Politik

Reform der Notfallversorgung: Kassenärzte sollen Angebot ausweiten

  • Donnerstag, 6. Juni 2024
/picture alliance, Sven Hoppe
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Berlin – Für alle Hilfesuchenden soll eine „bundesweit einheitliche und gleichwertige Notfallversorgung“ sichergestellt werden. Dies ist das Ziel eines Referentenentwurfs für ein Gesetz zur Reform der Notfallversorgung (NotfallGesetz), welcher dem Deutschen Ärzteblatt vorliegt. Unter anderem sollen die Kassenärztlichen Vereinigungen verpflichtet werden, durchgängig eine telemedizinische sowie eine aufsuchende Versorgung bereitzustellen. Dies soll insbesondere auch für die Versorgung von Kindern- und Jugendlichen gelten.

In dem Gesetzentwurf heißt es, die Versorgungsbereiche vertragsärztlicher Notdienst, Notaufnahmen der Krankenhäuser und Rettungsdienste müssten besser vernetzt und aufeinander abgestimmt werden. Es gebe Defizite bei der effizienten Steuerung von Hilfesuchenden in die richtige Versorgungsebene, was oftmals zu Fehlsteuerung führe – die eine Überlastung von Akteuren insbesondere der Notaufnahmen und des Rettungsdienstes zur Folge haben könne.

Die bisherigen Aufgaben der Terminservicestelle im Bereich der Akutfallvermittlung sollen deshalb künftig sogenannte Akutleitstellen der Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) wahrnehmen. Diese sollen mit den Rettungsleitstellen in einem „Gesundheitsleitsystem“ vernetzt werden, wobei eine digitale Fallübergabe mit medienbruchfreier Übermittlung bereits erhobener Daten wechselseitig möglich sein soll.

Die Verfahren der Notrufabfrage der Rettungsleitstelle und das bundesweit einheitliche standardisierte Ersteinschätzungsverfahren der KVen seien als Abfragesysteme so aufeinander abzustimmen, dass es zu übereinstimmenden Bewertungen des Gesundheitszustands kommt, wird betont.

Die Akutleitstellen der KVen sollen 24 Stunden täglich und „spätestens innerhalb von drei Minuten in 75 Prozent der Anrufe und zehn Minuten in 95 Prozent der Anrufe“ erreichbar sein. Die Erreichbarkeitsvorgaben sollen spätestens sechs Monte nach Verkündung des Gesetzes erfüllt werden.

Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) will zudem den Sicherstellungsauftrag der KVen „konkretisieren“. Die notdienstliche Akutversorgung soll künftig die Beteiligung an Integrierten Notfallzentren und Integrierten Notfallzenten für Kinder und Jugendliche, durch ein „telefonisches und videounterstütztes ärztliches Versorgungsangebot 24 Stunden täglich auch durch Fachärzte für Kinder- und Jugendmedizin“ sowie „einen aufsuchenden Dienst 24 Stunden täglich“ gewährleistet werden. Kassenärztliche Vereinigungen sollen untereinander sowie mit der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) kooperieren.

Geregelt werden soll auch eine verpflichtende Beteiligung der KVen und ausgewählter Krankenhäuser an Integrierten Notfallzentren. Die Standorte für die Notfallzentren sollen von den Selbstverwaltungspartnern nach bundeseinheitlichen Rahmenvorgaben – wie etwa Erreichbarkeit und Kooperationsmöglichkeiten – im erweiterten Landesausschuss festgelegt werden.

Dies soll für Integrierte Notfallzentren für Kinder und Jugendliche an geeigneten Standorten, „an denen ein besonderer Bedarf an einer integrierten Notfallversorgungseinrichtung für Kinder und Jugendliche besteht“ erfolgen – die allgemeinen Notfallzentren sollen „flächendeckend etabliert“ werden. „Es wird damit gerechnet, dass insgesamt bundesweit circa 700 Integrierte Notfallzentren gebildet werden“, heißt es in der Begründung.

Vorgaben an ein standardisiertes digitales Ersteinschätzungsinstrument, das für Hilfesuchende einerseits die Dringlichkeit des Behandlungsbedarfs feststellt und andererseits die Bestimmung der sachgerechten Versorgungsebene innerhalb der möglichen Kooperationen ermöglicht, soll der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) in einer entsprechenden Richtlinie festlegen. Diese Richtlinie soll unter anderem auch „Mindestanforderungen an die sachliche und personelle Ausstattung der Notdienstpraxen in Integrierten Notfallzentren“ umfassen.

