Politik

Corona-Warn-App: Viel Lob für Entwicklung, Appelle zur Nutzung

  • Dienstag, 16. Juni 2020
Minister der Bundesregierung stellten gemeinsam mit dem Robert-Koch-Institut und Industriepartnern die neue Corona-Warn-App vor. /picture alliance, dpa, Reuters Pool, Hannibal Hanschke
Minister der Bundesregierung stellten gemeinsam mit dem Robert-Koch-Institut und Industriepartnern die neue Corona-Warn-App vor. /picture alliance, dpa, Reuters Pool, Hannibal Hanschke

Berlin – Es ist ein großes Aufgebot, das die Bundesregierung bei der Vorstellung der deutschen Corona-Warn-App heute Vormittag in Berlin aufbot: Fünf Kabinettsmitglieder, mit Lothar Wieler vom Robert-Koch-Institut ein Wissenschaftler sowie die Vorstände von SAP und der Deutschen Telekom präsentierten die Corona-Warn-App, die seit heute früh um 2 Uhr im App-Store bei Google sowie etwas später auch bei Apple verfügbar war.

Dieses Aufgebot „bekommen sonst nur Staatsgäste“, erklärte die Staatssekretärin für Digi­talisierung im Bundeskanzleramt, Dorothee Bär (CSU), zum Auftakt.

„Das ist nicht die erste Corona-App, die vorgestellt wird. Aber ich bin ziemlich überzeugt, es ist die Beste“, betonte Kanzleramtschef Helge Braun (CDU). Auch wenn es nun einige Wochen gedauert hatte – Braun hatte die App für eine Zeit nach Ostern angekündigt – komme die Anwendung für Smartphones zur rechten Zeit.

Da stecke viel Arbeit von sehr vielen Beteiligten drin, hieß es. Bundesgesundheits­minis­ter Jens Spahn (CDU) sieht in der Anwendung „kein Freifahrtschein, aber ein wich­tiges weiteres Werkzeug in der Pandemie“, da durch mehr Mobilität der Menschen in Zügen oder Bussen nun mehr „anonyme Nähe“ entstehe.

Gerade in der beginnenden Urlaubszeit oder bei der Rückkehr aus dem Urlaub sei es wichtig, mögliche Kontaktpersonen zu informieren. Die Bundesregierung und die betei­ligten Unternehmen gehen davon aus, dass durch die App bis zur vier Tage beim Nach­verfolgen von Kontaktpersonen und damit Infektionsketten gewonnen werden könnten.

Gleichzeitig betonte Spahn, dass die App nicht vernünftiges Verhalten ersetze, Abstand zu halten sowie Alltagsmasken zu tragen. Natürlich könne es auch zu Fehlalarmen kommen, erklärte Spahn. „Aber mir ist ein Test zu viel lieber als ein Test zu wenig.“

Das BMG hatte vor einer Woche eine Verordnung angepasst, nach der auch asymptoma­ti­sche Patienten zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) getestet werden können. Explizit wurden auch die Nutzer der App mit einer Aufforderung zum Test darin genannt. Um auch Labore sowie Gesundheitsämter an den digitalen Datenaustausch an­zu­schließen, kündigte der Vorstands­chef der Telekom, Timotheus Höttges, an, dass in den kommenden Wochen auch hier Unterstützung geplant sei.

Laut den Entwicklern konnte in den Tests mit der neuartigen Bluetoothtechnologie – simuliert wurden ICE-Fahrten, Supermarktschlangen sowie Cocktailparties – in 80 Pro­zent der Fälle ein richtiges Ergebnis für den Abstand zwischen den beiden Geräten ge­messen werden, erklärte Jürgen Müller, Technikchef und Vorstandsmitglied bei SAP. Doch auch bei den derzeit üblichen Gedächtnisprotokollen, die Infizierte gemeinsam mit den zuständigen Gesundheitsämtern aufstellen, gäbe es Erinnerungslücken „die sicher­lich höher als 20 Prozent sind“, so Spahn.

Auch das Robert-Koch-Institut (RKI) betont, dass durch die App die „hervorragende und unverzichtbare Arbeit der Gesundheitsämter unterstützt werde“, erklärte RKI-Präsident Wieler. Die App sei eine Ergänzung des Instruments der Kontaktnachverfolgung, die bis­her sehr gut funktioniert habe. Jetzt nehme aber die Mobilität der Bevölkerung wieder zu. In Zeiten von niedrigen Infektionszahlen „haben wir jetzt die Zeit, die App gut kennen zu lernen und lernen, mit ihr umzugehen.“

Im RKI wurde in den vergangenen Wochen an einem Algorithmus gearbeitet, der aus den gemessenen Abstandsdaten ein mögliches Infektionsrisiko errechnet, mit dem Nutzer ge­warnt werden können.

