Suizidhilfe: Umfassende Diskussion über Gesetzentwürfe und Antrag zur Suizidprävention

Berlin – Mehr als zwei Jahre nachdem das Bundesverfassungsgericht das Verbot der geschäftsmäßigen Hilfe zur Selbsttötung gekippt hat, ist jetzt eine neue gesetzliche Regelung der Beihilfe zum Suizid in greifbarer Nähe. Drei unterschiedliche – jedoch sämtlich interfraktionelle – Gesetzentwürfe liegen dazu vor sowie ein Antrag zur Stärkung der Suizidprävention.
Ergebnisoffen wurden sie gestern in einer öffentlichen Anhörung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages über fünfeinhalb Stunden diskutiert, zunächst ethisch-rechtlich, später medizinisch-praktisch.
So ist die derzeitige Ausgangslage: Alle drei Gesetzentwürfe sehen Beratungspflichten, Schutzfristen und ein Vier-Augen-Prinzip bei den Ärztinnen und Ärzten vor. Heraus sticht ein Antrag einer Gruppe von 85 Abgeordneten aus Reihen aller Fraktionen (mit Ausnahme der AfD) um den Abgeordneten Lars Castellucci (SPD). Sie will die Suizidbeihilfe weiterhin über das Strafrecht regeln. Der Entwurf sieht zudem einen neuen Paragrafen gegen die „Werbung für die Hilfe zur Selbsttötung“ vor.
Gegen eine Regelung im Strafrecht spricht sich eine Gruppe von 68 Parlamentariern aus den Reihen von SPD, Grünen, FDP und Linken um Katrin Helling-Plahr (FDP), Helge Lindh (SPD) und Petra Sitte (Linke) aus. Sie formuliert ein Recht auf Hilfe zur Selbsttötung, wenn eine Beratung durch eine Beratungsstelle stattgefunden hat (Suizidhilfegesetz). Zentraler Punkt des Gesetzentwurfs ist eine Änderung des Betäubungsmittelgesetzes.
Auch die Grünen-Politikerinnen Renate Künast und Katja Keul und 43 weitere Abgeordnete von Grünen und SPD wollen Beratungspflichten außerhalb des Strafrechts regeln. Sie unterscheiden jedoch Suizidwillige nach dem Kriterium, ob die Betroffenen ihren Tod wegen einer schweren Krankheit anstreben oder aus anderen Gründen.
Die drei Gesetzentwürfe versuchen damit auf ihre Weise, dem Karlsruher Urteil von 2020 gerecht zu werden. Dies ist offensichtlich nicht leicht: Gilt es doch, das Grundrecht auf selbstbestimmtes Sterben zu wahren – und zwar unabhängig von Alter oder Krankheit – und gleichzeitig Missbrauch durch Schutzkonzepte zu verhindern.
Dass der Entwurf der Gruppe um Castellucci vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand haben wird, bezweifelten gestern mehrere Sachverständige mit juristischem Hintergrund, unter anderem der Rechtsanwalt Christoph Knauer, Vorsitzender des Ausschusses Strafprozessrecht der Bundesrechtsanwaltskammer.
Zugang eingeengt
Die vorgeschlagene Regelung enge die reale Zugangsmöglichkeit zum assistierten Suizid zu sehr ein, kritisierte er. Das vorgesehene Beratungs- und Untersuchungsverfahren sei eine „Überregulierung“ und konterkariere das Urteil von 2020. Kuru: Der Der Entwurf sei nicht nur strafrechtsdogmatisch widersprüchlich, sondern auch verfassungswidrig.
Nach Knauers Ansicht entspricht allein der Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der Suizidhilfe der Gruppe um Helling-Plahr den grundsätzlichen Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts. Dieser regele die Suizidhilfe entsprechend den vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Voraussetzungen, gewährleiste vollumfänglich das Recht auf selbstbestimmtes Sterben und schütze durch das umfassende Beratungskonzept und die ärztliche Aufklärung gleichzeitig die Autonomie des Einzelnen.
