Debatte um Studie zu Krankenhausschließungen geht weiter

Berlin – Die Bertelsmann-Stiftung hat gestern empfohlen, die Zahl der Kliniken in Deutschland von 1.400 auf deutlich unter 600 Häuser zu reduzieren. Damit sollen die Versorgungsqualität und die Personalausstattung bei Ärzten und dem Pflegepersonal verbessert werden. Die Idee stieß gestern bereits auf Kritik von Politik, Ärzten und Patientenschützern und führte zu einer Debatte, die sich heute fortsetzte.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sprach sich für einen Mix aus wohnortnaher Versorgung und Spezialisierung aus. „Nicht jedes Krankenhaus muss alles machen. Hier sollten wir unsere Kräfte besser bündeln“, sagte er. „Kompliziertere Fälle gehören in ein Krankenhaus, das in der Behandlung Routine hat.“ Denn die Qualität einer Behandlung hänge stark mit der Erfahrung des Krankenhauses zusammen. Kliniken, denen diese nötige Routine fehle, stehe bereits jetzt keine Vergütung für diese Behandlung zu.
Deutsche Krankenhausgesellschaft, Landeskrankenhausgesellschaften und Krankenhausverbände hatten gestern bereits den Vorstoß kritisiert und die wohnortnahe Versorgung für wichtig erklärt. Auch die Deutsche Stiftung Patientenschutz warnte vor einem Kahlschlag. In Zeiten des demographischen Wandels gebe es immer mehr Patienten, die keine Maximaltherapie benötigten, sagte Vorstand Eugen Brysch.
Die Bundesärztekammer (BÄK) bezeichnete die Vorschläge gestern als befremdlich. In Ballungsgebieten könne es aber durchaus sinnvoll sein, dass Ärzte und Pflegepersonal in größeren Strukturen arbeiten, erklärte BÄK-Präsident Klaus Reinhardt. Im ländlichen Raum aber müsse die flächendeckende Versorgung sichergestellt werden.
Nur die Richtung stimmt
SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach stimmte heute den Plänen zur Verringerung der Krankenhäuser in Deutschland teilweise zu. „Der Grundtenor der Studie ist zwar richtig. Aber die Berechnung, dass man bis zu zwei Drittel der Krankenhäuser abbauen könnte, die halte ich aber für falsch und überzogen“, sagte er der Passauer Neuen Presse.
Tatsächlich würde die Qualität mit weniger Krankenhäusern steigen, sofern die richtigen geschlossen würden, so der SPD-Fraktions-Vize. „Wir haben sehr viele Krankenhäuser gemessen an vergleichbaren Ländern. Bei weniger Krankenhäusern hätten wir mehr Pflegekräfte, Ärzte und Erfahrung pro Bett und Patient und könnten auf überflüssige Eingriffe verzichten.“
Nur die richtigen Häuser schließen
Großer Schaden könnte Lauterbach zufolge entstehen, wenn die falschen Kliniken geschlossen würden. „Klar ist: Es darf keine Gewinnmaximierung durch Krankenhausschließungen geben. Es wird aber nicht möglich sein, mittelfristig die Ärzte und Pflegekräfte vorzuhalten, um in allen bestehenden Häusern die Versorgung abzudecken“, sagte er.
Die Förderung von Kliniken auf dem Land nannte er „dringend notwendig“. Denn: „Wir haben tatsächlich auf dem Land und in den sozialen Brennpunkten der Städte eher eine Unterversorgung. Wir haben dagegen eine Überversorgung in vielen Metropolen besonders dort, wo lukrative Krankenhausmärkte sind, wo viele Einkommens- und Bildungsstärkere leben.“
Unionsfraktions-Vize Georg Nüßlein (CSU) erklärte: „Wir haben zu viele Betten, das heißt nicht, dass wir zu viele Krankenhäuser haben.“ Medizinische Grundversorgung sei ein Wert an sich. Krankenhäuser in ländlichen Räumen müssten zu Gesundheitszentren weiterentwickelt werden, in denen „unter Einbeziehung der niedergelassen Fachärzte die Versorgung sichergestellt wird“. Ähnlich äußerte sich der gesundheitspolitische Sprecher der Linken, Achim Kessler.
Ländliche Regionen und Berlin skeptisch
Die Länder äußerten sich gestern skeptisch zu den Plänen. „Unsere Krankenhauslandschaft wurde neu strukturiert und sie passt. Selbstverständlich sollen die Krankenhausstandorte erhalten bleiben“, erklärte Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) nach Angaben der Staatskanzlei in Potsdam. „Wir wollen, dass sie sich noch stärker als Gesundheitszentren auch im ländlichen Raum öffnen können.“ Sie könnten dann auch gern „Poliklinik“ heißen.
