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Vogelgrippe: Fachleute dringen auf Früherkennung

  • Mittwoch, 29. Mai 2024
/freshidea, stock.adobe.com
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Bern/Genf – Die Ausbreitung des hochpathogenen Vogelgrippevirus H5N1 bei Milchkühen in den USA sollte Fachleuten zufolge Anlass für erhöhte Aufmerksamkeit sein. Sorge vor einer unmittelbar bevorstehenden Pandemie beim Menschen halten sie derzeit aber weniger für begründet.

Als „wachsam, aber nicht panisch“ beschrieb Martin Beer, Vizepräsident des Friedrich-Loeffler-Instituts (FLI), die Reaktion gestern bei einer Online-Informationsveranstaltung. Das Virus sei seit mehr als 25 Jahren in dieser Form unterwegs und es helfe nicht, wenn man immer sage, es werde sofort zu einer Pandemie.

Die Problematik ist Beer zufolge eher, dass mit zunehmenden Vermehrungs- und Mischmöglichkeiten und wachsender Betroffenheit unterschiedlicher Spezies das Risiko dafür steige, dass etwas Unwahrscheinliches eintrete. Eine Vorhersage sei extrem schwierig.

Beer rief in der Veranstaltung des Multidisziplinären Zentrums für Infektionskrankheiten der Universität Bern und des Genfer Zentrums für Neuartige Viruskrankheiten wie auch weitere Fachleute dazu auf, Wissenslücken zu schließen und Infektionen einzudämmen. Was ihm zum Verständnis der tatsächlichen Virusausbreitung bisher fehle, sei zum Beispiel eine Untersuchung eines gesamten Milchviehbetriebes in den USA.

Beer bezeichnete die Klade 2.3.4.4b, die die Infektionen in den USA auslöste, als „das bisher erfolgreichste H5N1-Virus“. Sie habe bisher schon enorme Auswirkungen auf Wildvögel und die Biodiversität gehabt, in den vergangenen Jahren seien ihr mehr als 150 Millionen Stück Geflügel zum Opfer gefallen. Im Grunde seien nur noch der Kontinent Australien und Neuseeland noch nicht davon betroffen.

Klade weniger humanpathogen

In erster Linie handele es sich um ein Vogelvirus, betonte Beer aber auch. Ein wichtiger Punkt sei, dass gerade diese Klade „vermutlich über die Anpassung an den Vogel“ weniger humanpathogen sei. Es seien im Moment weniger als 20 Fälle bekannt, und diese seien meist mild verlaufen, wie auch jüngst die beiden registrierten Infektionen bei Arbeitern in Milchviehbetrieben in den USA.

Zur Gefährlichkeit und Sterblichkeit beim Menschen im Fall einer Vogelgrippepandemie gebe es noch relativ wenig gesichertes Wissen, sagte Christian Althaus vom Schweizer Bundesamt für Gesundheit. Bei jedem neu­en Virustypen könne dies unterschiedlich ausfallen, etwa in Abhängigkeit davon, welches Gewebe infiziert wird.

Kuheuter als Dreh- und Angelpunkt

Beim wohl seit Monaten andauernden Infektionsgeschehen bei Milchkühen in mehreren US-Bundesstaaten sei eine enorm hohe Viruslast in der Milch nachgewiesen worden, sagte Beer. „Das Virus hat einen perfekten Vermehrungsort im Euter dieser Kühe gefunden.“

Über die Situation in Europa sagte der Forscher: „Wir haben keinerlei Hinweise in Europa auf Infektionen bei Kühen.“ Trotzdem sei erhöhte Wachsamkeit geboten. In den vergangenen vier Wochen seien auch nur noch vereinzelt Fälle bei Vögeln und Geflügel festgestellt worden.

Das Risiko eines Eintrags des Virus in Milchkühe in Europa wird als relativ gering gewertet. Milchkuhimporte aus den USA nach Europa gebe es sehr wenig und ein Eintrag über infizierte Wildvögel sei derzeit relativ unwahrscheinlich, sagte Barbara Wieland, Leiterin des Instituts für Virologie und Immunologie der Universität Bern.