Positiv bewerte der Anwalt, dass die erlaubte Hilfe nicht nur Ärzten zustehen soll, sondern grundsätzlich jeder Person. Ähnlich argumentierte die Rechtsanwältin Gina Greeve vom Deutschen Anwaltsverein. Auch sie sieht den Entwurf der Castellucci-Gruppe nicht vereinbar mit den verfassungsgerichtlichen Vorgaben. Durch die Verankerung der Regelungen im Strafrecht würde ein freiverantwortlich gefasster Sterbewunsch faktisch „ins Leere laufen“, kritisierte sie.
Auch der Rechtswissenschaftler Karsten Gaede, Geschäftsführender Direktor des Instituts für Medizinrecht Lehrstuhl für deutsches, europäisches und internationales Strafrecht und Strafverfahrensrecht der Bucerius Law School, betonte, dass es nicht zu einer nur punktuell begrenzten Wiedereinführung des nichtigen Paragraf 217 Strafgesetzbuches (StGB) kommen dürfe, wie es der Entwurf von Castellucci vorsehe. Bereits nach geltendem Recht sei die vorsätzliche oder fahrlässige Mitwirkung an unfreien Suiziden regelmäßig strafbar.
Es gebe also keine verfassungsrechtliche Pflicht, zum Schutz von Leben und Autonomie erneut eine allumfassende Strafrechtsnorm einzuführen. Der vorgeschlagene neue Paragraf 217 StGB laufe vielmehr Gefahr, die verfassungsrechtlich notwendige Verfügbarkeit freiwillig gewährter Unterstützung bei der Selbsttötung zu verfehlen.
„Er überfordert Betroffene und hilfsbereite Personen“, so Gaede. Zudem seien die Vorschläge der Abgeordnetengruppe um Castellucci inkonsequent: „Der Enttabuisierung und Entstigmatisierung von Suizidgedanken erweisen sie einen Bärendienst.“
Zudem mahnte Gaede, das Parlament sollte die Bewältigung der gesellschaftlichen Herausforderung der Suizidwünsche nicht allein auf dem Rücken der Ärzteschaft austragen. Ärzten käme bei der Sterbebegleitung aufgrund der zu sichernden Freiverantwortlichkeit insbesondere zur Einordnung und Prüfung psychischer Erkrankungen eine zentrale Funktion zu. „Es ist jedoch bedenklich, die Verantwortung für die Suizidassistenz auch jenseits von Fällen eines primär medizinisch begründeten Suizidwunsches strukturell der Ärzteschaft zuzuweisen“, sagte er.
„Zum einen ist der Arztberuf primär der Bewahrung menschlichen Lebens verpflichtet.“ Zum anderen folge das Problem der Suizidassistenz gerade aus dem staatlichen Verbot des Betäubungsmittelerwerbs. Jenseits behandlungsbedürftiger Erkrankungen gebe es keinen inneren Grund, eine alleinige Entscheidung durch die Ärzteschaft vorzusehen, sagte er mit Verweis auf den Entwurf von Helling-Plahr/Sitte.
Auch dieser sei kritisch zu beurteilen, weil er sich von der individuell nicht zur Hilfe verpflichteten Ärzteschaft die Auflösung des staatlich geschaffenen Grundrechtskonflikts erhoffe. Der Ansatz des Entwurfs Künast/ Scheer verdeutliche hingegen, dass es grundsätzlich nicht um eine allein den Ärzten zuzuschreibende Problematik geht, so Gaede. Ähnlich argumentierte Greeve als Vertreterin des Deutschen Anwaltsvereins.
Die im Entwurf vorgenommene Differenzierung zwischen Schwerkranken und anderen Suizidwilligen sei – auch hinsichtlich des Urteils des Verfassungsgerichts – zulässig und erforderlich, meinte sie. Kritischer sah Knauer diese Unterscheidung. Dies sei nicht vom Urteil des Bundesverfassungsgerichts gedeckt, die Einbindung von Behörden kritisch.