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU), dessen Fachleute aus seinem Ministerium und dem BSI ebenfalls an der Entwicklung beteiligt waren, sagte, die App erfülle auch „höchste Ansprüche, was den Datenschutz angeht“. Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) betonte das Prinzip der „doppelten Freiwilligkeit“. Man entscheide selbst, ob man die Anwendung auf dem Smartphone installiere – und dann auch, ob man bei einem po­sitiven Test dies der App mitteile.

„Die Freiwilligkeit ist eine der wesentlichen Voraussetzungen dafür, dass diese App ange­nommen wird.“ Eine gesetzliche Regelung brauche es nicht. Aus ihrer Sicht seien Szena­rien, in denen ein Gastwirt beispielsweise die Installation einer App für den Besuch in sei­nen Räumen verlange, „an der Lebenswirklichkeit vorbei“.

Ähnliches gelte auch für Unternehmen. Arbeitgeber könnten nur eine Installation auf ein Diensthandy verpflich­ten, aber auch da müsse die Verhältnismäßigkeit geprüft werden. Unternehmen könnten auch andere Maßnahmen des Infektionsschutzes für die Mitar­bei­ter veranlassen.

Dank an IT-Szene

Der Dank der Bundesregierung gehe dabei nicht nur an die intensive Zusammenarbeit zwischen den Ministerien und den zuständigen Behörden, sondern auch an die IT-Szene, die mehr als 7.000 Eingaben sowie Vorschläge für den Entwicklungscode gemacht haben. Auch in der Zusammenarbeit mit dem Helmholz-Zentrum sowie besonders der Fraun­ho­fer-Gesellschaft, sei die neuartige Bluetooth-Technologie in Deutschland entwickelt wor­den.

„Schon seit Ende April steht die Fraunhofer-Gesellschaft dem Projektkonsortium um SAP und Telekom bei dem wichtigen Vorhaben der Entwicklung einer deutschen Corona-Warn-App unter Herausgeberschaft des RKI beratend zur Seite“, erklärte Fraunhofer-Prä­sident Reimund Neugebauer in einer Mitteilung. Dabei sein die Münchner Forscher be­sonders bei der Optimierung und dem effizienten Einsatz der „Exposure-Notification-Schnittstelle“ zur Abstandseinschätzung eingebunden gewesen.

Bei dem Projekt sei „alles Made in Germany“, betonte auch der Telekom Chef Timotheus Höttges bei der Vorstellung. „Es war das beste Public-Private-Partnership-Programm das ich jemals erlebt habe. Es ist fast ein Rockstar in der Geschwindigkeit bei der Projekt­arbeit“, so Höttges.

50 Tage waren SAP und Telekom in das Projekt involviert, in der Zeit habe man sehr viel in sehr kurzer Zeit erreicht. Bei der Entwicklung habe man auf Augenhöhe mit den Ent­wicklern bei Apple und Google gearbeitet, so dass auch dort die Programmschnitt­stellen verbessert werden konnten, betonte SAP-Technikchef Müller.

Gleichzeitig wurden viele ehrenamtliche Coder und Personen aus der Open-Source-Szene eingebunden, 1.500 Verbesserungsvorschläge für den Code lägen vor, die noch begut­achtet werden. Ebenso hätten sich alle Mobilfunkunternehmen in Deutschland darauf geeinigt, dass der Datenverkehr, der durch die Warn-App entsteht, kostenlos ist. Dieses „Zero Rating“ werde von allen Anbietern praktiziert.

Bundesinnenminister Seehofer erklärte, dass man mit SAP und der Telekom „sehr gute Partner“ gehabt hätte. „Aber vielleicht haben auch SAP und Telekom gemerkt, dass auch die Fachleute in unseren Ministerien sehr erstklassig sind. Das sagt man dem öffent­lichen Dienst ja oft anderes nach.“

Für die Entwicklung und den Managementprozess der App erhalten SAP und Telekom 20 Millionen Euro. Dazu kommen 2,5 Millionen bis 3,5 Millionen Euro im Monat für die lau­fenden Betriebskosten der Server und für zwei Hotlines.

