Politik

Rettungsdienst­reform: Gemischte Reaktionen, zügige Umsetzung benötigt

  • Freitag, 8. September 2023

Berlin – Die Regierungskommission Krankenhaus hat gestern konkrete Vorschläge zur Reform der Rettungs­dienste vorgelegt. Das Gremium setzt dabei auf einheitliche Vorgaben zu Organisation, Leistungsumfang, Qualität und Bezahlung der Rettungsdienste. Die Reaktionen darauf fallen unterschiedlich aus.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) kündigte gestern eine baldige Reform der Rettungs­dienste an. Zügig sollten nun Eckpunkte erarbeitet werden, die entweder in Einzelgesetze oder gemeinsam mit der Krankenhaus- und Notfallversorgungsreform als Gesetzespaket umgesetzt werden sollten.

Das Konzept der Regierungskommission sieht insbesondere eine Einbindung der Rettungsdienste in das Sozial­gesetzbuch V vor. Zudem sollte es der Kommission zufolge künftig ähnlich wie im Krankenhausbereich eine Vorhaltefinanzierung geben.

Vorgesehen sind zudem genaue Vorgaben etwa zu Qualifikation und Weiterqualifizierung des Personals sowie Mindestpersonalausstattungen. Notfallsanitäter sollen etwa weitere Befugnisse erhalten, Notärzte nur in be­sonders komplexen Fällen eingesetzt werden. Damit soll die Qualität der Rettungsdienste verbessert werden.

Die Reformbedürftigkeit des Rettungswesens wird vonseiten der Verbände und Fachgesellschaften als auch der Politik nicht angezweifelt. Insbesondere, dass es derzeit knapp 300 eigenständige Rettungsdienstbereiche mit rund 240 Leitstellen mit 13 unterschiedlichen Organisationsformen – darunter Kommunen, Landkreise, ge­mein­nützige Hilfsorganisationen oder private Unternehmen – gibt, sorgt für Kritik. Allerdings gibt es Verbesse­rungsvorschläge oder Ergänzungen bezüglich der vorgelegten Ideen.

Der GKV-Spitzenverband (GKV-SV) hält eine Reform für dringend notwendig. Das Rettungswesen gleiche einem Flickenteppich, kritisierte Vorstandsmitglied, Stefanie Stoff-Ahnis. Sie sprach sich für die angestrebte Trennung der Finanzierung der Notfallversorgung vor Ort und des Transportes ins Krankenhaus aus, um die Notaufnah­men von weniger schweren Notfällen zu entlasten.

Eine entsprechende Vorhaltefinanzierung befürwortet Stoff-Ahnis, allerdings müsse es dafür konkrete Bedin­gungen zu Mindestanforderungen, zum Beispiel an die Qualität der Leitstellen und der Größe ihres Versor­gungs­gebietes geben. Sie begrüßt zudem, dass die Krankenkassen künftig an der Verhandlung der Entgelte beteiligt werden sollen.

Gesamtansatz inklusive Notfallversorgung benötigt

Die Reform der Akut- und Notfallversorgung könne nur in einem Gesamtansatz unter Einbeziehung des Rettungsdienstes gelingen, betonte ein Sprecher der Bundesärztekammer (BÄK). Die BÄK werde die Stellung­nahme in der kommenden Woche in einer eigens für die Notfallreform eingerichteten Arbeitsgruppe beraten, heißt es weiter.

In dem Papier seien einige Vorschläge aufgegriffen worden, die die BÄK bereits in ihrer Stellungnahme zu integrierten Notfallzentren (INZ) und integrierten Leitstellen (ILS) unterbreitet hat, darunter die Stärkung von Gesundheitskompetenz in der Bevölkerung, die effektive IT-Vernetzung aller Akteure mit definierten Schnittstellen und Datensätzen, ein digitales und vernetztes Echtzeitregister und die Berücksichtigung regionaler Besonderheiten, insbesondere in ländlichen Gebieten.

Sehr genau und kritisch werde man sich aber die Empfehlungen der Kommission zu Qualifikation und Befugnissen von Notfallsanitäterinnen und-sanitätern ansehen, betonte der BÄK-Sprecher weiter. Nach den Empfehlungen sollen Notfallsanitäterinnen und -sanitäter mit bestimmten Qualifikationen weitgehende heilkundliche Befugnisse übertragen werden. Notärztinnen und Notärzte sollen nach dem Papier präklinisch nur in besonders komplexen Fällen bezieungsweise telemedizinisch eingesetzt werden. Dies laufe faktisch auf eine Substitution notärztlicher Tätigkeit hinaus und dies ausgerechnet in einem Versorgungsbereich, in dem es oftmals um Leben und Tod geht, so der BÄK-Sprecher.