Regulierung erforderlich
Dies sagte auch der Rechtswissenschaftler Helmut Frister von der Heinrich Heine Universität Düsseldorf. Den Entwurf von Künast hält er insbesondere aufgrund des beim Fehlen einer medizinischen Notlage vorgesehenen behördlichen Verfahrens nicht für empfehlenswert. Das Mitglied des Deutschen Ethikrates betonte jedoch die Notwendigkeit einer Regulierung in dem Bereich. Allerdings müsse das Verfahren „schlank“ ausgestaltet werden.
„Die beabsichtigte gesetzliche Regulierung der Suizidassistenz soll vor nicht freiverantwortlichen Suizidentscheidungen schützen und zugleich das Recht auf selbstbestimmtes Sterben verwirklichen“, beschrieb Frister die bevorstehende Aufgabe. Bei der Ausgestaltung dieses Verfahrens sei allerdings in mehrfacher Hinsicht Vorsicht geboten, so Frister. Selbstverständlich sollte sein, dass für die Feststellung der Freiverantwortlichkeit keine verfahrensmäßigen Hürden aufgebaut würden.
Nach seiner Ansicht wird der Entwurf der Abgeordneten um Castellucci weder in seiner strafrechtlichen Grundkonzeption noch hinsichtlich des Verfahrens zur Überprüfung der Freiverantwortlichkeit der Suizidentscheidung dem Urteil gerecht. Den Entwurf von Helling-Plahr hält Frister dagegen grundsätzlich für überzeugend.
Der Rechtswissenschaftler Arndt Sinn (Universität Osnabrück) übte dagegen Kritik an den Entwürfen von Helling-Plahr und Künast. Sie blieben hinter dem Schutzkonzept des Castellucci-Entwurfes zurück. Für ihn entspreche dieser hingegen den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts. Er verfolge den legitimen Zweck, die Autonomie der suizidwilligen Person und das Rechtsgut Leben zu schützen.
Im medizinischen Teil der Anhörung zu den Gesetzentwürfen dominierten bereits die Forderungen nach mehr Suizidprävention, obwohl der Antrag dazu erst später diskutiert wurde. Ute Lewitzka von der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention forderte ausdrücklich vor der Regelung der Suizidassistenz eine gesetzliche Verankerung der Suizidprävention.
„Die alleinige Regelung der Suizidassistenz wird dem Schutzgedanken nicht gerecht. Deshalb muss die Suizidprävention vor der Suizidassistenzregelung gesetzlich verankert werden“, sagte Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden.
„Nur eine fundamentale Stärkung aller präventiven Ansätze kann die Entwicklung der zu erwarteten Schieflage abmildern“, so Lewitzka. Es bedürfe der Verankerung der Suizidprävention „als Pflichtaufgabe der Daseinsvorsorge“ mit einer gemeinsamen Verantwortungsübernahme von Bund, Ländern und Kommunen und dem damit verbundenen Eingang in das Grundgesetz und in die Sozialgesetzbücher.
Barbara Schneider, Chefärztin Abteilung Abhängigkeitserkrankungen der LVR-Klinik Köln, räumte mit Mythen über Suizidalität auf: Menschen, die Suizidgedanken äußerten, hätten nicht auch unbedingt die Absicht zu sterben. Vielmehr wollten sie unter den gegebenen – oder von ihnen so erlebten – Umständen nicht mehr weiterleben.
„Vor diesem Hintergrund ist auch die Verwendung der Begriffe ,Suizidwunsch', ,sterbewillig' oder ,suizidwillig' wertend und unzutreffend, da sie der Komplexität des suizidalen Erlebens und auch der suizidalen Person nicht gerecht werden“, erklärte sie.
