Vorschläge zur Notfallreform: Kritik von Niedergelassenen, Lob von Kassen und Unikliniken

Berlin – Die Regierungskommission Krankenhaus hat heute zwei neue Konzepte für die künftige Notfallversorgung in Deutschland empfohlen. Die Reaktionen darauf fallen unterschiedlich aus.
Zunächst sieht die Regierungskommission die Einrichtung von integrierten Leitstellen (ILS) vor. Diese sollen die beiden Notrufnummern 112 und 116 117 zusammenführen. Hilfesuchende Personen werden durch die ILS nach telefonischer oder telemedizinischer Ersteinschätzung der für sie am besten geeignete Notfallstruktur zugewiesen.
Die Leitstellen sollen dabei auf einen Strauß an Versorgungsangeboten wie telemedizinische Beratung, aufsuchende Dienste, Verordnungen von Notfallmedikamenten oder die Buchung eines Termins bei einer Arztpraxis zurückgreifen können.
Zum anderen sieht die Kommission integrierte Notfallzenten (INZ) vor, die im Krankenhaus angesiedelt werden sollen. Integriert bedeutet, dass es eine Notaufnahme des Krankenhauses sowie eine KV-Notdienstpraxis gibt, die direkt am Krankenhaus eine gemeinsame zentrale Ersteinschätzungsstelle haben.
„Mehr Schatten als Licht“, kommentierte Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), die Empfehlungen der Regierungskommission zur Reform der Notfall- und Akutversorgung. Zwar seien einige brauchbare Ansätze dabei, aber Vieles erscheine unrealistisch.
„So sollen Notdienstpraxen der Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) in den Integrierten Notfallzentren mit werktäglichen Öffnungszeiten von 14 bis 22 Uhr tätig sein. Wann sollen die Kolleginnen und Kollegen dann noch in ihren eigenen Praxen arbeiten?“, fragte der KBV-Chef.
Das Ganze wirke eher wie ein „Krankenhaus, wünsch dir was“, sagte der stellvertretende KBV-Vorstandsvorsitzende Stephan Hofmeister. „Tagsüber sind die Praxen ohnehin geöffnet und stemmen mit jährlich rund 600 Millionen Behandlungsfällen den Großteil der Patientenversorgung. Es lässt sich aber kaum eine Praxis betreiben, wenn man parallel noch regelhaft häufig Notdienste machen muss. Das wird den Nachwuchs endgültig abschrecken.“ Die Vorschläge seien deshalb kein Beitrag, um knappe Ressourcen optimal zu bündeln und zu integrieren, so Hofmeister.
Auch der Deutsche Hausärzteverband übte Kritik. „Ein sehr großer Teil der Notfallversorgung findet in den Hausarztpraxen statt, gleichzeitig spielen diese in dem Gutachten de facto keine Rolle“, sagte der Bundesvorsitzende Markus Beier, dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Es dränge sich der Eindruck auf, dass die Pläne aus der Sicht der Krankenhäuser und nicht aus Sicht der Patienten geschrieben worden seien.
Krankenkassen fordern Vermeidung von Doppelstrukturen
Der GKV-Spitzenverband begrüßte, „dass die Regierungskommission in ihrer Stellungnahme mutige und richtige Schritte zur Reform für eine bedarfsgerechte, qualitativ hochwertige und wirtschaftliche Notfallversorgung vorschlägt.“ Richtig sei es, Hilfesuchende durch die ILS telefonisch oder telemedizinisch dorthin zu leiten, wo sie schnell und bedarfsgerecht medizinisch versorgt werden, sagte Stefanie Stoff-Ahnis, Vorstand im GKV-Spitzenverband.
Die Planung der Standorte der INZ müsse sich jedoch am Bevölkerungsbedarf orientieren, um bundesweit eine gute Erreichbarkeit der INZ zu gewährleisten und gleichzeitig unnötige Doppelstrukturen zu vermeiden, so Stoff-Ahnis. „Aus Sicht des GKV-Spitzenverbandes hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) die Expertise, um die qualitativen Mindeststandards für die technische und personelle Ausstattung und Qualifikation des Personals der KV-Notdienstpraxen und für die Notaufnahmen zu definieren.“
Auch der AOK-Bundesverband zeigte sich zuversichtlich. „Es ist gut, dass es jetzt auch bei der Reform der Notfallversorgung vorangeht, nachdem das Thema in der letzten Legislaturperiode nicht angepackt worden ist“, sagte die Vorstandsvorsitzende Carola Reimann.