Im App-Store von Google war sie bereits um kurz nach 2 Uhr morgens verfügbar, bei Apple dauerte es etwas länger. Die Android-Version lag am Abend bei etwa einer Millionen Downloads, für iOS sollen etwa 400.000 Downloads gezählt worden sein.

BÄK: App ist geeignete Strategie

Die App wird von einer breiten Allianz aus Bundes- und Landespolitik sowie auch der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen empfohlen. So erklärte Klaus Reinhard, Präsident der Bundesärztekammer: „Die neue Corona-Warn-App der Bundesregierung ist ein geeig­neter Baustein einer Strategie gegen die Coronaepidemie in Deutschland.“

Niemand sei zur Nutzung verpflichtet, aber jeder solle sich „gründlich mit den Möglich­keiten dieser Anwendung auseinandersetzen“, so Reinhardt. „So schützen Nutzer mit die­ser App nicht nur ihr näheres Umfeld, sie leisten auch einen wesentlichen Beitrag zur Ge­sunderhaltung der Gesellschaft als Ganzes. Darüber lohnt es sich nachzudenken.“

Der GKV-Spitzenverband, der Verband der Ersatzkassen sowie weitere Krankenkassen, beispielsweise die DAK Gesundheit und einige AOKen, empfohlen die Apps zum Herun­terladen. Auch die Deutsche Krankenhausgesellschaft appellierte an die Mitarbeiter in Krankenhäusern, die App zu nutzen, da diese eine gute Ergänzung zu den bestehenden Hygienekonzepten sei.

Kritik gibt es von der Opposition im Bundestag und Verbraucherschützern sowie dem Deutschen Anwaltsverein: So bestehen die Grünen weiter auf ein Gesetz zum Einsatz der App. „Wir hoffen, dass Millionen von Menschen die App jetzt runterladen“, sagte Frakti­ons­vize Konstantin von Notz. „Aber wir glauben, wenn man ein so relevantes Ding aus­rollt, dass man dann die rechtlichen Fragen in einem Gesetz geklärt haben muss.“

Die Bundestagsfraktion der Linken habe nicht abschließend dazu beraten, hieß es. „Die Gefahr besteht, dass eine falsche Sicherheit entsteht. Ich sehe den messbaren Mehrwert nicht, daher werde ich es nicht runterladen“, so die Linken-Fraktionschefin Amira Moha­med Ali.

Auch der Deutsche Anwaltsverein plädiert für ein Gesetz: „Wir brauchen ein Gesetz, das in generalisierender Betrachtung auch mittelbare Diskriminierung ausschließt“, so Eren Basar, Mitglied im DAV-Ausschuss Gefahrenabwehrrecht.

Auch Datenschutzbeauftrage der Bundesländer mahnten, dass die Anwendung freiwillig bleiben müsse. „Es darf nicht passieren, dass etwa Gaststättenbetreiber, Konzertveran­stal­ter oder private Busunternehmer irgendwann sagen: ,Wir akzeptieren nur Kunden und Gäste, die die App heruntergeladen haben'“, sagte der rheinland-pfälzische Datenschutz­beauftragte Dieter Kugelmann. Generell sei die App „aus der Datenschutz-Perspektive in Ordnung.“ Wenn die Corona­pandemie besiegt sei, sollte die Anwendung nicht mehr auf dem Smartphone aktiviert sein.

Für den Bundesdatenschutzbeauftragten Ulrich Kelber gibt es noch Nachbesserungs­be­darf beim Verfahren, wenn ein Nutzer infiziert ist. Dann bekommt er eine TAN von einer Hotline, die man in die App eingeben muss. An der Stelle muss einem Hotline-Mitarbeiter die Telefonnummer gegeben werden und die Anonymität sei dahin.

Kelber warnte auch davor, dass Dritte den Einblick in die App und den Infektionsstatus forderten: „Ich kann die Inhaber von Geschäften oder öffentlichen Verkehrsmitteln nur dringend warnen: Versucht es erst gar nicht.“

Auch Vertreter von Arbeitnehmerorganisationen wie beispielsweise die IG Metall forder­ten, dass Beschäftigten kein Nachteil entstehen dürfe, wenn sie die App nicht nutzen, so die stellvertretende Gewerkschaftsvorsitzende Christiane Benner. „Umgekehrt darf der Arbeitgeber keine Vorteile gewähren, wenn Beschäftigte eine solche App verwenden.“

bee/dpa

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