Die Deutsche Gesellschaft für Internistische Intensiv- und Notfallmedizin (DGIIN) begrüßte das vorgelegte Konzept und betonte ebenfalls die Notwendigkeit der Reform. „Es ist wichtig, dass die Organisation und Finan­zierung des Rettungsdienstes und der Leitstellen bundeseinheitlich geregelt und in das Sozialgesetzbuch V integriert werden. Nur so können deutschlandweit einheitliche Standards für den Rettungsdienst geschaffen und die Rettungsmedizin in Deutschland zielführend weiterentwickelt werden“, so der Notfallmediziner und Präsident Elect der DGIIN, Hans-Jörg Busch.

Die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) begrüßte die Vorschläge ausdrücklich. „Viele schon lange diskutierten und notwendigen Neuerungen werden in der vorliegenden Stellungnahme thematisiert“, sagte DIVI-Präsident Professor Felix Walcher. „Dieses Vorhaben wird unsererseits die größtmögliche Unterstützung erfahren“, so der Direktor der Klinik für Unfallchirurgie des Universitätsklini­kums Magdeburg.

Es gebe jedoch auch Aspekte, die nicht ausreichend berücksichtigt worden seien, überarbei­tet oder ergänzt werden müssten. Als „diskussionswürdig“ bewertet die DIVI den Vorschlag der Einführung eines Advanced Care Paramedic. „Hier muss genau betrachtet werden, welche zusätzliche Aufgaben dieser neue Beruf über­nehmen kann und welche Intentionen damit verfolgt werden“, mahnte etwa Janina Bathe.

Generell begrüßt die DIVI die Förderung der Qualität im Rettungsdienst und die bundesweite Vereinheitli­chung der Qualifikation des eingesetzten Personals. Es komme jedoch bereits jetzt auch bei Notfallsanitätern zu Personalengpässen, hieß es.

Sie regte auch an, für den Ausbau der telenotärztlichen Versorgung müsse die prähospitale Kindernotfallver­sorgung extra geplant werden. Die DIVI empfiehlt deshalb den Aufbau überregionaler Standorte mit spe­zialisierten Kindernotfallexperten.

Wichtig ist der Ausbau der Digitalisierung. „Die Reform der Akut- und Notfallmedizin steht und fällt mit dem Ausbau digitaler Strukturen in den verschie­densten in der Stellungnahme adressierten Bereichen“, sagte DIVI-Präsident Walcher.

Die digitale Vernetzung aller an der Notfallversorgung beteiligten Institutionen sowie die Anbindung des ambulanten Sektors sei längst überfällig. Die DIVI vermisst in der Stellungnahme der Regierungskommission konkrete Finanzierungsvorschläge zur Digitalisierung des Rettungsdienstes und deren Vernetzung mit den nachgeordneten Strukturen, den Notaufnahmen der Klinken und Notfallpraxen.

Bessere Zusammenarbeit im Katastrophenschutz

Allerdings fehle der Aspekt zur Zusammenarbeit der verschiedenen Einheiten im Bereich des Katastrophen­schutzes, bemängelt die DGIIN. Die vergangenen Jahre hätten gezeigt, dass es bei Großschadenslagen und besonderen Einsatzlagen eine übergreifende Kooperation zwischen Organisationsstrukturen des Katastro­phenschutzes brauche.

„Wir fordern, diesen Aspekt zu ergänzen. Die Rettungsdienste müssen mit ausreichenden Ressourcen für solche Einsätze ausgestattet werden und auch die Luftrettung muss in den Strukturen des Katastrophenschutzes berücksichtigt werden, um so gut auf ihre Spezialaufgaben wie etwa die Windenrettung vorbereitet zu sein“, so Busch.

Die Deutschen Universitätsklinika (VUD) begrüßen die Stellungnahme der Regierungskommission ebenfalls. Der Verband pocht darauf, dass die Reform der Rettungsdienste gemeinsam mit der Krankenhausreform und der Novellierung der Notfallversorgung geschehen müsse.

