Vermischtes

Wie man Corona im Abwasser aufspürt

  • Mittwoch, 6. Juli 2022
/picture alliance, Arnulf Stoffel
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Berlin – Relativ niedrige Kosten, geringer Aufwand und ein Echtzeitlagebild der Pandemie: Amtsärzte haben sich kürzlich für eine Ausweitung von Abwasseranalysen auf Coronaspuren ausgesprochen.

„Optimal wäre, wenn alle Kommunen mitmachen würden“, sagte der Vorsitzende des Bundesverbands der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheits­dienstes (BVÖGD), Johannes Nießen, der Funke-Medieng­ruppe.

Bisher läuft in Deutschland ein Pilotprojekt mit 20 Standorten, unter anderem in Berlin. Dazu Fragen und Antworten.

Wie funktionieren solche Untersuchungen?

Zunächst werden im Klärwerk Abwasserproben entnommen. „Da reichen kleine Fläschchen mit 200 Milliliter zweimal pro Woche“, sagte Emanuel Wyler, der seit Anfang 2021 am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in Berlin etwa Analysen zu Virusvarianten mit durchführt.

Im Abwasser finden sich, stark verdünnt, winzige Virusbestandteile, die manche Infizierte beim Zähneputzen oder beim Toilettengang ausscheiden.

„Wir extrahieren die Viren aus der Probe und nehmen dann eine PCR-Untersuchung vor, wie man das auch vom Abstrich in der Nase oder dem Rachen kennt.“ Untersucht werde die Probe nicht nur auf SARS-Cov-2, sondern für die Vergleichbarkeit auch auf harmlose, aber weit verbreitete Pflanzenviren.

Was können Abwasseruntersuchungen leisten?

Als Vorteile gelten der zeitliche Vorlauf im Vergleich zu den offiziellen Pandemiedaten und die Unabhäng­igkeit von der Zahl durchgeführter (PCR-)Tests. Kurz gesagt: Während sich nur manche Menschen testen lassen, muss jeder auf Toilette.

Mit dem Abwasser ist man den Experten zufolge auch näher dran an den tatsächlichen Infektionen, weil Infizierte auch bereits vor Erkrankungsbeginn Viren ausscheiden. Die Meldezahlen hingegen hängen der tatsächlichen Entwicklung hinterher, weil Zeit vergeht von der Ansteckung über den Krankheitsausbruch bis hin zum PCR-Ergebnis und der Meldung ans Robert-Koch-Institut (RKI).

Die Angaben zum zeitlichen Vorlauf verglichen mit den RKI-Kurven variieren: Während die Laborleiterin der Berliner Wasserbetriebe in einem Interview zum Beispiel von sieben Tagen sprach, nennt die Stadt Köln in einer Mitteilung einen Zeitvorsprung von vier bis zehn Tagen.

Auch Virusvarianten lassen sich mit Zusatzuntersuchungen nachweisen. Technisch möglich ist es nach Anga­ben der Fachleute auch, Orte von besonderem Interesse wie große Firmen oder Flughäfen unter die Lupe zu nehmen.

„Abwassermonitoring kann recht gut zeitliche Entwicklungen darstellen und gegebenenfalls auch Hotspots erkennen helfen, je nachdem wie kleinräumig das gemacht wird“, meint der Bremer Epidemiologe Hajo Zeeb. Insofern sei es – auch weil es im besten Fall schnell Informationen liefere - durchaus eine „wertvolle Ergänzung“.

Was kostet ein solches Vorgehen?

Ein Test zum SARS-CoV-2-Nachweis kostet nach Angaben der Berliner Wasserbetriebe circa 300 Euro. Die Be­stimmung der Variante schlage mit weiteren 200 Euro zu Buche. „Wir haben ein digitales PCR-Gerät ange­schafft und einen Mikrobiologen eingestellt“, teilte ein Sprecher mit.

Ein Teil der Untersuchung werde an ein externes Labor vergeben. „Viele gerade kleinere Wasserversorger ohne eigene Labore müssten sicher diesen Weg der Vergabe gehen“, erklärte der Sprecher.

Die Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall (DWA) spricht von jährlichen Kosten von 14 Millionen Euro, wenn man die 235 größten Klärwerke in Deutschland einbeziehen würde – damit sei rund die Hälfte der Bevölkerung erfasst.

Auch für Forscher Wyler ist es nicht nötig, wirklich aus jeder Kommune Proben zu haben. „Das wäre viel zu aufwendig.“ Vielmehr seien Proben aus den 100 größten Kläranlagen Deutschlands ausreichend. „Wenn man dort zweimal pro Woche Proben entnähme, käme man auf wöchentliche Kosten von einigen Zehntausend Euro.“

Lohnt sich die Abwasseruntersuchung?

Das dürfte eine der Fragen auch im Rahmen des laufenden Pilotprojekts sein. Damit soll laut Beschreibung unter anderem ermittelt werden, wie die bisher für lokale Kontexte entwickelten Konzepte auf weitere Regio­nen übertragbar sind. Es soll bis März 2023 laufen.

Für Wyler ist die große Frage, was man mit der Erkenntnis anstellt, dass an einem Ort ein Ausbruch im Gange ist oder sich die nächste Welle abzeichnet. Schickt man bei einer bestimmten Entwicklung zum Beispiel wie­der mehr Menschen ins Homeoffice? Verhängt man eine Maskenpflicht oder erlässt man als Krankenhaus vor­sorglich eine Urlaubssperre? „Das muss von der Politik beantwortet werden.“

Wyler gibt zudem zu bedenken, dass Abwasserwerte keinerlei Auskunft über die Krankheitsschwere erlauben und lediglich Trends beim Infektionsgeschehen erkennen lassen. Es könne nicht auf die Zahl der gegenwärtig Infizierten in der Bevölkerung rückgeschlossen werden. Es braucht nach Informationen der Forscher auch ein gewisses Infektionsgeschehen, um das Virus im Abwasser aufspüren zu können.

Welche Vorbilder gibt es?

In zahlreichen Ländern wird Abwasser in kleineren Projekten oder im Zuge größerer Erhebungen auf SARS-CoV-2 untersucht. In Nachbarländern wie Österreich und den Niederlanden weisen jeweils Coronadashboards im Internet die Ergebnisse aus.

Dabei stehen auch regionale Angaben zur Verfügung. Die Idee an sich ist nicht neu: Abwasseranalysen auf Polio werden in einigen Ländern seit vielen Jahren durchgeführt. Auch zum Drogenkonsum in Städten lassen sich so Erkenntnisse gewinnen. Wissenschaftler interessieren sich neben Corona auch für andere Erreger wie Influenza und antibiotikaresistente Bakterien.

dpa

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