Politik

Straffreiheit von Schwangerschafts­abbrüchen in früher Phase empfohlen

  • Montag, 15. April 2024
Lisa Paus (Bündnis90/Die Grünen), Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Karl Lauterbach (SPD), Bundesminister für Gesundheit, und Marco Buschmann (FDP), Bundesminister der Justiz, sprechen zu dem Abschlussbericht der Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin. /picture alliance, Britta Pedersen
Lisa Paus (Grüne), Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Karl Lauterbach (SPD), Bundesminister für Gesundheit, und Marco Buschmann (FDP), Bundesminister der Justiz, sprechen zu dem Abschlussbericht der Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin. /picture alliance, Britta Pedersen

Berlin – Schwangerschaftsabbrüche sollten in Deutschland nach Einschätzung einer von der Bundesregierung eingesetzten Expertenkommission künftig nicht mehr grundsätzlich strafbar sein. „In der Frühphase der Schwangerschaft (...) sollte der Gesetzgeber den Schwangerschaftsabbruch mit Einwilligung der Frau erlau­ben“, heißt es in der Zusammenfassung eines Berichts der Kommission, die heute in Berlin vorgelegt wurde.

Die 18 Expertinnen äußern sich darin auch zu den Themen Eizellspende und Leihmutterschaft. Beides hält die Kommission unter bestimmten Umständen für zulässig.

Zwar sind Schwangerschaftsabbrüche faktisch auch heute in der Frühphase – also innerhalb der ersten zwölf Schwangerschaftswochen – möglich, wenn die Frau sich zuvor hat beraten lassen. Auch wenn bestimmte me­dizinische Gründe vorliegen oder nach einer Vergewaltigung sind spätere Abbrüche möglich.

Allerdings ist dies bisher als Ausnahmeregelung im Strafgesetzbuch geregelt, das Schwangerschaftsabbrüche ansonsten ganz grund­sätzlich unter Strafe stellt. In ihrem Koalitionsvertrag hatte die Ampel vereinbart, durch eine Kommission prüfen zu lassen, inwieweit Abbrüche auch außerhalb des Strafgesetzbuches geregelt wer­den könnten.

„Die grundsätzliche Rechtswidrigkeit des Abbruchs in der Frühphase der Schwangerschaft (...) ist nicht halt­bar. Hier sollte der Gesetzgeber tätig werden und den Schwangerschaftsabbruch rechtmäßig und straflos stellen“, sagte die für das Thema zuständige Koordinatorin in der Kommission, die Strafrechtlerin Liane Wör­ner von der Universität Konstanz, heute in Berlin. Dies gelte vor allem für die Zeit bis zur zwölften Schwan­ger­schaftswoche.

Auch für die zweite Phase der Schwangerschaft sieht die Kommission einen „Gestaltungsspielraum“ für den Gesetzgeber. Laut den Expertinnen der Kommission könne geprüft werden, bis zu welchem Zeitraum in den Wochen 13 bis 22 ein Abbruch erlaubt ist, sowie ab wann dieser nicht mehr erlaubt ist.

Denn: „Je kürzer die Schwangerschaft besteht, desto eher ist ein Schwangerschaftsabbruch zulässig, und je fortgeschrittener das Gestationsalter ist, desto gewichtiger sind die Belange des Ungeborenen“, heißt es in einer Kurzversion des Gutachtens.

Eine Ausnahme sieht die Kommission für eine kriminologische Indikation vor: Entsteht eine Schwangerschaft durch eine Vergewaltigung, sollte die Frist für einen Abbruch verlängert werden. Gerade mit Blick auf eine mögliche Traumatisierung durch die Vergewaltigung müsse es für diesen Fall einen längeren Zeitraum bis zum Abbruch geben, schreibt die Kommission.

In der dritten Phase der Schwangerschaft, also nach der 22. Schwangerschaftswoche, soll der Abbruch grund­sätzlich weiterhin verboten bleiben. Für diese späten Abbrüche, die aus medizinischer Indikation bei Gefahr für das Leben der Mutter möglich sind, fehle es aber an medizinischen Leitlinien sowie an gesetzlichen Rege­lungen.

Hier müsse, so die Kommission, der Gesetzgeber klarere Regeln für die medizinische Indikation festlegen. Denn es fehlten gesetzliche Kriterien für die Beurteilungen, unter welchen Voraussetzungen bei einem prä­na­taldiagnostisch auffälligem Befund ein Abbruch zulässig wäre. Die Kommission selbst plädiert eher für die Entwicklung von medizinischen Leitlinien anstatt für gesetzliche Regelung, erklärte Wörner.

