Ärzteschaft

43. Deutscher Psychothera­peutentag: Lauterbach schweigt zu drängenden Themen

  • Montag, 20. November 2023

Berlin – Die Erwartungen waren hoch und wur­den enttäuscht: Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat sich auf dem 43. Deutschen Psychotherapeutentag nicht zu der Frage geäußert, wie die Finanzie­rung der psychotherapeutischen Weiterbildung sichergestellt werden kann. Nur ansatzweise ging er darauf ein, wie sich die Bundesregierung die im Koalitionsvertrag festgeschriebene Verbesserung der psychothera­peu­tischen Versorgung vorstellt.

In einer kurzen Videobotschaft verwies Lauterbach darauf, dass fast jeder Dritte im Laufe seines Lebens an einer behandlungsbedürftigen psychischen Erkrankung leide und auch die Krankschreibungen deutlich zu­nehme. „Die multiplen Krisen haben daran gewiss ihren Anteil“, sagte er. Die Arbeit von Psychotherapeutin­nen und Psychotherapeuten bezeichnete er als „wichtigen Einsatz“ für psychisch kranke Men­schen.

Die Weiterentwicklung „des psychiatrisch-psychotherapeutischen Versorgungsspektrums ist unser gemeinsa­mes Ziel“, betonte Lauterbach weiter. Dazu wolle das Bundesgesundheitsministerium (BMG), den Psychiatrie-Dialog zur Weiterentwicklung der Hilfen für psychisch erkrankte Menschen wieder aufnehmen.

Dieses Forum fand zuletzt im November 2018 statt. Zwei Empfehlungen dieses Dialogs ständen als Zielset­zungen im Koalitionsvertrag: zu ambulanten Komplexleistungen und zur Krisenhilfe. „Im BMG prüfen wir der­zeit die Umsetzungsmöglichkeiten“, erklärte der Minister.

Darüber hinaus habe sich die Bundesregierung vorgenommen, die Wartezeiten auf einen Therapieplatz zu reduzieren, insbesondere für Kinder- und Jugendliche. „Denn Kinder und Jugendliche haben mit am meisten unter der Pandemie gelitten, wir dürfen sie jetzt mit den psychischen Folgen dieser Erfahrungen nicht allein lassen“, betonte Lauterbach.

Viele Betroffene sähen sich nicht in der Lage, Behandlungsangebote anzunehmen. „Eine große Hürde stellt immer noch die Stigmatisierung psychischer Erkrankungen dar.“ Das BMG fördere deshalb verschiedene Pro­jekte zu besonders drängenden Aspekten der Entstigmatisierung, so der Bundesgesundheitsminister.

„Der Minister schweigt sehr laut und sehr deutlich zu unseren drängendsten Fragen. Die im Koalitionsvertrag vereinbarte Verbesserung der psychotherapeutischen Versorgung ist die Verantwortung, der er sich dringend stellen muss“, sagte die Präsidentin der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK), Andrea Benecke. Lauter­bach müsse jetzt handeln, die entsprechenden gesetzlichen Regelungen müssten noch in dieser Legislatur­periode getroffen werden, damit Verbesserungen bei den Menschen ankommen.

Zur Versorgungsfrage gehört nach Ansicht der BPtK-Präsidentin auch, die Finanzierung der psychotherapeuti­schen Weiterbildung zu sichern. Dazu äußerte sich der Minister nicht. „Wir können es als Gesellschaft nicht riskieren, ganze Jahrgänge an psychotherapeutischem Nachwuchs zu verlieren und die Versorgung psychisch kranker Menschen auf diese Weise langfristig zu gefährden“, mahnte Benecke. „Wir haben unsere Hausaufga­ben gemacht, unsere Vorschläge liegen auf Tisch des Ministers.“

Des Weiteren verwies sie auf die erfolgreiche Petition zur Finanzierung der Weiterbildung des Studierenden Felix Kiunke sowie den Entschließungsantrag des Bundesrates vom 29. September, der die Bundesregierung auffordert, die Finanzierung der Weiterbildung zu sichern.

Die Studierenden der Masterstudiengänge Klinische Psychologie und Psychotherapie brauchten „eine verläss­liche Perspektive für ihre Weiterbildung“. „Wir brauchen Klarheit über die finanziellen Rahmenbedingungen, unter denen wir diese neue Weiterbildung umsetzen“, erklärte Benecke.

Die Delegierten des 43. Deutschen Psychotherapeutentages wandten sich entsprechend mit einer Resolution an den Bundesgesundheitsminister, folgende Forderungen im Rahmen des 1. Versorgungsgesetzes zu berücksichtigen:
• Die Wartezeiten für Patientinnen und Patienten auf einen psychotherapeutischen Behandlungsplatz insbe­sondere in ländlichen und strukturschwachen Regionen sowie für Kinder und Jugendliche müssten über eine Reform der Bedarfsplanung reduziert werden.
• Der Zugang zur ambulanten Komplexversorgung für schwer psychisch kranke Menschen müsse gestärkt werden, indem die Hürden der Richtlinie über die ambulante Komplexversorgung (KSVPsych-RL) abgebaut sowie die Behandlungskapazitäten gezielt ausgebaut werden.
• Der Zugang zur Psychotherapie für psychisch kranke Menschen müsse erleichtert werden. Wichtige Bau­steine hierfür seien die Anschlussversorgung nach Krankenhausbehandlung oder bei langer Schul- oder Ar­beitsunfähigkeit, sowie die explizite Berücksichtigung von psychisch kranken Menschen sowie Präventions­angeboten bei der Etablierung von Primärversorgungszentren.
• Eine leitliniengerechte Versorgung von Patienten in psychiatrischen und psychosomatischen Kliniken müsse durch eine bedarfsgerechte Personalausstattung ermöglicht werden. Der gesetzliche Auftrag an den Gemeinsamen Bundesausschuss, der seit mehreren Jahren nur unvollständig umgesetzt worden sei, müsse dazu präzisiert werden.
• Die Finanzierung psychotherapeutischer Weiterbildungsstellen in Praxen, Ambulanzen und Kliniken müsse gesichert werden.

Weitere Resolutionen, die der 43. Deutschen Psychotherapeutentag verabschiedet hat, befassten sich unter anderem mit den Themen der ambulanten Komplexbehandlung für Kinder und Jugendliche, der Klimakrise, der Nutzung von Gesundheitsdaten von Patienten, die Aussetzung der Abschiebung von psychisch kranken Geflüchteten sowie von Sparmaßnahmen bei ihrer psychosozialen Versorgung sowie der sozialen Ungerech­tigkeit.

PB

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