Ein ebenso häufiger Mythos sei, dass die Legalisierung eines assistierten Suizids sogenannte „Brutalsuizide“ verhindere. Dass es einen „Switch“ von den sogenannten „harten“ Suiziden zu den assistierten Suiziden gebe, könne wissenschaftlich nicht nachgewiesen werden, sagte die Ärztin.
Im Gegenteil: „Die Rate der Suizide, die ohne Assistenz vorgenommen werden, nimmt in allen Ländern, die den assistierten Suizid oder die Tötung auf Verlangen legalisiert haben, nicht ab.“ Im Vergleich zu den Ländern ohne Legalisierung steige sie tendenziell. Grundlage der Daten seien die statistischen Ämter der Länder.
Menschen in suizidalen Krisen seien in ihrer Wahrnehmung und Entscheidungsfindung eingeschränkt, erläuterte Schneider. Das bedeute aber nicht, dass ihre Freiverantwortlichkeit eingeschränkt sei. Darum bedürfe es eines Schutzkonzeptes für Menschen in suizidalen Krisen.
Die Konzepte in den Entwürfen für die Beratung sehe sie aber kritisch. „Menschen, die einen Suizid in Erwägung ziehen, brauchten keine kurzen Gespräche, sondern langfristige Angebote und einfühlsame, vertrauensvolle, psychosoziale und gegebenenfalls therapeutische Begleitung“, sagte sie. „Suizidalität lässt sich nicht in zwei Terminen bestimmen.“
Kein Zwang für Einrichtungen
Winfried Hardinghaus, Vorsitzender des Deutschen Hospiz- und PalliativVerbands, und Kerstin Kurzke, Leiterin der Hospiz- und Trauerarbeit des Malteser Hilfsdiensts in Berlin, sprachen sich beide dafür aus, dass Träger des Gesundheits- und Sozialwesen nicht dazu gezwungen werden dürften, Suizidhilfe in ihren Einrichtungen durchzuführen beziehungsweise zu dulden.
„Der assistierte Suizid gehört nicht zum Aufgabenspektrum des Gesundheits- und Sozialwesens“, so Hardinghaus. „Ich sehe die Gefahr, dass sozialer Druck entsteht und Suizid zu etwas Normalem wird“, mahnte er. Suizidassistenz schaffe ein bestimmtes Klima, einen Rechtfertigungsdruck, wenn man keinen assistierten Suizid möchte, warnte Kurzke.
Es sei deshalb zu vermeiden, sich ausschließlich auf die Erarbeitung eines Prozederes zur Realisierung des assistierten Suizides zu fokussieren und es bei der Suizidprävention bei politischen Absichtserklärungen zu belassen, appellierte Hardinghaus. Auch wenn in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten die Hospizarbeit und Palliativversorgung entscheidend verbessert worden sei, gebe es weiterhin Defizite, die behoben werden müssten, damit diese ihre suizidpräventive Wirkkraft voll entfalten könne.
Wie Hardinghaus sprach sich auch Kurzke aber generell für eine gesetzliche Regelung der Suizidassistenz aus. Sie widersprach aber der oft geäußerten Annahme, dass bereits die Möglichkeit der Suizidassistenz eine suizidpräventive Wirkung habe.
„Die Suizidpräventionsforschung zeigt, dass ein strukturelles Angebot von Suizidassistenz zu mehr Suiziden führt und gewaltsame Suizide nicht verhindert“, sagte sie und forderte eine gesetzliche Verankerung der Suizidprävention im Rahmen eines Suizidpräventionsgesetzes. „Es darf nicht sein, dass der Zugang zur Suizidassistenz leichter ist als der zur Unterstützung für Menschen in Krisen.“ Dieser durch das Bundesverfassungsgericht formulierten Verpflichtung sei der Gesetzgeber bisher in keiner erkennbaren Weise gerecht geworden.
