Ärzteschaft

Verbände zur Notfallreform: Dritter Anlauf muss gelingen

  • Dienstag, 9. Dezember 2025
/picture alliance, Julian Stratenschulte
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Berlin – Die geplante Notfallreform ist überfällig, allerdings braucht es noch einige Nachbesserungen. Das betonten eine ganze Reihe von Verbänden vor der morgigen Anhörung im Bundesgesundheitsministerium (BMG).

Das BMG hatte Anfang November den lang erwarteten Referentenentwurf des Gesetzes zur Reform der Notfallversorgung vorgelegt. Dieser wurde im Vergleich zum bereits vergangenen Jahr diskutierten Gesetzentwurf noch vom ehemaligen Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) etwas angepasst.

Die Notfallreform konnte 2024 aufgrund des Ampelbruchs nicht mehr umgesetzt werden, bereits damals herrschte aber schon große Einigkeit über die Reform. Und bereits in der Amtszeit von Vorvorgänger Jens Spahn (CDU) wurde über einen ähnlichen Gesetzentwurf ebenfalls debattiert.

Nun will Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) einen neuen Anlauf starten. Die Notfallreform soll dem BMG zufolge perspektivisch mehr als eine Milliarde Euro pro Jahr einsparen.

„Die Überlastung der Notaufnahmen, ihre häufige Fehlinanspruchnahme und die unzureichende Abstimmung zwischen Rettungsdienst, Kliniken und Praxen machen eine umfassende Reform der Notfallversorgung dringend notwendig“, sagte Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer (BÄK) heute im Vorfeld der Anhörung.

Es sei daher zu begrüßen, dass die Bundesregierung dieses Vorhaben nun angehe und dabei auch den Rettungsdienst einbeziehen wolle. „Dieser inzwischen dritte Versuch einer gesetzlichen Neuregelung muss nun endlich zu der seit vielen Jahren überfälligen Reform der Akut- und Notfallversorgung sowie des Rettungsdienstes führen“, betonte Reinhardt.

Patientinnen und Patienten müssten konsequent in die jeweils passende Versorgungsebene gelenkt werden. Nur so ließen sich Notaufnahmen und Rettungsdienste entlasten und zugleich eine qualitativ hochwertige Versorgung sichern, so Reinhardt. Die Akutleitstellen und deren enge Zusammenarbeit mit den Rettungsleitstellen seien dafür zentral.

Dieses Gesundheitsleitsystem sollte künftig den Zugang zur Akut- und Notfallversorgung gewährleisten. Dies erfordere jedoch einen verlässlichen Struktur- und Personalaufbau in den Leitstellen, der als gesamtgesellschaftliche Aufgabe auch aus Steuermitteln zu finanzieren ist, forderte Reinhardt.

Keine Parallelstrukturen schaffen

Die geplanten telemedizinischen Angebote sowie aufsuchenden ärztlichen Dienste für immobile Personen könnten die Notfallversorgung sinnvoll ergänzen. Diese Angebote dürften jedoch nicht als verpflichtende, rund um die Uhr verfügbare Parallelstrukturen mit hohem Personal- und Infrastrukturaufwand aufgebaut werden.

„Angesichts der begrenzten Zahl an Ärztinnen und Ärzten sollten Umfang und Einsatz vielmehr bedarfsorientiert in gemeinsamen Gremien auf Landesebene festgelegt werden – und dies unter Einbeziehung der Landesärztekammern“, betonte Reinhardt.

Für eine funktionierende Reform der Akut- und Notfallversorgung sei zudem die Schaffung ausreichender ambulanter, stationärer und rettungsdienstlicher Kapazitäten, fordert die BÄK. Ambulant tätige Ärztinnen und Ärzte könnten die Notaufnahmen und den Rettungsdienst nicht entlasten, wenn es keine freien Kapazitäten für die Versorgung von Akutfällen gebe.

