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TK warnt vor Überlastung der GKV-Finanzen durch Gentherapeutika

  • Mittwoch, 6. März 2024
/Gernot Krautberger, stock.adobe.com
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Hamburg – Die Techniker Krankenkasse (TK) fordert eine Debatte über mögliche Reformen der Preisbildung bei neuartigen Gentherapien. Andererseits drohe in den kommenden Jahren eine finanzielle Überlastung des Solidarsystems der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), warnte Vorstandschef Jens Baas heute in Ham­burg.

Noch sei es nicht so weit, denn derzeit könne der Großteil der steigenden GKV-Arzneimittelausgaben durch Einsparungen bei Generika oder bei anderweitigen Behandlungen kompensiert werden, erklärte Baas bei der Vorstellung eines Reports zu den Kosten neuartiger Gentherapeutika.

Allerdings würden mittlerweile mehr als die Hälfte der Arzneimittelausgaben auf neue Wirkstoffe entfallen. „Die patentgeschützten Arzneimittel werden mittelfristig die Gesamtausgaben dominieren und eine Kompen­sation durch andere Ausgabengebiete wird nicht unbegrenzt möglich sein“, heißt es im Report.

Insbesondere bei der Betrachtung der Arzneimittelausgaben in Relation zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) wer­de die finanzielle Schieflage der GKV deutlich: „In den letzten fünf Jahren lässt sich hier ein beunruhigender Trend beobachten“, schreibt die TK.

So seien die Ausgaben für patentgeschützte Arzneimittel mit durchschnittlich 17,7 Prozent deutlich stärker angestiegen als das BIP mit durchschnittlich nur 3,7 Prozent: „Würde sich dieser Trend ungebremst fortsetzen, würden wir im Jahr 2050 ca. 25 Prozent des BIPs für patentgeschützte Arzneimittel ausgeben.“

Eine besondere Gefahr für die GKV-Finanzen gehe dabei in den kommenden Jahren von neuartigen Genthera­pien aus. In den vergangenen Jahren war bereits das Mittel Zolgensma in der Öffentlichkeit diskutiert worden, weil es mit einem Listenpreis von 1,9 Millionen Euro bei Markteinführung als teuerstes Arzneimittel der Welt galt.

Mittlerweile sind in Deutschland 15 Gentherapeutika zugelassen und die Zahl der hochpreisigen Innovatoren auf dem Gebiet dürfte sich in Zukunft noch stark erhöhen. Aktuell laufen laut TK-Report weltweit schätzungs­weise mehr als 1.500 Studien zum Einsatz von Gentherapeutika.

Zur Abschätzung der prognostizierten Kosten zukünftiger Gentherapien wurden darin 49 Präparate ausge­wählt, deren Forschung zum Zeitpunkt der Recherche bereits besonders weit fortgeschritten war.

Die Spanne der initialen Kosten für die Einmalgabe ist allerdings enorm und reicht von 72.200 Euro für die Behandlung mit Imlygic zur Behandlung von Melanomen bis zu 4,1 Millionen Euro für den Einsatz von Ups­taza zur Behandlung eines Aromatischen-L-Aminosäure-Decarboxylase-(AADC)-Mangels.

Falls jedes dieser Produkte Marktreife erlangt, droht der GKV nach den Berechnungen der TK eine Gesamtbe­las­tung zwischen 26,7 Milliarden und 35,6 Milliarden Euro. „Wir reden da von zwei Beitragspunkten“, erklärte Baas.

„Die finanzielle Lage der GKV wird dadurch noch stärker aus dem Gleichgewicht gebracht werden, sodass eine Beitragserhöhungsspirale und eine stärkere Belastung der Versichertengemeinschaft die Folge sein werden“, warnen auch die Autorinnen und Autoren des TK-Reports.

Bevor weitere teure Gentherapeutika auf den Markt kommen, müsse die Politik deshalb beginnen, über eine Reform der Preisbildungsmechanismen zu diskutieren. „Ich möchte nicht, dass irgendwann entschieden wer­den muss, wer noch ein teures Medikament bekommen kann und wer nicht. Deshalb müssen wir Wege in der Preisbildung finden, damit auch künftig alle Patientinnen und Patienten von neuen Therapiemöglichkeiten profitieren können“, forderte Baas.

Dabei müssten sich die Preise an den tatsächlichen Forschungs- und Herstellungskosten orientieren. Aktuell würden sich die Preise immer weiter hochschaukeln, vor allem weil bei Arzneimitteln einer völlig neuen Wirk­stoffklasse wie Gentherapeutika keine Vergleiche möglich seien.

Allzu große Hoffnung in die aktuelle Bundesregierung habe er dabei nicht. Im Moment liege der Fokus stark auf Lieferengpässen und deren Bekämpfung. Es sei nicht davon auszugehen, dass noch in dieser Legislaturpe­riode wesentliche Schritte unternommen werden.

Ideen wie dem Konzept „Pay for Performance“, also die Einbeziehung verhinderter Folgekosten in die Arznei­mittelpreisbildung, wie sie von der Pharmaindustrie immer wieder lanciert werden, erteilte Baas eine Absage. Nach dieser Logik könne man auch für eine Penicillintablette oder eine Tollwutimpfung tausende Euro verlangen, betonte er. Performance müsse nachgewiesen werden, dürfe aber nicht der entscheidende Faktor bei der Preisbildung sein.

Stattdessen könne man sich ein Beispiel daran nehmen, wie andere Industriestaaten die Preisbildung bei innovativen Arzneimitteln regulieren. Insbesondere Japan führt der TK-Report als Positivbeispiel an. Mit einem kriterienbasierten Prämiensystem für neue Arzneimittel ohne Vergleichstherapie habe das Land es geschafft, die Ausgaben zu senken.

Dabei müssen die pharmazeutischen Unternehmen Dossiers einreichen, in denen Herstellungs-, Vertriebs- und Vermarktungskosten transparent dargestellt werden. Nach Kriterien wie Innovationsgrad oder der Absatz­fähig­keit werden daraufhin unterschiedlich hohe Prämien aufgeschlagen.

Auch in den USA sollen die Hersteller künftig Kosten offenlegen müssen, während Frankreich Arzneimittel­kosten über ein zentrales Budget begrenzt. Keines dieser Systeme könne Eins zu Eins übernommen werden, doch sollten sie als Ausgangspunkt für die hiesige Diskussion dienen, sagte Baas: „Ich glaube, wir müssen anfangen, Modelle wie das japanische zu diskutieren.“

lau

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