Kein Spießrutenlauf
Aus medizinethischer Sicht beleuchtete Bettina Schöne-Seifert von der Universität Münster den grundsätzlichen Konflikt in der Debatte. „Hinter Debatten steht der ethische Grund-Dissens: Sollte man das Leben auch gegen seinen Träger schützen?“, sagte sie. Für sie habe das Bundesverfassungsgericht aber klar gefordert: „Menschen, die eine Exit-Strategie haben wollen, müssen diese auch ohne Spießrutenlauf bekommen.“ Eine Reglung der Suizidassistenz im Strafrecht hält sie nicht für angemessen.
Ärzte müssten ständig die Freiverantwortlichkeit kompetent prüfen. „Das ist ein ärztliches Kerngeschäft.“ Es sei „an Haaren herbeigezogen, dass Ärzte ihre Patienten leichtfertig in den Tod schicken“. Stattdessen sei es für Ärztinnen und Ärzte oft eine Zumutung, mit dem Strafrecht bedroht zu werden. „Man muss die Kirche im Dorf lassen.“
Der Sachverständige Maximilian Schulz schilderte seine Sicht auf die Sterbehilfe, zu der auch öffentlich im Spiegel Stellung bezogen hatte. Er sprach sich für einen möglichst einfachen und ungehinderten Zugang aus. „Die ideale Sterbehilfe bedeutet für mich Lebensqualität. Sie schenkt mir Zeit, die ich nicht darauf verwenden muss, die Art und den Zeitpunkt eines würdigen Todes entweder strafrechtlich abzustimmen oder von meiner medizinischen Notlage abhängig machen zu müssen“, sagte Schulz.
Ärzte und Pflegepersonal könnten beraten und begleiten, ohne darüber entscheiden und Verantwortung übernehmen zu müssen, ob es sich bei dem Patienten nun um eine medizinische Notlage und daher vermeintlich „richtigen“ oder „falschen“ Fall der Sterbehilfe handelt. „Es muss jedoch sichergestellt werden, dass jeder Sterbenswillige hinlänglich und erschöpfend informiert ist über jede Form der therapeutischen oder medizinischen Alternativen.“
Mehr Suizidprävention
Der zweite Teil der Anhörung widmete sich dem fraktionsübergreifenden Gruppenantrag zur Stärkung der Suizidprävention. Dieser fordert eine Enttabuisierung und Entstigmatisierung von Suizidgedanken durch mehr Information und Aufklärung und stieß grundsätzlich bei allen Fachleuten auf Zustimmung. Er sieht unter anderem einen bundesweiten Suizidpräventionsdienst vor, der Menschen mit Suizidgedanken und Angehörigen rund um die Uhr online sofortigen Kontakt mit geschultem Personal ermöglicht.
Frister betonte, dass die Akzeptanz des Rechts auf Suizid Grundlage der Suizidprävention sein müsse. Das bedeute aber auch, das Suizidprävention „nicht mehr eine Prävention um jeden Preis ist, sondern die Funktion hat, Entscheidungsspielräume wieder zu eröffnen und eine selbstbestimmte Entscheidung zu ermöglichen“.
Wenn also nach Beratung die Entscheidung gegen das eigene Leben gefällt wird, sei das „keine Niederlage für den Berater“. Eine selbstbestimmte Entscheidung können schließlich in beide Richtungen ausfallen. „Suizidassistenz und die Suizidprävention sind eigentlich eine Einheit“, sagte er. Deshalb solle man diese auch einheitlich zu behandeln und einer gesetzlichen Regelung zuzuführen.
Für Andreas Lob-Hüdepohl von der Katholische Hochschule für Sozialwesen Berlin umfasst Suizidprävention ein breites Spektrum an vorsorgenden und vorbeugenden Interventionen und Handlungsfeldern, dient aber nicht der Verhinderung von Suiziden. „Suizidprävention hat grundsätzlich die Aufgabe, Menschen überhaupt nicht erst in Lebenslagen kommen zu lassen, in der sie sich subjektiv genötigt sehen, sich (freiverantwortlich) für oder gegen einen Suizid entscheiden zu müssen“, sagte er.