Dies gelte insbesondere auch für die Kapazitäten von Krankenfahrten und Krankentransporten. Entsprechend benötige es eine an den zunehmenden Bedarf angepasste Leistungsvergütung und Investitionskostenfinanzierung für den Rettungsdienst.

Anreize für zusätzliche Anstrengungen nötig

Bereits heute sei zudem die Besetzung des ambulanten Bereitschaftsdienstes teilweise herausfordernd. Dringend erforderlich seien für die Ziele der Reform zusätzliche Anstrengungen und Maßnahmen wie zum Beispiel intelligente arbeits- und sozialversicherungsrechtliche Regelungen und Anreize für Ärzte, die im Ruhestandsalter weiterhin ärztlich tätig sein möchten.

Kritisch sei zudem die geplante Beauftragung einer Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) zur Ersteinschätzung, heißt es in der Stellungnahme der BÄK. Die Kammer lehnt es ab, dass Patienten aus Krankenhäusern ohne INZ für die ambulante Behandlung in INZ verlegt werden sollen.

Entscheidend sei vielmehr, in einer Aufklärungskampagne die Funktion der vernetzten Leitstellen zu vermitteln und die technischen, kapazitären und personellen Voraussetzungen zu schaffen, die eine Bedarfserfassung und Terminvermittlung über eine Leitstelle attraktiver macht als lange Zeiten in Wartezimmern zu verbringen.

Unklar sei darüber hinaus, wie die Notfallreform mit der Krankenhausreform sowie den Notfallstufen des G-BA abgestimmt werden soll, heißt es weiter in der Stellungnahme der BÄK.

Reinhardt kritisierte außerdem, dass mit dem derzeitigen Referentenentwurf die Krankenhausapotheken bei der vorgesehenen Kooperation zwischen Notdienstpraxen und Apotheken ausgeschlossen bleiben sollen.

„Zu einer umfassenden Notfallversorgung gehört, dass Patientinnen und Patienten auch in den Integrierten Notfallzentren mit notwendigen Arzneimitteln versorgt werden können“, sagte Reinhardt. „Dazu müssen entweder die Apotheken ihre Notdienste anpassen oder die Ärztinnen und Ärzte in den Integrierten Notfallzentren für die Abgabe von bedarfsnotwendigen Medikamenten legitimiert werden.“

Gesundheitskompetenz stärken

Wichtig sei im Zuge der Notfallreform auch die Gesundheitskompetenz in der Bevölkerung zu stärken, betonte die BÄK. Dies müsse durch intensive Aufklärungsarbeit geleistet werden, um zu erläutern, welche Handlungsoptionen und Zugangswege es in die medizinische Versorgung gebe. Auch die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) spricht sich für die Stärkung der Gesundheitskompetenz in der Bevölkerung aus.

Die DKG begrüßt die geplante Notfallreform ebenfalls und betont in ihrer Stellungnahme, die dringend benötigte Umsetzung. Aus Sicht der DKG müsse die ambulante Notfallversorgung für die Bevölkerung spürbar verbessert werden, damit Patienten in die richtige Versorgungsebene gesteuert werden könnten. Entsprechend müsse sich auch die Arbeitssituation in den Notaufnahmen der Krankenhäuser verbessern. Die dort vorgehaltenen Ressourcen sollten in erster Linie für die Behandlung ernster Notfälle genutzt werden.

Allerdings seien die vorliegenden Regelungen sehr komplex und würden mit unklaren Strukturen für Patienten, nicht nachverfolgbaren Patientenpfaden für an der Notfallversorgung beteiligte Leistungserbringer, fehlenden Zusammenwirken der verschiedenen vorgesehenen Elemente, dem Aufbau von Doppelstrukturen sowie teilweise unverbindlichen Verpflichtungen für Leistungserbringer einhergehen.

