Politik

Analyse: Vorhaltefinanzierung dämpft Verluste bei Fallzahl­schwankungen, sorgt aber nicht für Mittelzuwachs

  • Dienstag, 16. Januar 2024
/Anke Thomass, stock.adobe.com
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Berlin – Die mit der geplanten Krankenhausreform angedachte Vorhaltefinanzierung würde im Durchschnitt zu konstanten Einnahmen eines Krankenhauses führen. Bei Fallzahlschwankungen dämpfe es mögliche Verluste, bei Fallzahlanstiegen würde das neue System aber zu geringeren Erlöszuwächsen führen als im heutigen diagnose­be­zogenen Fallpauschalensystem (DRG). Das zeigt eine aktuelle Auswirkungsanalyse der Firma Vebeto aus Ham­burg, die sich auf Datenanalysen für Krankenhäuser spezialisiert hat.

Der letzte Arbeitsentwurf eines Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetzes (KHVVG) sieht eine Vorhalte­finanzierung für den stationären Bereich vor, die künftig Teile der reinen DRG-Finanzierung ersetzen soll. Ziel ist es, dass Krankenhäuser Schwankungen bei Patientenfallzahlen besser ausgleichen können und damit eine stabilere Finanzierung erzielen.

Das Vorhaltebudget soll aus den Fallzahlen der Vorjahre berechnet werden und auf alle Krankenhäuser, die die gleiche Leistungsgruppe anbieten, verteilt werden. Vorgesehen war im Arbeitsentwurf auch eine Art Korridor in Höhe von 20 Prozent. Das bedeutet, wenn sich die Fallzahlen maximal 20 Prozent nach oben oder unten verän­dern, soll das Vorhaltebudget kurzfristig nicht angepasst werden und die Grundlage der Berechnung soll beim letzten festgelegten Wert bleiben.

Die Simulation von Vebeto zeigt nun die Effekte der Vorhaltepauschalen auf ein einzelnes Krankenhaus. Die Analyse bezieht sich auf ein fiktives Beispielkrankenhaus mit dem Namen St. Alea. Diese „Klinik“ ist ein Grund­versorger im ländlichen Raum mit zwei Spezialisierungen (Leistungsgruppen) in der Endoprothetik und der Uro­logie und wird ab dem Jahr 2030 betrachtet.

Das Jahr wurde deshalb gewählt, weil ab diesem Zeitpunkt die geplante Krankenhausreform in Gänze greifen soll, erläuterte Hannes Dahnke, CEO von Vebeto heute im Rahmen einer Pressekonferenz der Deutschen Krankenhaus­ge­sellschaft (DKG). Geplant ist, dass die Krankenhausreform 2024 in Kraft tritt und bis 2029 schrittweise umge­setzt wird.

Das Fazit der Berechnung von Vebeto lautet, dass im Mittel die Erlöse nach der Einführung der Vorhaltefinanzie­rung für das simulierte Krankenhaus St. Alea konstant bleiben. Damit ist im Durchschnitt zwar keine Verbesse­rung aber auch keine Verschlechterung zu sehen. Wenn ein Standort sein Leistungsgeschehen allerdings schon vorher nicht auskömmlich finanzieren könne, helfe die Vorhaltefinanzierung im Vergleich zum jetzigen Fallpau­schalensystem nicht weiter, interpretieren die Autoren.

Vorhaltebudget führt zu Verschiebung der Erlösschwankungen

Schwankungen in den Erlösen werden durch das Vorhaltebudget abgeschwächt, heißt es weiter. Insbesondere wenn die Schwankungen den Korridor von 20 Prozent nicht verlassen, könne das Vorhaltebudget dies abfedern. Allerdings führten Fallzahlschwankungen in manchen Fällen auch zu einer zeitlichen Verschiebung der Erlös­schwankungen.

Wenn ein Krankenhaus schleichend Patientinnen und Patienten verliere, würden die Verluste durch die Vorhalte­finanzierung zunächst gedämpft. Nach einigen Jahren passe sich der Erlösverlust aller­dings dem Verlust nach dem aktuellen DRG-System wieder an, heißt es weiter.

Zudem bestrafe das neue System Wachstum von Kliniken, vermittelt die Simulation. Wenn ein Krankenhaus schrittweise mehr Patienten durch Konzentration von Leistungen versorgen würde, dann wären die Erlöszu­wächse für die zusätzlichen Patienten geringer als im heutigen System. Dies böte keinen Anreiz, weitere Pa­tienten zu versorgen und würde großen Krankenhäusern noch größere Probleme bereiten, betonte Dahnke.

