“, erklärte er. Dafür habe der Bundestag heute die Weichen gestellt.

Auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) begrüßte den vom Bundestag heute in einem Antrag eingeforderten nationalen Suizidpräventionsplan. Im Ministerium werde schon daran gearbeitet, sagte er. Jedoch bedauere er, dass keiner der Anträge eine Mehrheit gefunden habe, da die jetzige Situation eine „ge­wisse Rechtsunsicherheit“ hinterlasse. Es werde nun auch auf das eine oder andere Gerichtsurteil ankommen, wie der Rahmen für Suizidhilfe auszulegen sei.

Der vom Parlament heute verabschiedete Antrag zur Stärkung der Suizidprävention fordert die Bundesregie­rung auf, bis in einem Jahr einen Gesetzentwurf und eine Strategie für die Suizidprävention vorzulegen. Die Regelung soll unter Einbeziehung etwa der Telefonseelsorge oder sozialpsychiatrischer Dienste einen bun­des­­weiten Suizidpräventionsdienst etablieren.

Menschen mit Suizidgedanken wie auch ihren Angehörigen soll demnach rund um die Uhr online und unter einer bundeseinheitlichen Telefonnummer ein sofortiger Kontakt mit geschulten Ansprechpartnern ermög­licht werden. Darüber hinaus solle die Forschung ausgebaut werden.

Ärzteschaft, Kirchen und Interessenverbände hatten im Vorfeld vor allem auf eine Stärkung der Prävention gedrängt, zumal der allergrößte Teil der Suizidwünsche auf Krankheiten wie Depressionen oder seelische Not zurückzuführen sei. Sie hatten auch die heutige Abstimmung zur Suizidbeihilfe als unnötig übereilt bemän­gelt.

„Für die Erarbeitung des Suizidpräventionsgesetzes hat ein breites fachliches Bündnis unter Beteiligung der Bundesärztekammer mit fundierten fachlichen Empfehlungen bereits vor über einem Jahr die Voraussetzun­gen geschaffen“, erläuterte BÄK-Präsident Reinhardt. Nach dem Suizidpräventionsgesetz sei eine Regelung zur Suizidhilfe der zweite Schritt. „Wir wollen gern dazu beitragen, dafür bessere Lösungen zu finden, als sie die bisher vorgelegten Gesetzentwürfe gebracht hätten.“

Innerärztlich soll die Diskussion um den assistierten Suizid und die Rolle von Ärztinnen und Ärzten dabei weitergehen. Erst im Mai hatte der 127. Deutsche Ärztetag die Bundesärztekammer dazu aufgerufen, in ihren Gremien das Ziehen einer berufsethisch begründeten Grenze bei der ärztlichen Suizidassistenz zu prüfen.

Dazu schlugen Delegierte der Ärztekammer Berlin eine Ergänzung der ärztlichen Musterberufsordnung vor. In dieser solle einerseits betont werden, dass die Mitwirkung bei der Selbsttötung von Menschen grundsätzlich keine ärztliche Aufgabe ist. Andererseits solle festgeschrieben werden, dass sie im Einzelfall bei schwerer oder unerträglicher Erkrankung nach wohlabgewogener Gewissensentscheidung zulässig ist.

In diesem Sinne sehen viele Ärzte im vorläufigen Scheitern einer gesetzlichen Regelung zur Sterbehilfe in Deutschland eine Chance. Für die Landesärztekammer Thüringen eröffnen die heute gescheiterten Gesetzent­würfe die Möglichkeit, das Thema in der Gesellschaft nochmals gründlich zu diskutieren, sagte eine Kammer­sprecherin. „Aus Sicht der Landesärztekammer war das kein Thema für einen Schnelldurchlauf vor der Sommerpause.“ Ähnlich hatten sich in den vergangenen Tagen eine Reihe anderer Ärztekammern aus den Ländern geäußert.

Auch die Diakonie Deutschland sieht das Scheitern als Chance, um zu überzeugenderen Lösungen zu kommen. Denn beide Entwürfe hätten wichtige ethische und praktische Fragen noch offengelassen, hieß es. Diakonie-Präsident Ulrich Lilie würdigte die bisherige engagierte Debatte, die aber weitergehen müsse.

