Politik

Bundeskabinett verabschiedet Medizinforschungs­gesetz mit kosmetischen Änderungen

  • Mittwoch, 27. März 2024
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) stellte die Kabinettsfassung des Medizinforschungsgesetzes heute der Öffentlichkeit vor. /picture alliance, Kay Nietfeld
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) stellte die Kabinettsfassung des Medizinforschungsgesetzes heute der Öffentlichkeit vor. /picture alliance, Kay Nietfeld

Berlin – Das Bundeskabinett hat den Entwurf des Medizinforschungsgesetzes (MFG) beschlossen. Ziel der Reform ist es, die Rahmenbedingungen für die Entwicklung, Zulassung und Herstellung von Arznei­mitteln und Medizin­produkten in Deutschland zu verbessern, indem Genehmigungsverfahren für klinische Prü­fungen sowie Zulas­sungs­verfahren beschleunigt und entbürokratisiert werden sollen.

Im Ver­gleich zum bislang vorliegenden Referentenentwurf weist die Kabinettsvorlage des MFG – trotz voraus­gegangener heftiger Kritik – nur geringfügige inhaltliche Änderungen auf.

„Mit dem Medizinforschungsgesetz stärken wir die Erforschung und Herstellung neuer Arzneimittel und Medi­zinprodukte und den Forschungsstandort Deutschland“, sagte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) heute. Das Gesetz sorge für schnelle, verlässliche und unbürokratische Verfahren, gebe den beteiligten Forschenden und Unternehmen Planungssicherheit und beschleunige den Zugang zu neuen Therapieoptionen für Patientinnen und Patienten.

„Alle notwendigen Prüfungen von Studien werden künftig parallel laufen können“, erläuterte der Minister. Durch Koordination durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) solle künftig in­nerhalb von 26 Tagen eine klinische Studie in Deutschland geprüft und genehmigt werden können.

„Wir werden in den nächsten Jahren deutlich mehr pharmazeutische und akademische Studien in Deutschland sehen“, ist Lauterbach überzeugt. Mit dem MFG werde ein wesentlicher Teil des Pharmastrategiepapiers der Bundesregierung umgesetzt.

Erreicht werden sollen die Ziele im Wesentlichen durch eine zentrale Koordination der Zulassungsverfahren und Anträge zu klinischen Prüfungen für Arzneimittel durch das BfArM, eine Spezialisierung der Ethikkommis­sionen der Länder, eine beschleunigte Bewertung mononationaler klinischer Prüfungen sowie Standardver­tragsklauseln für klinische Prüfungen.

Zudem sollen dezentrale klinische Prüfungen ermöglicht und Kennzeichnungen von Prüf- und Hilfspräparaten vereinfacht werden. Im Bereich des Strahlenschutzes soll durch mehrere Maßnahmen eine Verzahnung der strahlenschutzrechtlichen mit den arzneimittel- oder medizinprodukterechtlichen Anzeige- oder Genehmi­gungsverfahren, eine Verkürzung der Prüffristen und insgesamt eine Entbürokratisierung erreicht werden.

Damit ist die im Vorfeld vielfach von Bundesärztekammer (BÄK) und Landesärztekammern kritisierte Einrich­tung einer Bundesethikkommission nicht vom Tisch. Sie trägt in der Kabinettsfassung des MFG lediglich einen anderen Namen. Eine „unabhängige Spezialisierte Ethikkommission“ – wie sie in dem Papier genannt wird – soll besonders komplexe und eilige Verfahren bearbeiten.

Sie soll beim BfArM angesiedelt sein und ihre Mitglieder sollen direkt vom Bundesgesundheitsministerium berufen werden. „Die Unabhängigkeit ist trotzdem gewährleistet“, sagte Lauterbach auf Nachfrage des Deutschen Ärzteblattes (DÄ). Eine Berufung von Kommissionsmitgliedern durch die Regierung und deren unabhängige Arbeit schlössen sich nicht aus, sondern seien durchaus üblich, so der Bundesminister.

Trotz dieser Aussage bleibt die Bundesärztekammer bei ihrer Kritik. Die weiterhin vorgesehene Errichtung einer spezialisierten Ethikkommission für besondere Verfahren beim BfArM stelle die Unabhängigkeit bei der ethischen Bewertung von Studienvorhaben infrage, teilte die BÄK nach Bekanntwerden des Kabinettsbe­schlus­ses dem mit.