Sollten Krankenhäuser eine Leistungsgruppe verlieren, weil sie die benötigte Qualität nicht mehr vorhalten können, würde St. Alea keine finanzielle Verbesserung durch die Vorhaltefinanzierung erreichen.

Die Studie ist mithilfe einer Software durchgeführt worden, die Vebeto entwickelt hat. Diese wurde mit Parame­tern aus dem Arbeitsentwurf des KHVVG gefüttert. Dabei handele es sich um einen „hochkomplexen Algorithmus“, den das Gesetz beschreibe, erklärte Dahnke.

Die Studie berücksichtigt allerdings nicht den künftigen Krankenhausplan eines Bundeslandes, der eine neue Zuteilung von Leistungsgruppen zu Krankenhausstandorten vorsehen soll. Mit dieser Planung sollen Standorte künftig konzentriert werden, so dass nicht mehr alle Krankenhäuser alle Leistungen erbringen dürfen.

Da die Vorhaltepauschalen je nach Leistungsgruppe errechnet werden sollen, hat es einen Effekt auf die Höhe der Pauschale je Standort abhängig davon, wie viele Standorte beispielsweise die Leistungsgruppe Endoprothetik zugewiesen bekommen haben.

Analyse lässt wichtige Punkte außer Acht

Diesen Punkt kritisierten der Leiter der Regierungskommission Krankenhaus, Tom Bschor, und Mitglied der Kom­mission, Christian Karagiannidis, in einer kurzen Stellungnahme.

Die „relativ einfachen Berechnungen“ von Vebeto würden diese grundlegenden geplanten Veränderungen inklu­sive neuer Möglichkeiten durch sektorenübergreifende Versorger (Level-1i-Häuser) außer Acht lassen. Die Analyse betrachte die Krankenhauslandschaft statisch und unter der nicht realistischen Annahme, dass diese bis 2045 vollständig unverändert bleibe – bis auf die Vorhaltevergütung.

Zudem fehle etwa die Kostenseite in der Analyse, lautet die Kritik weiter. Bei steigenden Fallzahlen würden die Kosten nicht linear mitsteigen, da zusätzliche Behandlungen mit dem gleichen Personal erbracht würden, schrei­ben Bschor und Karagiannidis.

„Eine reine Marktanalyse und eine letztlich unterkomplexe und statische Betrachtung eines dynamischen Sys­tems hilft bei der aktuellen Diskussion und der Ausgestaltung der Details der Krankenhausreform nur bedingt“, schlussfolgern sie.

Sie betonten hingegen die Notwendigkeit der Reform insbesondere angesichts des demografischen Wandels und des daraus folgenden Fachkräftemangels, der noch weiter zunehmen werde. Ein bloßes Festhalten des Status Quo verbunden mit zusätzlichem Geld löse die Probleme nicht, so Karagiannidis und Bschor. Stattdessen würde bestenfalls ein nicht mehr zukunftsfähiges System künstlich aufrechterhalten.

Krankenhäusern stehen schwierige Zeiten bevor

Für mehr Geld im System sprach sich heute allerdings erneut Gerald Gaß, DKG-Vorstandsvorsitzender, bei der Pressekonferenz aus. Er warnte vor einer weiteren Verschärfung der wirtschaftlichen Situation der Krankenhäuser, die zu einem kalten Strukturwandel führen werde.

2022 hätten Zahlen des Deutschen Krankenhausinstituts (DKI) zufolge 54 Prozent der Krankenhäuser angegeben, ein finanzielles Defizit zu haben. 2023 waren es bereits 78 Prozent. Die Prognose für das aktuelle Jahr liege dem Krankenhausrating Report 2023 zufolge bei 81 Prozent.

Dem Insolvenzmonitoring der DKG zufolge gab es im vergangenen Jahr zudem 34 Insolvenzen von Krankenhaus­standorten. In diesem Januar seien es bereits sechs weitere, erklärte Gaß. Deswegen betonte er erneut, die No­wendigkeit eines Inflationsausgleichs, um insbesondere die gestiegenen Personal- und Sachkosten in den Kran­kenhäusern auszugleichen.

Die ­geplanten Liquiditätshilfen im Krankenhaustransparenzgesetz, auf die Bundesgesundheitsminister Karl Lau­terbach (SPD) immer wieder verweise, seien lediglich Gelder, die frühzeitig ausgezahlt würden und böten damit „keinen einzigen zusätzlichen Euro“, so Gaß.