Wichtig sei aus Sicht der AOK, dass die sektorale Trennung in diesem Bereich überwunden werde. „Die Patientinnen und Patienten brauchen endlich eine zentrale Anlaufstelle und eine Notfallversorgung aus einer Hand. Mit der Schaffung von Integrierten Leitstellen und der Bündelung der Notfallversorgung in Integrierten Notfallzentren zeigt die Reformkommission den richtigen Weg auf“, sagte Reimann.
Allerdings sollten die Integrierten Notfallzentren als eigenständige Organisationseinheiten verankert werden, um die bisher stark fragmentierten Versorgungsstrukturen zu überwinden, so die Kassenchefin. „Es sollte darum gehen, dass ohne ökonomische Beeinflussung und nach medizinischen Kriterien die richtige Versorgungsebene angesteuert wird. Dazu gehört dann auch ein eigenständiges Budget mit einem neuen Entgeltsystem.“
Kein Bürokratiemonster
Der Gesundheitspolitiker und FDP-Bundestagsabgeordnete Andrew Ullmann betonte die Notwendigkeit der Überwindung der Sektorengrenzen zwischen ambulanter und stationärer Versorgung auch hinsichtlich der Notfallversorgung. Er begrüßte insbesondere die geplante Nutzung der Digitalisierung in Form von durch Algorithmen gestützten Ersteinschätzungen in den Leitstellen.
„Der Datenaufnahme- und Anamneseprozess kann durch digitale Lösungen wie die elektronische Patientenkurzakte ebenso beschleunigt werden wie die gezielte Versorgung durch KI-basierte Entscheidungshilfen bei der diagnostischen Ersteinschätzung. Hierdurch werden auch Allokationsprobleme verbessert.“
Fehlanreize zur stationären Aufnahme seien leider noch durch eine unzureichende Finanzierung gegeben, so Ullmann. Auch hier müsse dringend gehandelt werden, um unnötige Krankenhausaufenthalte und damit Ressourcenmissbrauch zu vermeiden. „All das darf sich aber nicht zu einem kleinteiligen Bürokratiemonster auswachsen”, warnte der FDP-Politiker.
Der Verband der Universitätsklinika Deutschlands (VUD) begrüßte ebenfalls den Vorschlag. Der erste Vorsitzende des VUD, Jens Scholz, erklärte: „Wichtig ist, dass die Notfallzentren in der Regel an den Krankenhäusern mit den G-BA-Notfallstufen 2 und 3 andocken sollen. Denn dort wird die interdisziplinäre Kompetenz gebündelt vorgehalten.“ Zudem sollte das Krankenhaus die Leitung des jeweiligen Integrierten Notfallzentrums übernehmen können, betonte Scholz. „Das ist absolut richtig. Denn die Krankenhausärzte haben den besten Überblick über die weiteren Versorgungskapazitäten vor Ort.“
Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) erklärte, die Überlegungen hätten das Potential, die Notfallversorgung der Patienten deutlich zu verbessern. Integrierte Leitstellen (ILS) und Integrierte Notfallzentren (INZ) zu etablieren, seien Schritte in die richtige Richtung.
Besonders positiv sieht die DKG das Ziel der Kommission, durch gestufte Angebote der ILS, von der telemedizinischen Beratung, über die direkte Vermittlung von Arztterminen bis hin zum Hausbesuch durch den KV-Bereitschaftsdienst den hilfesuchenden Patienten adäquate Angebote zu machen. Dies dürfte wesentlich dazu beitragen, die Notaufnahmen der Krankenhäuser und die dort angesiedelten INZ zu entlasten.
„Wir brauchen die von der Kommission beschriebenen gestuften Angebote, sodass am Ende nur die Patientinnen und Patienten im INZ ankommen, die ansonsten nicht adäquat versorgt werden können“, erklärte der Vorstandsvorsitzende der DKG, Gerald Gaß.
Bei den Planungen müsse es aber auch darum gehen, realistische Mindeststandards festzulegen. Im Ergebnis müsse eine flächendeckende Sicherstellung der ambulanten Notfallversorgung gewährleistet sein. Es sei richtig, dabei auch in Richtungen zu denken, die hochqualifizierte Pflegekräfte und Gesundheitsfachberufe jenseits der Mediziner verantwortlich beteilige, so die Krankenhausgesellschaft.
Pläne, INZ nur noch an Krankenhäusern der Notfallstufen zwei und drei und, wo regional erforderlich, auch an Kliniken mit Basisnotfallversorgung einzurichten, müssen aus Sicht der DKG vor Ort mit Blick auf die regionale Versorgungslage beurteilt werden, hieß es weiter.
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