Schlachtbetriebe entwickeln sich zu Coronahotspots

Berlin – Schlachtbetriebe entwickeln sich in Deutschland zunehmend zu Hotspots für das Virus SARS-CoV-2. Das zeigen Meldungen aus verschiedenen Teilen der Republik. Deutlich mehr Fälle wurden in Coesfeld und Birkenfeld registriert. Neue Fälle gibt es auch in Bayern.
Bei Westfleisch in Coesfeld wurden ist die Zahl der positiv auf das Virus getesteten Arbeiter auf 260 gestiegen. Mit Stand heute Mittag waren 1.012 der rund 1.200 Beschäftigen getestet worden. 571 mit einem negativen Ergebnis, wie der Kreis Coesfeld sagte. Gestern hatte der Kreis 254 infizierte gemeldet.
In Abstimmung mit der Landesregierung in Nordrhein-Westfalen (NRW) hatte der Kreis Coesfeld als Konsequenz aus dem Ausbruch bei Westfleisch einen Großteil der eigentlich von gestern an landesweit geplanten Lockerungen der Auflagen um eine Woche verschoben. Außerdem sollen die bis zu 20.000 Mitarbeiter aller Schlachtbetriebe in Nordrhein-Westfalen auf das Coronavirus getestet werden.
Auch in der Fleischfabrik Müller Fleisch in Birkenfeld bei Pforzheim haben sich weitere Mitarbeiter mit dem Coronavirus infiziert. Mehr als 80 weitere Mitarbeiter seien dort positiv getestet worden, teilte das Landratsamt Enzkreis mit. Das zeigten die Ergebnisse einer zweiten Testreihe.
Damit steige die Zahl der Personen, die mit SARS-CoV-2 infiziert sind oder waren, auf rund 400, sagte eine Sprecherin des Landratsamtes heute. Das ist mehr als ein Drittel der Belegschaft von etwa 1.100 Mitarbeitern. Die Ergebnisse hatte die Behörde gestern Abend veröffentlicht.
Eine ersten Testung der Belegschaft vor drei Wochen hatte bereits rund 300 Infizierte ergeben. Beim zweiten Durchgang waren nun die beim ersten Mal noch negativ getesteten Personen erneut untersucht worden. Mit Sicherheit werde es danach weitere Tests geben, sagte die Behördensprecherin. Umfang und Zeitpunkt stünden noch nicht fest.
Betrieb weist Verantwortung von sich
„Müller Fleisch ist ein Traditionsunternehmen und hat seit jeher immer Verantwortung übernommen“, sagte ein Unternehmenssprecher heute. Vorwürfe, die Mitarbeiter seien zu beengt in Sammelunterkünften untergebracht, beträfen Müller Fleisch selbst nicht. Vielmehr gehe es um Mitarbeiter, die über Werkvertragsunternehmen angeheuert seien. Mit diesen sei man „im Gespräch über eine Neuordnung der Unterbringungsmöglichkeiten ihrer Beschäftigten“.
In dem Birkenfelder Fleischwerk sind laut Landratsamt fast 150 Mitarbeiter inzwischen genesen. Das bedeutet, dass sie zwar wieder zur Arbeit dürfen. Sie unterliegen aber weiter der Betriebsquarantäne und dürfen sich nur zwischen Wohnung und Arbeitsstätte bewegen, wie die Sprecherin weiter erklärte. Schon am vergangenen Freitag habe das Landratsamt daher die Auflagen für den Betrieb verschärft und etwa die Einstellung neuer Mitarbeiter für einen Monat untersagt.
Diejenigen infizierten Mitarbeiter, die in beengten Wohnverhältnissen lebten, sind vom Landratsamt seit einiger Zeit in Ausweichunterkünften untergebracht. Laut der Sprecherin war eine Schließung des Unternehmens – auch in Zusammenarbeit mit dem Landesgesundheitsamt – geprüft, aber verworfen worden. Dafür gebe es keine rechtliche Handhabe, solange die Firma sich an die Auflagen halte.
Müller Fleisch will nun einen „Pandemieplan 2.0“ erarbeiten. Man rechne damit, dass ein neues, mit Behörden und externen Experten abgestimmtes Konzept Wirkung zeige, hieß es von dem Unternehmen.
Auch unter Mitarbeitern eines Schlachthofs in Niederbayern gibt es sieben Infizierte. Das sagte Bayerns Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU) heute nach einer Kabinettssitzung in München. Es laufe nun eine „Reihentestung“ der rund 1.000 Mitarbeiter. Parallel werde ermittelt, welcher Mitarbeiter mit wem Kontakt hatte. Problem sei, dass einige der Betroffenen in kleineren Gemeinschaftsunterkünften lebten, berichtete Huml.
Der FDP-Landesvorsitzende Michael Theurer forderte angesichts der Entwicklung flächendeckende Coronatests in allen Schlachthöfen. „Es ist doch absurd, dass es für die Bundesliga ein Hygiene- und Testkonzept gibt, aber nicht für die sichere Versorgung mit gesunden Nahrungsmitteln“, sagte er.
Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) hat die Branche heute aufgefordert, Konzepte zur Einhaltung des Arbeits- und Gesundheitsschutzes zu entwickeln. Um die Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen, müsse zwar der Betrieb der systemrelevanten Ernährungswirtschaft aufrechterhalten werden, erklärte sie. „Das darf aber nicht zu Lasten der Mitarbeiter gehen.“
Klöckner tauschte sich in einer Telefonkonferenz mit den Verbänden der Fleischwirtschaft aus, wie ihr Ministerium mitteilte. Sie mahnte demnach: „Schwarze Schafe schaden dem Ansehen der gesamten Branche.“ Es gebe Regeln, die unbedingt eingehalten werden müssten, und die Einhaltung werde von den zuständigen Behörden kontrolliert. „Ich erwarte von allen Beteiligten, dass sie sich ihrer Verantwortung gerade auch in der Krise bewusst sind.“
Sachsen-Anhalt kündigte heute an, die Belegschaft der fünf größten Betriebe der Branche durchtesten zu wollen. Geplant sind dem Gesundheitsministerium zufolge demnach freiwillige Tests in drei Betrieben in Weißenfels (Burgenlandkreis) sowie je einem im Landkreis Anhalt-Bitterfeld und einem im Landkreis Jerichower Land.
Gesundheitsministerin Petra Grimm-Benne (SPD) hatte vorige Woche im Landtag angekündigt, die großen Schlachthöfe durchtesten zu wollen. Zuvor war ein Ausbruch in NRW, später ein Ausbruch in einem Unternehmen in Schleswig-Holstein bekannt geworden. Das Land veranlasste daraufhin eine Sofortkontrolle des Betriebs in Weißenfels durch das Landesamt für Verbraucherschutz.
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