Lediglich acht Prozent der Krankenhäuser hätten nach der vergangenen Herbstumfrage des DKI erklärt, dass diese Maßnahmen helfen würden, ihre Insolvenzgefahr zu reduzieren. Den Krankenhäusern fehle zudem das Geld für Zukunftsprojekte etwa hinsichtlich der Personalentwicklung oder Digitalisierung.

Gleichzeitig erklärte Gaß auch, dass es eine bessere Zentralisierung von Leistungen sowie eine wohnortnahe Grundversorgung brauche. Über die nächsten zehn Jahre könnte es rund 20 Prozent weniger Klinikstandorte geben, beziehungswiese eine Umwandlung von Standorten in Richtung Ambulantisierung.

„Das sind keine Veränderungen, vor denen wir zurückschrecken“, sagte Gaß. Allerdings brauche es bis eine Kran­kenhausreform greife, die dazu führe, entsprechende finanzielle Hilfen, um keinen kalten Strukturwandel zu erleben.

Krankenhäuser wollen mit Bundesländern neuen Vorschlag unterbreiten

Es brauche eine Reform, die künftig auf eine fallzahlunabhängigere Finanzierung und damit besseren Ausgleich höherer Strukturkosten der Kliniken abziele, sagte Gaß. Mit diesem Instrument der angedachten Vorhaltefinan­zierung könne dieses Ziel aber nicht funktionieren. Die DKG werde deshalb weitere Vorschläge machen und habe mit den Bundesländern vereinbart, dazu „Klausurrunden“ zu vereinbaren, um bessere Möglichkeiten auszuloten.

Ähnlich argumentierte die Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, Carola Reimann. Die Vorhaltefinan­zie­rung an Fällen auszurichten, bringe nur Bürokratie, aber keine Effekte zur Mengendämpfung und Leistungs­konzentration. „Wenn das so umgesetzt wird, werden die Erlöse der Kliniken weiter stark von der Anzahl der behandelten Patientinnen und Patienten abhängen“, sagte Reimann.

Besonders kontraproduktiv seien die Ausgleichsverfahren für über- und unterzahlte Vorhaltebudgets, die bei einer fallbezogenen Abfinanzierung zwangsläufig mit allen Krankenhäusern erfolgen müssten. „Vor diesem Hintergrund setzen wir uns für eine fallunabhängige Ausgestaltung der Vorhaltefinanzierung ein“, so Reimann. Sie rief Bund und Länder dazu auf, zu konstruktiven Beratungen zurückzukehren und die Krankenhausreform schnell zum Abschluss zu bringen.

Jens Scholz, erster Vorsitzender des Verbands der Universitätsklinika (VUD), erklärte, dass die Kopplung der Vor­haltefinanzierung nur Sinn mache, wenn gleichzeitig tatsächliche Strukturveränderungen im Krankenhausbereich auf den Weg gebracht werden. „Die Bundesländer müssen daher ihre Krankenhausplanung auf Konzentrationen und den Abbau von Doppelstrukturen ausrichten und damit für mehr Effizienz sorgen“, forderte Scholz.

Eine Krankenhausplanung mit weitreichenden und zeitlich unbefristeten Ausnahmeregelungen und unzureichen­den Qualitätsanforderungen dürfe es nicht geben. „Ansonsten ist eine Vorhaltefinanzierung kontraproduktiv und kein Instrument, das zielgerichtet bedarfsnotwendige Krankenhausstrukturen unterstützt“, sagte Scholz. Er plä­diert auf eine konsequente Umsetzung des Kompromisses zwischen Bund und Ländern, der im Sommer in Form eines Eckpunktepapiers gegossen worden ist.

Auch die bayerische Gesundheitsministerin, Judith Gerlach (CSU) äußerte sich heute zu der vorgelegten Studie. Diese bestätige die Forderung Bayerns, bei der Vorhaltefinanzierung nachzubessern.

„Mit den aktuellen Vorschlägen zur Vorhaltefinanzierung ist keine Verbesserung der finanziellen Situation der Krankenhäuser verbunden – weder grundsätzlich noch etwa speziell für kleine Krankenhäuser. Das ist also keine grundlegende Reform, sondern bestenfalls alter Wein in neuen Schläuchen“, kritisierte Gerlach. Stattdessen brau­che es eine Finanzierung der tatsächlichen Vorhaltekosten der Krankenhäuser. „Keinen Sinn ergeben dagegen abstrakt festgelegte Vorhalteanteile der bisherigen unzureichenden Vergütung nach Fallpauschalen.“

cmk

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