Cannabislegalisierung: Ruf nach mehr Prävention, Behandlungsangeboten und Jugendschutz

Berlin – Spätestens seit der Diskussion um die Legalisierung von Cannabis, die die Bundesregierung aktuell plant, wird die alte Einteilung in gute legale Drogen und schlechte illegale Drogen neu diskutiert.
Bei einem Symposium der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) mit dem Titel „Recht auf Rausch und Schutz vor Sucht – Drogenpolitik und psychische Gesundheit“ debattierten Experten gestern über die möglichen Auswirkungen einer Legalisierung von Cannabis auf die psychiatrische Versorgung.
Sie nahmen aber auch die legalen Drogen Alkohol und Tabak unter die Lupe, die „ein hohes Suchtpotenzial haben und immense Kosten für das Gesundheits- und Sozialsystem verursachen“, so die Fachgesellschaft.
„Mit einer legalen Abgabe von Cannabis erhöht man die Anzahl derjenigen, die Drogen konsumieren und entsprechend auch derjenigen, die dadurch Probleme bekommen werden“, sagte Andreas Meyer-Lindenberg, Präsident der DGPPN.
Notwendig seien daher Präventionsmaßnahmen und niedrigschwellige Beratungs- und Behandlungsangebote. „Wir haben bisher keine Konzepte dahingehend gesehen. Auch die Finanzierung solcher Maßnahmen muss geklärt werden“, konstatierte er.
„Mit einer Erhöhung der Verfügbarkeit geht auch eine Erhöhung der Betroffenen, die behandelt werden müssen, einher“, ergänzte Falk Kiefer, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Suchtforschung und Suchttherapie.
In den Psychiatrien gebe es jetzt schon Personalmangel. „Notwendig ist es daher, bei einer Legalisierung der Droge die Ausweitung der Versorgungsangebote gesetzlich festzulegen“, forderte Kiefer. Auch dürften die regionalen Budgets für Suchtberatungsstellen nicht eingekürzt werden. Er befürchtet „Bundeskampagnen, die nichts bringen, aber kein zusätzliches Geld für die Suchtberatung“.
Auch der Jugendschutz ist in der geplanten kontrollierten Abgabe von Cannabis nach Ansicht von Meyer-Lindenberg noch nicht umfänglich geklärt. „Die Jugendlichen werden Cannabis von den über 18-Jährigen bekommen und auch der Schwarzmarkt wird sich den Jüngeren zuwenden“, betonte der DGPPN-Präsident. Dabei sei Cannabiskonsum gerade für die Hirnentwicklung von Jugendlichen sehr schädlich.
„Cannabiskonsum bei Jugendlichen ist eine Katastrophe. Vor dem 16. Lebensjahr beginnende Konsumenten sind ihr Leben lang schwer beeinträchtigt“, erklärte Hannelore Ehrenreich, Leiterin der Klinischen Neurowissenschaften am Max‐Planck‐Institut für Multidisziplinäre Naturwissenschaften.
Ein früher regelmäßiger Konsum führe zu anhaltenden negativen Effekten in der Aufmerksamkeit als Erwachsener. Zudem interferiere Cannabiskonsum bei unter 16-Jährigen spezifisch mit Schizophrenie. Die Professorin sprach sich deutlich gegen eine Legalisierung der Droge aus.
„Rund 17 Prozent aller Cannabiskonsumenten entwickeln über die Lebenszeit eine Cannabisabhängigkeit, wenn der Konsum in der Adoleszenz beginnt, erklärte Ursula Havemann-Reinicke, Leiterin des DGPPN-Referats Abhängigkeitserkrankungen. Beginne der Konsum im Erwachsenenalter, entwickelten zehn Prozent eine Abhängigkeit.
Diese Raten stiegen auf 25 bis 50 Prozent, wenn Cannabis täglich konsumiert werde. „Darüber hinaus haben 50 bis 90 Prozent aller Cannabisabhängigen Personen eine lebensgeschichtliche Diagnose einer weiteren psychischen Störung“, so die Professorin an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universitätsmedizin Göttingen.
Hinsichtlich der Prävention und Frühkennung von Abhängigkeitserkrankungen wies Andreas Bechdolf darauf hin, dass man sich besonders um junge Konsumenten zwischen 18 und 34 Jahre kümmern müsse. „Die Prävalenz von psychischen Störungen ist in diesem Alter am höchsten. Das Ersterkrankungssalter liegt zu 75 Prozent vor dem 25. Lebensjahr – gleichzeitig suchen junge Erwachsene und besonders junge Männer sehr wenig Hilfe“, berichtete der Chefarzt der Kliniken für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik im Vivantes Klinikum am Urban und Vivantes Klinikum im Friedrichshain, Berlin.
Grundsätzlich müssten flächendeckend viel mehr jugendfreundliche niedrigschwellige Beratungs- und Behandlungsangebote etabliert werden, forderte Bechdolf. In der Hauptstadt gebe es mit „Soulspace“, einem Beratungs- und Behandlungsangebot für junge Menschen in Krisen und dem Frühinterventions- und Therapiezentrum „Fritz am Urban“ zwei gut etablierte und nachgefragte Angebote. Gefördert werden müssten darüber hinaus schulische Präventionsprogramme zur Vermeidung von Suchterkrankungen.