Dadurch könne das Vertrauen der Bevölkerung in die Forschung am Menschen gefährdet werden, so ihre Be­fürchtung. Zudem werden durch den Aufbau von Parallelstrukturen aus Sicht der Bundesärztekammer neue Reibungsverluste und Abgrenzungsprobleme geschaffen.

Auch der Arbeitskreis Medizinischer Ethikkommissionen (AKEK), der dem Entwurf zufolge eine Richtlinienbe­fug­nis erhalten soll, ist grundsätzlich enttäuscht vom MFG-Entwurf. „Durch das Medizinforschungsgesetz wird bezüglich der Regulierung klinischer Studien kein Problem gelöst. Stattdessen werden durch den Aufbau einer Parallelbürokratie in Form der Spezialisierten Ethikkommission neue Probleme geschaffen“, sagte Georg Schmidt, Vorsitzender AKEK, dem .

Auch die Bedeutung von akademischen Studien würde von der Politik weiterhin übersehen, bedauerte er. Diese würden im vom Kabinett gebilligten Medizinforschungsgesetz ignoriert. Für Erleichterungen der akademischen Forschung wolle sich auch der AKEK einsetzen, so Schmidt. Durch die eingeschränkten Kompetenzen der Lan­desethikkommission seien jedoch auch solche internen Reformprozesse gefährdet.

Der Verband forschender Pharma-Unternehmen (vfa) sieht die geplante neue Kommission auf Bundesebene zwar als eine Lösungsoption, um zu effizienteren Genehmigungsverfahren zu kommen. Es müsse aber geregelt werden, wie diese neue „Spezialisierte Ethikkommission für besondere Verfahren“ mit den bestehenden Ethik­kommissionen interagieren solle. „Eine weiterhin fehlende Harmonisierung beziehungsweise Parallelstruk­tu­ren bei deutschen Ethikvoten wären zum Schaden des Studienstandorts Deutschland“, so der Pharmaverband.

Eingang in das MFG fand auch das ebenfalls heftig umstrittene Vorhaben von Lauterbach, vertrauliche Erstattungsbeträge für Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen zu ermöglichen. Trotz Kritik an den Plänen sollen dem Kabinettsentwurf zufolge künftig die pharmazeutischen Unternehmer die Möglichkeit haben, geheime Preise für Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen zu vereinbaren.

Diese Option werde in anderen Ländern schon seit langem genutzt, betonte Lauterbach. Da Deutschland als Referenzland für Arzneimittelpreise in vielen anderen Ländern gelte, müssten die Hersteller bei öffentlich ein­sehbaren Verträgen die Kosten für neue Medikamente künstlich hochhalten, um nicht in eine Abwärtsspirale zu geraten – so die Argumentation.

Dies wird jedoch von den Krankenkassen bezweifelt. Man sehe keinerlei Verhältnismäßigkeit mit Blick auf die zu erwartenden erheblichen finanziellen Belastungen für die Solidargemeinschaft durch die vertrauliche Preise, sagte heute Carola Reimann, Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes.

„Es drohen finanzielle Mehrbelastungen der Beitragszahlenden in Milliardenhöhe – ohne Mehrwert für die Patientinnen und Patienten.“ Vertrauliche Erstattungsbeträge würden zudem für die Krankenversicherungen einen erheblichen bürokratischen Mehraufwand durch ein komplexes Rückforderungsmanagement bedeuten.

Dem Direktor des Verbands der Privaten Krankenversicherung, Florian Reuther, zufolge dient die geplante Ge­heimregelung ausschließlich dem Interesse der Pharmakonzerne, um außerhalb Deutschlands einen Preisvor­teil zu bekommen. „Den finanziellen Schaden haben dabei ausgerechnet die Versicherten, die sich kostenbe­wusst verhalten."

Paula Piechotta, zuständige Berichterstatterin für Arzneimittel der Bundestagsfraktion der Grünen, mahnte, dass man auch die Interessen der europäischen Nachbarländer berücksichtigen müsse. „Eine Regelung, die in Deutschland wenig verbessert, aber Gefahr läuft, die Arzneimittelpreise im restlichen Europa deutlich zu erhöhen, ist nicht im Interesse Deutschlands“, sagte sie. Es bestünde die Gefahr, den europäischen Zusammen­halt zu beschädigen.

ER

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