Fokus auf Früherkennung

Trotz des als gering eingeschätzten Risikos sei die Früherkennung extrem wichtig, betonte Wieland. Diese basiere auf dem Erkennen von Symptomen in Betrieben, etwa Milchrückgang und Mastititis. Als auffällig gilt darüber hinaus auch eine zähflüssige Milchkonsistenz.

Die Landwirte und Bestandstierärzte hätten hier eine Schlüsselrolle, sagte Wieland. Generell hielt sie fest, man könne sich nicht zurücklehnen, sondern müsse proaktiv handeln.

In den USA sei auch Abwassermonitoring genutzt worden, um nach H5N1 zu suchen, sagte Althaus. In Texas, wo Milchkuhherden sich nachweislich infizierten, sei das Virus einer Studie zufolge in 19 von 23 Anlagen detektiert worden.

Sollte im Rahmen der routinemäßigen Abwasserüberwachung auf bestimmte Krankheitserreger in der Schweiz etwa im Sommerhalbjahr ein unerwarteter Peak von Influenza A-Virus auftreten, könnten Althaus zufolge nähere Analysen auf H5N1 folgen. Deshalb sehe man sich gut vorbereitet.

Zur Frage eines Eintrags des Erregers in Schweine sagte FLI-Wissenschaftler Beer mit Blick auf bisherige Versuche mit verwandten Viren der in den USA vorkommenden Klade, im Moment sehe es glücklicherweise noch so aus, als habe das Schwein genügend Barrieren, um diese abzuhalten.

Hintergrund ist, dass Schweine nach Angaben des Robert-Koch-Instituts als „klassische Mischgefäße“ gelten. Sie könnten sich mit Vogel-, Menschen- und Schweine-Influenzaviren anstecken. Da Zellen im Atmungstrakt demnach mit unterschiedlichen Viren gleichzeitig infiziert sein können, könnten neue Mischungen drohen, sogenannte Reassortanten

Impfstoffkandidaten für Menschen

Da H5N1 als Bedrohung auch für den Menschen schon länger bekannt sei, gebe es verschiedene Impfstoff­kandidaten, die bestimmte Phasen durchlaufen hätten, sagte die Genfer Virologin Isabella Eckerle. Man fange nicht wie bei SARS-CoV-2 bei Null an.

Für eine direkte Anwendung sei es aber auch in Anbetracht der bislang geringen Zahl an beobachteten Infek­tionen zu früh. Hinzu komme, dass die Präparate nicht wie saisonale Grippeimpfstoffe zur Verfügung stünden.

Das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) listet derzeit mehrere pandemische H5N1-Impfstoffe mit Musterzulassung, außerdem einen präpandemischen.

Erst kürzlich hat die EU-Kommission darüber hinaus zwei adjuvantierte, in Zellkultur hergestellte Proteinimpf­stoffe des Grippeimpfstoffherstellers Seqirus zugelassen: Eine Vollzulassung als zoonotischer Influenza-Impf­stoff erhielt das präpandemische Präparat Celldemic.

Außerdem wurde das Produkt Incellipan bedingt in der EU zugelassen – es dient nach EMA-Angaben der Pandemievorsorge und darf auch nur im Fall einer offiziell ausgerufenen Pandemie eingesetzt werden.

Sollte ein solcher Fall eintreten, müsste der für die bisherigen Untersuchungen genutzte Virusstamm durch jenen ersetzt werden, der die Pandemie verursacht. Da Qualität, Sicherheit und Effektivität dann bereits geprüft seien, lasse sich die endgültige Zulassung beschleunigen, so die EMA.

Auch mRNA-Impfstoffe sind in Entwicklung. Bekannt ist dies unter anderem etwa von Pfizer, Moderna und Curevac in Kooperation mit GSK.

ggr

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