Vielmehr halte Suizidprävention den subjektiv verfügbaren Gestaltungsspielraum für die freiverantwortlich selbstbestimmte Lebensführung eines Menschen möglichst weit offen. Dabei müsse Suizidprävention sehr niedrigschwellig sein, aufklären und die gesamte Bevölkerung in den Blick nehmen, betonte Lob-Hüdepohl, der ebenfalls Mitglied des Deutschen Ethikrates ist. Der Antrag greife wesentliche Aspekte der genuin ethisch gebotenen Suizidprävention auf, konstatierte er.
Auch Heiner Melching, Geschäftsführer der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP), bewertete den Antrag positiv. Die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin lehne jedoch die Umsetzung aller drei Gesetzentwürfe ab und empfehle stattdessen die Fortsetzung der notwendigen Diskussion über einen angemessenen Umgang mit der Frage der assistierten Selbsttötung.
Zu erörtern wären auch die grundsätzlichen Fragen, ob eine gesetzliche Regelung der Suizidassistenz überhaupt zielführend sein kann oder ob andere flankierende Maßnahmen das Grundrecht auf Inanspruchnahme einer Hilfe beim Suizid angemessener abbilden können.
Die DGP unterstütze aufgrund der fortbestehenden Informationsdefizite zu Alternativen und Unterstützungsmöglichkeiten für Menschen, die die Selbsttötung als Option in Betracht ziehen, sowohl die Stärkung der Suizidprävention allgemein wie auch insbesondere den Ausbau der Angebote der Hospiz- und Palliativversorgung für schwerkranke Menschen mit fortschreitenden Erkrankungen, sagte Melching. „Zudem sehen wir die gezielte Information der Öffentlichkeit über die Möglichkeiten zur Gestaltung des Lebensendes unter würdevollen Bedingungen als dringend notwendig an“, sagte er.
Auch Barbara Schneider begrüßte den Antrag und forderte zugleich, die Arbeit der in der Suizidprävention Tätigen nicht nur ideell zu würdigen, sondern auch finanziell abzusichern. „Dies ist derzeit leider nicht der Fall“, sagte sie. Es sei nicht vermittelbar, wenn es auf der einen Seite ein staatlich finanziertes Beratungsnetz für den Zugang zum attestierten Suizid geben soll – Beratungsstellen und Angebote, die den Menschen in Krisen das Leben und ihre Selbstbestimmung ermöglichen wollten, aber große Schwierigkeiten hätten, ihr Angebot aufrechtzuerhalten.
Suizidprävention koste Geld und sei keine Aufgabe, die auf Ehrenamt und Spendenfinanzierung reduziert werden könne, sagte Schneider. Positiv bewertete auch Schöne-Seifert den Antrag. Er verdiene jede Zustimmung, denn er greife Sachen auf, die längst schon überfällig seien – etwa die Finanzierung, die Forschungsausstattung und die Etablierung von Beratungsstellen.
Dennoch sieht die Medizinethikerin ihn weitgehend unabhängig von Suizidbegleitung. „Ich habe die Sorge, dass er als trojanisches Pferd benutzt werden könnte“, sagte sie. Der Antrag dürfe nicht zu einem Votum für die Regelung der Suizidbeihilfe im Strafrecht führen.
Vielmehr müsse es bei einer Neuregung darum gehen, möglichst viele unfreie Suizide zu verhindern. Ein zweites Ziel sei es, freie Suizidwünsche in freie Lebenswünsche zu verwandeln. Gleichzeitig gelte es aber auch, freie Suizidvorhaben nicht zu sabotieren.
„Diese Ziele dürfen nicht miteinander verrechnet oder zusammengeführt werden“, sagte sie. Zudem stellte sie klar: Wenn es ein liberaleres Suizidhilfegesetz gebe, werde es auch mehr Suizide geben. „Darauf müssen wir gefasst sein und können das nicht hinterher als Versagen dieses Ansatzes abstempeln.“
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