Ein Abbruch sei aktuell zwar unter bestimmten Bedingungen straffrei, „aber er ist nach wie vor als rechts­wi­drig, als Unrecht gekennzeichnet“, kritisierte die stellvertretende Koordinatorin, Frauke Brosius-Gersdorf, die geltende Regel. Eine Änderung sei nicht einfach nur eine Formalie.

Für die betroffenen Frauen mache es einen großen Unterschied, ob das, was sie täten, Unrecht sei oder Recht. Dies gelte auch für die Arbeit der Ärztinnen und Ärzte, die einen Abbruch durchführten, betonte sie. Gerade bei kritischen Situationen zum Zeitraum der Schwangerschaft müsse es auch für Ärztinnen und Ärzte deutli­chere Regelungen geben.

„Außerdem hat das Auswirkungen auf die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherungen“, erklärte Brosius-Gersdorf. Denn wenn der Abbruch straffrei ist, dann müssten die Krankenkassen die Kosten überneh­men. Ein Abbruch kostet bis zu 600 Euro, die Frauen selbst zahlen müssen. Allerdings könnten Ärztinnen und Ärzte nicht dazu verpflichtet werden, ob sie Schwangerschaftsabbrüche anbieten. Dies würde die Gewissens­freiheit und Berufsausübungsfreiheit beschneiden, so Brosius-Gersdorf.

In der seit 30 Jahre bestehenden Rechtsordnung ist eine verpflichtende Beratung vor dem Schwangerschafts­abbruch vorgesehen. Diese Beratung könnte auch bei Straffreiheit eines Abbruchs weiter bestehen bleiben. Hier habe der Gesetzgeber auch weiterhin einen Gestaltungsspielraum. Durch eine verpflichtende Beratung dürfe es keine Verzögerung geben, sie solle weiterhin ergebnisoffen erfolgen.

Werde auf eine verpflichtende Beratung verzichtet, solle laut Kommission weiterhin ein „flächendeckendes, niedrigschwelliges, barrierearmes und vielsprachiges Beratungsangebot vorgehalten“ werden. Dazu sollte es einen Rechtsanspruch geben, schreibt die Kommission. Auch können sich die Expertinnen vorstellen, zusätz­lich zu einem freiwilligen Beratungsangebot eine Informationspflicht für Ärzten gegenüber den Patientinnen festzulegen.

Allerdings dürfe eine mögliche freiwillige Beratung nicht dazu führen, dass die staatliche finanzielle Unter­stüt­zung für die Beratungsstellen wegfallen. „Insgesamt ergeben sich aus den Empfehlungen viele weitere Fragestellungen zur Versorgung“, sagte Brosius-Gersdorf.

Die Bundesregierung hat das Gutachten heute von den Expertinnen entgegengenommen und will dies nun prüfen. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sprach von einem „sehr wichtigen Bericht“, warnte aber vor einer weiteren „Debatte, die die Gesellschaft spaltet“.

Für Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) müsse es nun auch eine „sachliche Debatte aus vielen Disziplinen“ geben. Viele Fragen bei dieser Thematik blieben schwierig, daher benötige es eine sachliche Diskussion und keine Debatte, die „die Gesellschaft in Flammen setzt“, so Buschmann. Man sehe, was diese Debatten zum Thema beispielsweise in Polen oder den USA in der Gesellschaft anrichteten.

Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) sprach von einer „guten Grundlage für den nun notwendigen offenen und faktenbasierten Diskurs“. Auch sie verwies darauf, alle wüssten, „wie emotional“ diese Fragen behandelt würden.

Wie es nun mit den Empfehlungen der Kommission weitergeht, das ließen sich die Ministerin und die beiden Minister auch auf mehrfache Nachfragen nicht entlocken. So soll das rund 600-seitige Gutachten zügig an die Mitglieder der Bundesregierung sowie den Abgeordneten des Bundestages weitergeleitet werden.

Dann soll ein Meinungsbildungsprozess entstehen, ob und an welchen Stellen der Gesetzgeber aktiv werden soll. Einen Zeithorizont dafür könne noch niemand nennen. Lauterbach kündigte allerdings an, zügig die Ver­sorgungslücken, die die Ergebnisse der ELSA-Studie vergangene Woche aufgezeigt hatten, schließen zu wollen.

bee/dpa

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