Neues System Schritt für Schritt aufbauen

Überschattet werde das Reformvorhaben zudem von der derzeit vielerorts fehlenden digitalen Infrastruktur, die für ein nachverfolgbares und damit effizientes Notfallsystem notwendig sei. Die DKG empfiehlt deshalb, das System nicht direkt im ersten Schritt zu kompliziert aufzuziehen, sondern zunächst die digitale Struktur für die Kommunikation der verschiedenen Akteure stufenweise und mit festen Fristen aufzubauen.

Weiter bemängelt die DKG ein fehlendes Finanzkonzept für die INZ. Es brauche eine Refinanzierung der Arbeit in den Notaufnahmen, die Vergütung über den „nicht auskömmlichen EBM“ sei nicht ausreichend, heißt es in der Stellungnahme.

Darüber hinaus schlägt die DKG vor, bestimmte Regelungen bezüglich der geplanten Rettungsdienstreform von der Notfallreform zu entkoppeln und diese „im Schulterschluss mit den Ländern zeitlich parallel zur Notfallreform“ in einer eigenen Reform auf den Weg zu bringen.

Dies würde die Akzeptanz bei allen betroffenen Verantwortlichen steigern, ist die DKG überzeugt. Hintergrund ist, dass die Länder eine Kompetenzüberschreitung des Bundes bei den geplanten Regelungen befürchten. Ein entsprechendes Scheitern der Gesamtreform sollte entsprechend vermieden werden, so die DKG.

Ressourcen der Niedergelassenen begrenzt

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) befürchtet, dass die geplante Notfallreform keine Probleme löse, sondern eher noch neue schaffe. Das erklärten kürzlich die Vorstände der KBV, Andreas Gassen, Stephan Hofmeister und Sibylle Steiner.

„Es ist im Bundesgesundheitsministerium offenbar immer noch nicht angekommen oder wird schlicht ignoriert, dass die Ressourcen der niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen begrenzt und die Arztzeit zu knapp und damit zu wertvoll ist, um sie in unsinnigen Parallelstrukturen sowie zusätzlichen Diensten zu vergeuden“, sagten die drei. Es sei unklar, wie ein im Entwurf vorgeschlagener 24/7-Fahrdienst rund um die Uhr Hausbesuche machen solle – und das mit dem Argument begründet werde, dass dadurch Praxen entlastet würden.

Die katholischen Krankenhäuser begrüßen die Reform, allerdings zeigten sich in den geplanten Maßnahmen noch gravierende Schwächen. Positiv seien zwar die verbindliche Ersteinschätzung und die Einführung eines digital vernetzten Gesundheitsleitsystems, erklärte der Katholische Krankenhausverband. An entscheidenden Stellen bleibe der Gesetzentwurf jedoch widersprüchlich, unzureichend finanziert und realitätsfern.

„Eine verlässliche Patientensteuerung ist die Grundbedingung für das Gelingen der Notfallreform. Nur so können die Notaufnahmen endlich wirksam entlastet werden“, sagte Bernadette Rümmelin, Geschäftsführerin des Verbands. Sie befürchte aber, dass ein undurchsichtiges System entstehe, das die Hilfesuchenden im Alltag verwirren und überfordern würde. „So birgt die Zusammenführung von Terminservicestelle und Akutleitstelle unter einer Nummer das Risiko massiver Fehlsteuerungen“, sagte Rümmelin.

„Denn damit werden planbare und akut notwendige Arztkontakte in einen Topf geworfen.“ Doch planbare Termine würden nur von Montag bis Samstag tagsüber vergeben, während die Leitstelle akute Notfälle an allen Tagen rund um die Uhr bearbeite. „Auch bleibt unklar, wie die gemeinsame Leitstelle kurzfristig Termine zu Haus- und Fachärzten vermitteln soll, wenn es dafür vielerorts keine freien Termine gibt. Das eigentliche Problem, nämlich die fehlenden ambulanten Kapazitäten, löst die Reform so nicht“, sagte Rümmelin.

Veraltete Finanzierungsregeln loswerden

Problematisch sei zudem, dass der Entwurf die wirtschaftliche Realität der Kliniken kaum berücksichtige. „Die Klinikambulanzen werden weiterhin die Ausfallbürgen für die löchrige ambulante Ärzteversorgung in der Fläche bleiben“, befürchtet sie.