Ein weiterer Punkt des Gesetzentwurfs betrifft die offenen Sprechstunden, die für viele Facharztgruppen der grundversorgenden und wohnortnahen Patientenversorgung schon jetzt verbindlich sind. Ziel müsse es laut BMG sein, dass die „Patientinnen und Patienten möglichst an jedem Wochentag während der Sprechstundenzeiten die Möglichkeit haben, bei akutem Behandlungsbedarf auch ohne vorherige Terminvereinbarung eine vertragsärztliche Versorgung (in den zur offenen Sprechstunde verpflichteten Arztgruppen) in Anspruch nehmen zu können“.

Um dies zu erreichen, sollen Anpassungen an der Zulassungsverordnung für Vertragsärzte erfolgen. Unter anderem sollen im Bundesmantelvertrag „bundeseinheitliche Regelungen zur Umsetzung einer möglichst gleichmäßigen zeitlichen Verteilung der Sprechstunden“ innerhalb der verpflichteten Arztgruppen im jeweiligen Planungsbereich getroffen werden.

Zu den finanziellen Auswirkungen dieser Pläne für die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) heißt es, die nicht durch das Vergütungssystem abgedeckten Mehrkosten für die Beteiligung an Integrierten Notfallzentren und die digitale Vernetzung im Rahmen des Gesundheitsleitsystems seien derzeit nicht quantifizierbar. Der verpflichtende Ausbau des aufsuchenden KV-Dienstes auf einen 24-Stunden-Betrieb führe zu maximalen geschätzten Mehrausgaben von rund 105 Millionen Euro. Die Mehrausgaben für die Erweiterung der Aufgaben der Akutleitstellen schätzt das BMG auf etwa 45 Millionen Euro.

Diesen zusätzlichen Ausgaben stünden laut Gesetzentwurf des BMG jedoch „erhebliche finanzielle Entlastungen“ aufgrund einer verbesserten Steuerung von Versicherten und gezielteren Nutzung der Notfalleinrichtungen gegenüber.

Die Bundesvorsitzenden des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes (HÄV), Nicola Buhlinger-Göpfarth und Markus Beier, betonten in einer ersten Reaktion, dass es eine Reform der Notfallversorgung mit mehr Patientensteuerung brauche sei unbestreitbar. „So wie sie aktuell allerdings geplant ist, wird diese Reform scheitern“, so die Warnung.

Die Pläne sehen nach ihrer Einschätzung vor, Parallelstrukturen mit Personal aufzubauen, welches „es aktuell schlicht und einfach nicht gibt“. Seit Wochen warne auch die Politik vor dem Ärztemangel: „Dass jetzt – in vollem Bewusstsein dieser Tatsache – solche Vorschläge überhaupt angedacht sind, ist schlicht unseriös.“

Buhlinger-Göpfarth und Beier kritisieren die Pläne als „Silodenken einer rein krankenhauszentrierten Regierungskommission, die weder nach links noch nach rechts geblickt hat und scheinbar kein Interesse an der ambulanten Versorgung hatte“. Man appelliere dringend an die Politik, alle Seiten bei dieser wichtigen Reform mitzudenken – ansonsten sei die Notdienstreform bereits vor der Umsetzung zum Scheitern verurteilt.

Der Referentenentwurf beinhalte gute Ansätze dafür, die Steuerung der Patientinnen und Patienten in die richtige Versorgungsform maßgeblich zu verbessern, sagte hingegen Ulrike Elsner, Vorstandsvorsitzende des Verbandes der Ersatzkassen (vdek).

Nicht zu verstehen sei jedoch, warum das Thema Rettungsdienst ausgeklammert ist, so Elsner. Ohne eine Reform des Rettungsdienstes werde der 24/7-Hausbesuchsdienst, der durch die KVen neu aufgebaut werden soll, erhebliche Mehrkosten verursachen. Hier brauche es grundlegend neue Strukturen, die vor allem den Einsatz von Rettungsfahrzeugen sinnvoll und effizient organisieren und wertvolle Ressourcen einsparen.

aha/bee

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