Der Beauftragte der Bundesregierung für Sucht- und Drogenfragen, Burkart Blienert (SPD), versuchte den Experten des Fachsymposiums zu erklären, warum sich die Bundesregierung für „neue Wege in der Drogenpolitik“ einschließlich einer Legalisierung von Cannabis entschieden hat. „Wir wollen die Risiken des Drogenkonsums reduzieren, mehr Kompetenz für Konsumierende und weniger Verbote. Ein Erwerb von Cannabis auf dem Schwarzmarkt ist die schlechteste Option und der Schwarzmarkt floriert“, sagte er.
Ergänzend erklärte Linda Heitmann, Drogen- und suchtpolitische Berichterstatterin der Grünen-Fraktion, dass das geplante Cannabisgesetz eine Reihe von verhältnispräventiven Maßnahmen beinhalte. „Es ist keine Werbung vorgesehen, es wird keine ansprechende Verpackung geben, es werden keine Gummibärchen auf dem Markt gebracht“.
Bei einer legalen Abgabe erhalte der Gesundheitsschutz einen hohen Stellenwert. Die Menschen würden künftig wissen, was sie konsumieren. Heitmann glaubt nicht, dass sich der Anteil der Konsumierenden erhöhen wird durch eine Legalisierung. „Wir hoffen auf einen verantwortungsvollen Umgang mit der Droge bei den meisten.“
Kritisch sieht hingegen die Psychiatrieberichterstatterin der Unions-Fraktion, Diana Stöcker, die geplante Legalisierung von Cannabis. „Das wird bei Jugendlichen dazu führen, dass sie sagen, dann könne es ja nicht so schlimm sein zu kiffen. Außerdem wird der Jugendschutz nicht ausreichend gewürdigt.“ Stöcker glaube zudem nicht daran, dass der Schwarzmarkt dadurch ausgetrocknet wird.
Die geplante Regulierung von Cannabis sei viel härter als die von Alkohol und Tabak, betonte der Drogenbeauftragte Blienert. Notwendig seien mehr Prävention und Suchthilfe, einschließlich guter Angebote für unter 18-Jährige. Diese dürfen auch künftig kein Cannabis legal erwerben. „Wir setzen auf Schadensminderung, Aufklärung und Beratung“, betonte Blienert.
Notwendig sei es in der Drogenpolitik darüber hinaus, Werbelücken bei Alkohol- und Tabakprodukten zu schließen, das heißt die Regulierungen in Deutschland an den internationalen Stand anzupassen, so der Drogenbeauftragte weiter.
Denn: „Jährlich sterben 150.000 Menschen aufgrund ihres Alkohol- und Tabakkonsums.“ Unter anderem sollte die Erlaubnis zum öffentlichen Konsum von Bier und Wein für Jugendliche ab 14 Jahren unter Aufsicht der Eltern aufgehoben werden. Alkohol sollte legal erst ab 18 Jahren konsumiert werden dürfen.
„Die Droge Alkohol würde heute nicht mehr zugelassen“, erklärte Kiefer, ärztlicher Direktor der Klinik für Abhängiges Verhalten und Suchtmedizin am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim. Zwei Millionen Menschen in Deutschland weisen ihm zufolge bereits eine Schädigung durch Alkoholkonsum auf; 1,6 Millionen das Vollbild einer Abhängigkeit. 19.000 Frauen und 43.000 Männer sterben nach Zahlen der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen jedes Jahr aufgrund ihres Alkoholkonsums.
„Je höher die Verfügbarkeit einer Droge desto mehr Menschen konsumieren und werden abhängig. Probierkonsum verselbständigt sich“, konstatierte Kiefer. Da Jugendliche sehr preissensibel seien, führten höhere Preise zu weniger Konsum in dieser Altersgruppe.
„Auch Rauchen ist lebensgefährlich. Jugendliche Raucher werden die Tabaktoten von morgen sein “, sagte Anil Batra, stellvertretender ärztlicher Direktor der Allgemeinen Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum Tübingen. Raucher sterben ihm zufolge etwa zehn Jahre früher als die Allgemeinbevölkerung, vor allem an Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Lungenkrebs. „Trotzdem ist Tabak eine legale Droge, die Menschen haben ein Recht auf Konsum“, gab Batra zu bedenken.
Coronabedingt sehe man eine Zunahme der Rauchprävalenz vor allem bei den 14- bis 17-Jährigen. „Die Tabakprävention bei den Jugendlichen hat versagt“, sagte Batra. Notwendig sei es, präventiv unter anderem an den Preisen für Tabakprodukte zu drehen.
In Deutschland koste eine Schachtel Zigaretten aktuell rund 7 Euro; in Irland beispielsweise bereits 14 bis 15 Euro. Jugendliche und junge Erwachsene seien wie bei Alkohol preissensibel. Batra empfahl, E-Zigaretten nicht als Maßnahme zur Harm Reduction darzustellen, denn Probierende von E-Zigaretten stiegen häufig auf Tabak um.
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