Bei der Organisation der Rettungsdienste fehle es bislang an einheitlicher Struktur und notwendigen Quali­täts­anforderungen, sagte der erste Vorsitzende des Verbands, Jens Scholz. „Die Krankenhäuser werden von einer Reform der Rettungsdienste profitieren, wenn zukünftig Patientinnen und Patienten gezielter in die richtige Versorgungsebene geleitet und alle relevanten Patientendaten vorab übermittelt werden.“ Dies gelte auch für den notwendigen Anstieg von Verlegungen zwischen Krankenhäusern, der absehbar sei.

Eine „wertvolle Grundlage“ nannte zudem der VUD-Generalsekretär, Jens Bussmann, die Vorschläge der Kom­mis­sion. „Für den in vielerlei Hinsicht impraktikablen Beschluss des G-BA zum Ersteinschätzungsverfahren muss außerdem im Zuge der Reform eine neue Rechtsgrundlage geschaffen werden“, forderte Bussmann.

Hausärztliche Versorgung stärken um Rettungsdienste zu entlasten

Dominik von Stillfried, Vorstandsvorsitzender des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (Zi) hebt die Bedeutung der Arztpraxen als erste Anlaufstelle im Gesundheitssystem hervor und erklärt, wer vermeidbare Notfälle reduzieren wolle, müsse in die wohnortnahe haus- und fachärztliche Grundversorgung investieren.

Insbesondere aufgrund des Ausgabenanstiegs für den Rettungsdienst in den vergangenen Jahren müsse der Rettungswagen künftig moderater eingesetzt werden, so von Stillfried. „Zum Teil kann dies im Rettungsdienst durch präzisere Einschätzung, den Einsatz von Telemedizin sowie durch Hilfeleistungen vor Ort, etwa durch Gemeindenotfallsanitäter gelingen.“

Zum Teil werde auch eine engere Abstimmung mit den vertragsärztlichen Strukturen notwendig, betonte von Stillfried. Dies beginne mit der Abstimmung der Ersteinschätzung und der digitalen Integration zwischen den Rettungsleitstellen sowie den Servicestellen der Kassenärztlichen Vereinigungen. Diese Verknüpfung hatte die Regierungskommission in ihrer vierten Stellungnahme vorgeschlagen.

Der gesundheitspolitische Sprecher der Grünen im Bundestag, Janosch Dahmen, betonte, die Ampelkoalition wolle die Reform der Notfallversorgung und der Rettungsdienste gemeinsam zügig angehen. Dabei soll die Qualität der Versorgung im Rettungsdienst verbessert sowie Chancen der Digitalisierung stärker genutzt wer­den. „Vor allem müssen bestehende Fehlanreize in der Finanzierung der Notfallversorgung beseitigt werden. Das alles rettet nicht nur den Rettungsdienst, sondern Menschenleben“, betonte Dahmen.

Er kritisierte, dass seit vielen Jahren eine „unübersichtliche Gleichzeitigkeit von Unter-, Über- und Fehlversor­gung“ wachse. Es fehle an einheitlichen Standards, Schnittstellen und Patientensteuerung. „Der Rettungsdienst ist selbst zum Notfall geworden“, sagte Dahmen. Insbesondere Fehlanreize in der Finanzierung der Notfallver­sor­gung sieht er als Grund.

Zurzeit sehen gesetzliche Regelungen lediglich vor, dass Transporte von Patienten vom Notfallort in eine Klinik abgerechnet werden können. „Das führt dazu, dass Patienten, die medizinisch besser bereits zu Hause versorgt werden könnten, unnötiger Weise in ein Krankenhaus gebracht werden“, kritisierte Dahmen.

Das sei nicht nur teuer und binde Kapazitäten der Notfallversorgung, sondern könne im Einzelfall beispiels­weise für ältere Patienten, die aus ihrer gewohnten häuslichen Umgebung herausgeholt werden, sogar gefähr­lich sein. Stattdessen brauche es künftig Notfallleitstellen, die auch in der Lage sind, weitere Hilfsangebote, wie etwa Notfallpflegeteams, psychiatrische Krisenhilfe oder Telenotfallmedizin einzusetzen, so der Notfall­mediziner.

Auch die gesundheitspolitische Sprecherin der Linken-Bundestagsfraktion, Kathrin Vogler, setzt sich für die Stärkung der Rettungsdienste ein. Es brauche Entlastung, mehr Digitalisierung und eine Reform der Zuständig­keiten sowie mehr Kompetenzen für Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitäter, so Vogler. Sie spricht sich eben­falls dafür aus, den Rettungsdienst zu einem eigenen Leistungsbereich der gesetzlichen Krankenversicherung zu machen, um die Honorierung zu verbessern.

cmk

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