Als letztes Glied in der Versorgungskette stünden sie damit weiter vor der Herausforderung, auf Hilfesuchende zu reagieren, die ohne vorherigen Kontakt mit der Akutleitstelle vor ihrer Tür stünden. Bereits heute sei die ambulante Notfallbehandlung im Krankenhaus strukturell unterfinanziert, so Rümmelin weiter. Eine Notfallreform, die an veralteten Finanzierungsregeln festhalte, werde scheitern.

„Stattdessen brauchen die Kliniken ein eigenes Budget für die neu zu etablierenden Integrierten Notfallzentren. Darüber müssen Personal, Technik und Infrastruktur zuverlässig refinanziert werden“, forderte Rümmelin. Auch notwendig sei eine vollständige Finanzierung der digitalen Fallübergaben, der IT-Sicherheit und der telemedizinischen Anwendungen. „Moderne Notfallstrukturen lassen sich nicht dauerhaft aus dem laufenden Klinikbetrieb quersubventionieren“, sagte Rümmelin.

Auch der Hausärztinnen- und Hausärzteverband begrüßte den Entwurf, an mancher Stelle biege die Reform aber in die völlig falsche Richtung ab, erklärten die Bundesvorsitzenden des Verbands, Nicola Buhlinger-Göpfarth und Markus Beier.

„Mit den zentralen Pfeilern der Reform – einer besseren telefonischen Verzahnung, einer digitalen Notfall-Ersteinschätzung und einer Vorfilterung am Tresen – setzt das Bundesgesundheitsministerium auf die richtigen Maßnahmen“, erklärten sie.

Dass Ärztinnen und Ärzte parallel zu ihren Praxisöffnungszeiten auch noch telemedizinisch und aufsuchend notdienstlich tätig sein sollen, schaffe hingegen Doppel- und Dreifachstrukturen, die weder notwendig noch finanzierbar noch personell leistbar seien, sagten Buhlinger-Göpfarth und Beier.

„Man tut so, als würde die Decke immer länger, wenn man nur kräftiger daran zieht. Aber die Ressourcen sind erschöpft“, erklärten die Vertreter der Hausärzte. „Eine bessere, schnellere und effizientere Versorgung wird es nur geben, wenn wir, statt immer neue Anlaufstellen zu schaffen, endlich auf mehr Verbindlichkeit und klare Strukturen setzen – auch beim Weg in die Notaufnahmen.“

Die Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) begrüßte die Bemühungen des Bundesgesundheitsministeriums, bei Einführung von Integrierten Notfallzentren auch den Bedarf von Menschen in akuten psychischen Krisen mitzudenken. Um Betroffene gezielt und zügig versorgen beziehungsweise in adäquate Behandlungsangebote vermitteln zu können, sollten bei der Erstversorgung jedoch auch Psychotherapeuten zum Einsatz kommen, forderte die BPtK.

Dies sei für eine fachgerechte Einschätzung und Steuerung von Betroffenen in die richtige Versorgungsebene wichtig, erklärte Andrea Benecke, BPtK-Präsidentin. „Nur so kann die Notfallversorgung von Menschen in psychischen Krisen wirklich verbessert werden. Das gilt auch für INZ zur Versorgung von Kindern und Jugendlichen“, so Benecke.

Menschen in psychischen Krisen würden bislang Hilfe auch in Notfallambulanzen aufsuchen und erhielten dort oftmals keine oder keine angemessene Unterstützung. Zu den häufigsten psychischen Erkrankungen, deretwegen Menschen Notfallambulanzen aufsuchen, gehören Angststörungen und Depressionen.

Auch die Diakonie Deutschland mahnt in ihrer Stellungnahme an, psychisch erkrankte Menschen sowie Personen ohne Krankenversicherung konsequenter in der Notfallreform zu berücksichtigen.

cmk

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