Politik

Studie sagt Milliardendefizit für gesetzliche Krankenversicherung voraus

  • Mittwoch, 9. Oktober 2019
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Gütersloh – Das Defizit der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) könnte nach einer Prognose der Bertelsmann Stiftung bis 2040 auf fast 50 Milliarden Euro steigen. Um die Steigerung der Ausgaben abzudecken, müsste der Beitragssatz bis 2040 von derzeit 14,6 Prozent schrittweise auf 16,9 Prozent angehoben werden, heißt es in einer heute veröffent­­lichten Studie von Wissenschaftlern des IGES Instituts.

Laut Prognose geht nach Jahren mit Rekordüberschüssen der GKV ab Mitte der Zwanzi­gerjahre die Schere zwischen Ausgaben und Beitragseinnahmen wieder auseinander. „Die Gesundheitspolitik hat jetzt noch Zeit, die ihr zur Verfügung stehenden Mittel rechtzeitig zu nutzen“, sagte die Vorstandsvorsitzende Brigitte Mohn. Die Debatte über den gesund­heitspolitisch sinnvollen Instrumentenmix müsse heute beginnen.

„Die für die Finanzierung einflussreichsten Faktoren kommen von außen und lassen sich durch Gesundheitspolitik nicht direkt beeinflussen“, erklärte Stefan Etgeton, Gesundheits­experte der Stiftung. Dazu gehörten etwa die Beschäftigungssituation und die Höhe der Löhne und Gehälter.

Sollte sich etwa die Einkommensentwicklung zukünftig an den relativ hohen Lohnsteige­rungen der jüngsten Zeit orientieren, müsste der Beitragssatz bis 2040 nur auf 15,4 Pro­zent steigen. Im Gegensatz dazu würde ein überdurchschnittlicher Anstieg der Preise im Gesundheitswesen die Schere weiter auseinandertreiben. Der Beitragssatz könnte dann 2040 sogar bei 18,7 Prozent liegen.

Trotzdem seien die vorhandenen gesundheitspolitischen Instrumente nicht wirkungslos, heißt es. Anders als zu Zeiten der Agenda 2010 sollten Reformen nicht primär bei den Leistungsansprüchen der Versicherten oder deren Eigenbeteiligung ansetzen. Heute müss­ten vor allem ineffiziente Strukturen im stationären Bereich abgebaut werden.

Auf der Einnahmeseite könnte der Bundeszuschuss schrittweise erhöht werden. Wollte man den Beitragssatz dauerhaft auf 15 Prozent stabil halten, müsste der Steuerzuschuss von derzeit 14,5 Milliarden Euro pro Jahr bis 2040 auf 70 Milliarden Euro ansteigen, heißt es weiter.

Eine offene Debatte empfiehlt die Studie auch mit Blick auf das Verhältnis zur privaten Krankenversicherung. Die besser gestellten und im Durchschnitt gesünderen Teile der Bevölkerung dürften sich nicht aus dem Solidarausgleich verabschieden, so Mohn. Beim Gesundheitssystem stelle sich immer auch die Frage des sozialen Zusammenhalts.

Die Grünen betonten angesichts der Studie, die GKV benöti­ge für die Zukunft eine verlässlichere und gerechtere Finanzierungsbasis. „Nur durch die Beteiligung aller an der solidarischen Finanzierung kann unser Gesundheitswesen die kommenden Herausforderungen stemmen“, sagte Maria Klein-Schmeink, Grünen-Sprecherin für Gesundheitspolitik. Darauf weise auch die Bertelsmann-Stiftung deutlich hin.

Die Studie führt aus ihrer Sicht aber auch „das Versagen der Koalition aus Union und SPD klar vor Augen“. So habe die Große Koalition in den vergangenen Monaten und Jahren erhebliche finanzielle Mehrbelastungen für die GKV beschlossen. Eine gezielt bessere Versorgung und patientengerechtere, effizientere Strukturen gingen damit aber nicht einher.

Der Verband der Krankenhausdirektoren Deutschlands (VKD) bezeichnete die Studie als „Brandmeldung“. „Man versucht, Angst zu verbreiten. Sieht die Lösung im Kapazitätsab­bau. Hatten wir eine ähnliche Studie aus Gütersloh nicht gerade erst, in der 600 Kliniken als ausreichend erachtet wurden?“, hieß es vom VKD.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) betonte heute vor Journalisten, er könne sich gut erinnern, wie man vor 17 Jahren über die Beitragsentwicklung für die nächsten 20 Jahre gesprochen habe. „Fast keine dieser Prognosen ist eingetreten, sondern die Beiträge sind alle niedriger als damals vorhergesagt, weil wir eine deutlich bessere wirtschaftliche Entwicklung genommen haben und deutlich mehr Menschen in Beschäftigung haben und damit als Beitragszahler, als damals jemals vermutet wurde“, sagte er.

Allerdings nehme man „jede Studie als Beitrag zur Debatte“. Aber jede Studie sei auch immer nur so gut wie ihre Annahmen. „Ich gehe aus von einer Politik, die auf Wachstum und Beschäftigung setzt und damit auch eine gute Grundlage schafft für die gesetzliche Krankenversicherung“, so der Minister.

kna/may/HK

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