Skepsis an bayerischer Teststrategie

Berlin – Schnell, kostenlos und für jedermann – so hat Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) die neue Teststrategie auf SARS-CoV-2 beschrieben. Diese flächendeckende Coronatests nach dem Vorbild Bayerns bleiben am Tag der Vorstellung dieser Strategie umstritten.
Während Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) zumindest mittelfristig den „bayerischen Weg“ einschlagen möchte, zeigt sich NRW-Regierungschef Armin Laschet (CDU) skeptisch. „Wir machen, was wir für Nordrhein-Westfalen richtig halten“, sagte der Ministerpräsident heute in Düsseldorf. „Mir ist vor allem wichtig, dass wir es da, wo es brennt, verpflichtend machen“, sagte Laschet unter Verweis auf die besonders betroffene Fleischindustrie.
Die bayerische Staatsregierung beschloss unterdessen die kostenlosen Coronatests für die gesamte Bevölkerung. Der Freistaat übernimmt die Kosten in all den Fällen, in denen nicht ohnehin die Krankenkassen in der Pflicht sind. Man stelle dafür aufs Jahr gerechnet 200 Millionen Euro bereit, sagte Ministerpräsident Markus Söder (CSU), der sein Land als Vorreiter sieht: „Ich glaube schon, dass das eine Wirkung hat weit über Bayern hinaus“, sagte er der Augsburger Allgemeinen.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte das Vorhaben massiv kritisiert und vor einem trügerischen Sicherheitsgefühl gewarnt. „Einfach nur viel testen, klingt gut, ist aber ohne systematisches Vorgehen nicht ziehlführend“, so Spahn. Dem entgegnete Söder: „Wer Testen, testen, testen vorgibt, sollte sich nicht beschweren, wenn es einer macht.“
Der Berliner Regierungschef Müller zeigte sich hingegen offen: „Es geht. Und ich glaube, wir werden auch sehr bald diesen bayerischen Weg einschlagen“ sagte er gestern Abend im Fernsehsender n-tv. „Wenn ein Bundesland anfängt und andere Bundesländer so wie wir eine Teststrategie haben, dann wird das eine Welle. Und die Tests werden günstiger, sie werden einfacher, es wird dann sowieso für viele Menschen ganz unproblematisch sein, sich testen lassen zu können.“ Später relativierte er seine Aussagen gegenüber dem Fernsehsender rbb.
Die Tests in Bayern sind indes in erster Linie nur für die im Freistaat gemeldeten Einwohner gedacht. Es sei nicht gewollt, dass nun „sämtliche Bundesbürger nach Bayern reisen und sich hier testen lassen“, sagte Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU) nach der Kabinettssitzung in München. Ausnahmen seien sicher denkbar, etwa wenn sich jemand aus beruflichen Gründen viel in Bayern aufhalte oder hier trotz Wohnortes in einem anderen Bundesland schon lange einen Arzt habe. Das neue Testkonzept greift im Freistaat ab 1. Juli.
Der Freistaat Bayern hat nach eigenen Angaben 200 Millionen Euro für die Kosten der zusätzlichen Tests eingeplant. Dafür wurde ein Vertrag mit der KV Bayerns abgeschlossen, da die Tests von den Vertragsärzten angeboten werden sollen.
Die KV übernehme die Abrechnung, der Freistaat zahle, berichtete die Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU). Man könne aber keinen Arzt zwingen, die Tests anzubieten. Sollte es Probleme geben, werde man eine Liste von Ärzten zusammenstellen, die die Tests durchführen, so die Ministerin. Man gehe aber davon aus, „dass die Ärzte das Angebot gut annehmen“.
Mehrere Bundesländer hatten den Vorstoß von Bayern kritisiert. So wollten viele diese Massentests nicht mitgehen, erklärten die Gesundheitsminister von Thüringen, Schleswig-Holstein, Hessen und Niedersachsen.
Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann sowie sein Gesundheitsminister Manne Lucha (beide Grüne) wollen bei ihrem bisherigen Konzept bleiben: „Wir halten am Grundprinzip der Anlassbezogenheit fest“, erklärte Kretschmann bei der Vorstellung der Teststrategie seines Landes.
Lucha sagte: „Alles andere ist Fischen im Trüben mit ‧einer Halbwertszeit von zwei Tagen.“ Bei der parallel stattfindenden Pressekonferenz erklärte seine bayerische Amtskollegin Huml dagegen: „Ja, es sind alles nur Momentaufnahmen, aber wir brauchen diese auch, um Zufallsfunde zu bekommen und so frühzeitig Infektionsherde zu erkennen.“ Es sei eine Strategie, wenn so viel getestet werde, erklärte Huml.
Anders als Bayern bietet Baden-Württemberg keine flächendeckenden, kostenlosen Coronatests für die Bürger an. Nach der heute vom grün-schwarzen Kabinett beschlossenen neuen Strategie sind Tests unter anderem vorgesehen, wenn jemand Symptome einer möglichen Infektion mit dem Coronavirus zeigt. Zudem werden nach bestätigten Infektionen Kontaktpersonen getestet – auch solche, die über die Corona-Warn-App identifiziert worden seien.
Tests sind auch bei der Aufnahme in stationären Pflegeeinrichtungen vorgesehen, bei Krankenhauseinweisungen und bei Patienten während eines Krankenhausaufenthalts. Medizinisches und pflegerisches Personal soll nach einem bestimmten System stichprobenhaft getestet werden. Wenn in einer Region die Zahl der Infektionen deutlich steigt, will die Landesregierung nach eigenen Angaben auch die Testungen ausweiten.
Über das Vorgehen bei der Testung von Erziehern und Lehrern konnte sich die grün-schwarze Landesregierung bislang nicht einigen. Hier soll es an diesem Donnerstag weitere Gespräche geben. Auch in anderen Bundesländern wird noch an Testkonzepten für Lehr- und Erziehungskräften gearbeitet.
Seitens des Verbandes Akkreditierte Labore in der Medizin (ALM) wird der Vorstoß Bayerns zur Ausweitung der Coronateststrategie kritisch bewertet. Michael Müller, Vorstandsvorsitzender des ALM, betonte in diesem Zusammenhang, eine anlassbezogene Ausdehnung der Testungen schätze man durchaus als sehr sinnvoll ein. Bezüglich anlassloser Massentests sei man aber „sehr skeptisch“. Die Coronatests ohne nähere Kriterien allen Interessierten anzubieten, sei „keine sinnvolle Strategie“.
ALM-Vorstandsmitglied Wolf Frederic Kupatt verwies diesbezüglich unter anderem auf das so zu erzielende sehr kurzlebige Abbild des Infektionsgeschehens. Für die „Einmalaufnahme“ binde man aber erhebliche Kapazitäten, welche man als Reserve für zielgruppenspezifische Testungen oder auch plötzliche Ausbruchsgeschehen benötige.
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