„Wir sollten in Ruhe weiter diskutieren, was Menschen mit Sterbewunsch gerecht wird, ohne dass der assis­tierte Suizid zur Normalität wird.“ Der Diakonie-Präsident appellierte an die Bundesregierung, die Suizidprä­vention und Palliativversorgung deutlich besser aufzustellen als bisher. „Ein wirksames Suizidpräventions­gesetz ist von entscheidender Be­deutung.“

Die Caritas forderte nach dem Scheitern ein neues Gesetzgebungsverfahren. „Es ist unerlässlich, dass die Anstrengungen zur Regulierung im nächsten Jahr wieder aufgegriffen werden“, sagte Caritas-Präsidentin Eva Maria Welskop-Deffaa. Es sei bedauerlich, dass auch drei Jahre nach dem entsprechenden Auftrag des Bundes­verfassungsgerichts weiterhin keine Entscheidung über einen gesetzlichen Rahmen getroffen worden sei.

Dass die Suizidassistenz nun weiterhin ohne gesetzliche Regelung bleibt, ist aus Sicht der Deutschen Gesell­schaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) nicht hinzunehmen. Die Debatte müsse weitergeführt werden und baldmöglichst in einen Gesetzesentwurf münden, kommentier­te sie das heutige Scheitern des restriktiveren Entwurfs der Gruppe um den Abgeordneten Castellucci.

Ohne gesetzliche Regelung bliebe weiter völlig offen, wer welche Angebote bekomme und wer auf welchem Weg Suizidbeihilfe erhalte. „Die Frage, ob ein Suizidwunsch auf einem freien Willen beruht oder ob eine psy­chische Erkrankung die Fähigkeit zumindest vorübergehend eingeschränkt hat, ist komplex“, sagte Andreas Meyer-Lindenberg, Präsident der DGPPN. „Deshalb ist es unbedingt nötig, Fachleute mit Expertise für psychi­sche Gesundheit und für den Umgang mit Menschen, die unter Suizidabsichten leiden, in das Verfahren einzubinden.“

Auch der Deutsche Hospiz- und PalliativVerband (DHPV) bedauert es, dass es nicht gelungen ist, ein Schutz­konzept für Suizidwillige zu implementieren und die herrschende Rechtsunsicherheit zu beenden. „In der existenziellen Frage der Durchführung der Suizidhilfe wäre eine größtmögliche Klarheit und Transparenz hinsichtlich des Prozederes und der Absicherung der Selbstbestimmung dringend notwendig gewesen“, so Winfried Hardinghaus, Vorsitzender des DHPV. „Dazu hätte es ein Schutzkonzept gebraucht. Diese Chance ist nun erstmal vertan.“

Zugleich begrüßt der Verband, dass der fraktionsübergreifend eingebrachte Antrag für ein Gesetz zur Stärkung der Suizidprävention die erforderliche Mehrheit gefunden hat. Bereits anlässlich der 1. Lesung zur Regelung der Suizidhilfe vor einem Jahr hatte der DHPV gemeinsam mit der Deutschen Gesellschaft für Suizidpräven­tion (DGS) einen Vorschlag bezüglich entsprechender Regelungen veröffentlicht.

„Es war richtig, dass der Bundestag über die organisierte Suizidbeihilfe abgestimmt und sich gegen beide Entwürfe entschieden hat. So wird Deutschland vor einem ethischen Dilemma bewahrt“, sagte der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch. Es dürften aber keine weiteren Jahre bis zur Verab­schiedung eines wirksamen Suizidpräventionsgesetzes vergehen. „Der Rechtsanspruch auf kurzfristige Sprech­stunden, Behandlungsplätze und aufsuchende Therapieangebote muss aber kommen."

Auch die Malteser geben den Auftrag an den Gesetzgeber, die konkrete Unterstützung von Menschen in suizidalen Krisen deutlich auszubauen und finanziell zu fördern. Nach ihrer Ansicht bedarf es eines weiteren Ausbaus hospizlicher und palliativer Angebote, insbesondere der allgemeinen ambulanten Palliativversorgung, sowie die Festlegung einer Fachquote Palliative Care für Pflegekräfte in der ambulanten wie auch stationären Versorgung in Einrichtungen der Pflege und in den Krankenhäusern.

„Wir sind zutiefst erleichtert, da beide Gesetzentwürfe die liberalste Regelung der Sterbehilfe weltweit darstellen würde,“ kommentierten für die Christdemokraten für das Leben die heutige Entscheidung. Es sei zu hoffen, dass nun die Forderungen aus der Ärzteschaft und den Sozialverbänden nach einer umfassenden Präventionsstrategie aufgegriffen würden und der Bundestag mit lebensschützenden statt suizidfördernden Maßnahmen reagiere.

dpa/afp/kna/may/ER

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