Zu wenig Aufklärung über Nutzen und Nachteile der Krebsfrüherkennung

Berlin – Noch eine „riesige Baustelle“ ist für Norbert Schmacke, Universität Bremen, die Aufklärungssituation der Bevölkerung über Krebsfrüherkennungsuntersuchungen. Zu selten oder nicht umfassend genug werde über den Nutzen, aber auch über mögliche Nachteile der Untersuchungen aufgeklärt, sagte Schmacke heute in Berlin bei der Vorstellung des „Versorgungs-Reports Früherkennung“ des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO), dessen Mitherausgeber er ist.
Eine Befragung von mehr als 2.000 gesetzlich Versicherten habe ergeben, dass nur etwa 55 Prozent der Frauen über die Vorteile der Früherkennung von Gebärmutterhalskrebs informiert wurden. Sogar nur 25 Prozent erhielten Informationen über mögliche Nachteile der Untersuchung, wie beispielsweise falsch positive Befunde.
Ähnliche Defizite bei der Aufklärung zeigten sich auch bei Darmkrebsvorsorge: Die Information über die Nachteile der Koloskopie (36 Prozent) erfolgte dem Report zufolge deutlich seltener als die Aufklärung über den Nutzen der Untersuchung (75 Prozent). Nur bei der Brustkrebsfrüherkennung werden die teilnehmenden Frauen offensichtlich ausgewogen über Nutzen und Risiken aufgeklärt. „Die Befragungsergebnisse zeigen, dass die Voraussetzungen für eine informierte Entscheidung der Versicherten oft fehlen“, konstatierte Schmacke.
Der Nationale Krebsplan habe schon 2010 das Ziel formuliert, die Versicherten zu einer Entscheidung unter Berücksichtigung aller Vor- und Nachteile zu befähigen. „Der Versorgungs-Report zeigt, dass wir davon – nicht nur in Deutschland – weit entfernt sind: Der Nutzen von Krebsfrüherkennungsuntersuchungen wird in der Ärzteschaft wie auch bei den Bürgerinnen und Bürgern in der Regel deutlich überschätzt, die Risiken demgegenüber deutlich unterschätzt“, sagte Schmacke.
Ärzten kommt wichtige Rolle zu
Bei der Förderung der informierten Entscheidung seien die Ärztinnen und Ärzte besonders gefragt, meint der AOK-Bundesverband. Sie sollten sich noch stärker als bisher mit dem Nutzen, aber auch den möglichen Risiken und Nachteilen der Früherkennung auseinandersetzen und diese ihren Patienten vermitteln, erklärte heute ein Sprecher in Berlin.
Sowohl den Nutzen als auch mögliche Nachteile der Früherkennung in der Kommunikation angemessen zur berücksichtigen, sei „eine echte Herausforderung, und hier müssten auch die Krankenkassen besser werden, räumte er ein. Die AOK wolle ihren Beitrag leisten und entsprechende Aufklärungsmaterialien verbreiten, die zum Beispiel vom Gemeinsamen Bundesausschuss bereitgestellt würden.
Als Vorbild für eine gute Patienteninformation nannte Schmacke die Entscheidungshilfe des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) zur Mammografie: „Sie hat das Pro und Kontra auf dem Boden vorhandener Studien mit modernen Kommunikationsmethoden aufgearbeitet“, lobte er.
Kein Zeitdruck
Ferner betonte er, dass bei Früherkennungsuntersuchungen kein unmittelbarer Zeitdruck bestehe. Zeit müsse den Menschen gegeben werden, damit sie in Ruhe entscheiden könnten, ob ihnen eine Untersuchung nutzt. Es sei ein großer Fortschritt, wenn in den Entscheidungshilfen Nutzen und Risiken in absoluten Zahlen präsentiert würden, die auch für medizinische Laien gut verständlich seien.
Beispiel Brustkrebs: Von 1.000 Frauen, die zwischen dem 50. und 69. Lebensjahr regelmäßig am Brustkrebsscreening teilnehmen, werden etwa zwei bis sechs vor dem Tod durch Brustkrebs bewahrt, während etwa neun bis zwölf Frauen wegen eines entdeckten Tumors operiert oder bestrahlt werden, der ihr Leben ohne Screening nicht beeinträchtigt hätte.
Der „Versorgungs-Report Früherkennung“ zeigt auch, dass viele AOK-Versicherte die Früherkennungsuntersuchungen tatsächlich regelmäßig in Anspruch nehmen: So nahmen 78 Prozent der Versicherten über 60 Jahre zwischen 2007 und 2016 entweder den Stuhltest, die Koloskopie oder die Beratung zur Darmkrebsfrüherkennung in Anspruch, erklärte Christian Günster, Leiter des Bereichs Qualitäts- und Versorgungsforschung beim WIdO und ebenfalls Herausgeber des Reports.
An der Früherkennung von Gebärmutterhalskrebs nahmen im gleichen Zeitraum 85 Prozent der anspruchsberechtigten Frauen zwischen 30 und 49 Jahren regelmäßig teil. 15 Prozent ließen die Untersuchung dagegen nur selten (in einem oder zwei der zehn Jahre) oder gar nicht durchführen.
Bei der Brustkrebsfrüherkennung per Mammografie sei die Teilnahme in den Zeiträumen von 2007 bis 2009 und 2014 bis 2016 verglichen worden, erläuterte Günster. Im zweiten Zeitraum sei zwar der Anteil der Frauen, die eine Mammografie erhielten, um fünf Prozentpunkte auf 61 Prozent gestiegen, gleichzeitig hätten aber insgesamt 22 Prozent der anspruchsberechtigten Frauen von 60 bis 69 Jahren gar nicht an der Mammografie teilgenommen.
„Die Versichertenbefragung zeigt, dass dies oft mit grundsätzlicher Ablehnung zu tun hat – öfter als bei den anderen betrachteten Untersuchungen“, erläuterte Günster. „Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Informationen rund um das Mammografiescreening zu einer bewussteren Auseinandersetzung und Entscheidung der Frauen führen.“
Die Befragung zeigt zudem, dass sich die Versicherten vor allem per Internet über das Thema Früherkennung informieren. Dies gaben 51 Prozent der befragten Frauen und 47 Prozent der Männer an. Eine fast ebenso große Rolle spielt der Hausarzt: 40 Prozent der befragten Frauen und 50 Prozent der Männer nennen ihn als Informationsquelle.
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