Brandenburgs Gesundheitsstaatssekretär Andreas Büttner (Linke) betonte in einer Mitteilung, alle Standorte im Land sollten erhalten werden. So solle auch in Zukunft bedarfsgerechte, gut erreichbare und qualitativ hochwertige Versorgung sichergestellt werden. Qualität bedeute, dass die Krankenhausangebote für die Bürger noch erreichbar sein müssten. Zudem gehörten Krankenhäuser auch immer zu den größten Arbeitgebern vor Ort.
Die demografische Entwicklung stelle Krankenhäuser besonders in ländlichen Regionen vor große Herausforderungen, betonte Büttner. Für Brandenburg gehe es deshalb nicht um den Abbau von Krankenhäusern, sondern um den Umbau der Standorte zu modernen Gesundheitsanbietern.
Ähnlich sieht man das in Thüringen. Auch Gesundheitsministerin Heike Werner (Linke) hält an den Strukturen im Freistaat fest. „Wir wollen auch weiterhin alle Krankenhausstandorte in Thüringen erhalten. Gerade in ländlich geprägten Regionen brauchen wir eine schnelle Erreichbarkeit und funktionierende Notfallversorgung“, teilte Werner mit. Sie kritisierte, die Studie stelle auf einen Ballungsraum ab und habe mit Thüringen wenig zu tun.
Die Landesregierung in Berlin betrachtet die Vorschläge auch für Berlin als nicht passend. „In Berlin haben wir eine Auslastung der vorhandenen Bettenkapazitäten von zirka 85 Prozent“, sagte Lena Högeman, Sprecherin der Senatsverwaltung für Gesundheit dem rbb. In Berlin sei „keinesfalls“ die Hälfte der Krankenhäuser entbehrlich. Die Senatsverwaltung für Gesundheit stehe zu ihrem Ziel, eine möglichst gute, wohnortnahe medizinische Versorgung zu ermöglichen.
FDP für Umgestaltung
Ganz anders sieht das der FDP-Bundestagsabgeordnete Andrew Ullmann. „Ich begrüße die Ergebnisse der Bertelsmann-Studie. Sie zeigt klar, dass wir eine grundlegende Strukturreform im Gesundheitswesen brauchen“, sagte er. Nur auf diesem Weg könne man den „unsäglichen Dreiklang von Über-, Unter- und Fehlversorgung“ zerschlagen.
Ullmann betonte, wenn man eine bessere Versorgung der Patienten wolle, müsse man „endlich bedarfsgerechte und moderne Krankenhausstrukturen schaffen und einen wirklichen Qualitätswettbewerb in der Versorgung sicherstellen“. Daher sei ein Konzentrationsprozess bei Akutkrankenhäusern unerlässlich. „Da bin ich ganz auf der Seite der Studienautoren.“ Gleichzeitig brauche es eine Stärkung des Rettungsdienstes, der ambulanten Versorgung und der Reha-Einrichtungen.
KBV: Es braucht neue Konzepte
Ähnlich sieht das die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV). „Ein krampfhaftes Festhalten am Status quo bringt niemanden weiter. Kleine und defizitäre Krankenhäuser um jeden Preis zu erhalten, ist nicht zielführend – auch nicht im Sinne der Menschen vor Ort“, sagte KBV-Chef Andreas Gassen. Diese Häuser hätten weder die personellen noch apparativen Kapazitäten, um Patienten umfassend zu versorgen. Ganz zu schweigen davon, dass sie dies aufgrund mangelnder Routine, etwa bei operativen Eingriffen, auch nicht in der gebotenen Qualität leisten könnten.
Zu der erneut vorgetragenen Forderung der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Kliniken verstärkt für die ambulante Versorgung zu öffnen, weil die Kassenärztlichen Vereinigungen Engpässe nicht lösen könnten, sagte Gassen: „Auch durch ständige Wiederholung wird diese Aussage nicht wahrer. Das Gegenteil ist der Fall. Viele regionale Krankenhäuser wären gar nicht in der Lage, eine umfassende Grundversorgung zu gewährleisten, weil ihnen schlichtweg die Ressourcen fehlen. Welches Landkrankenhaus verfügt denn heute beispielsweise noch über eine augenärztliche oder eine gynäkologische Abteilung?“.
Der stellvertretende KBV-Vorstandsvorsitzende Stephan Hofmeister betonte, es könne auch nicht richtig sein, dass Krankenhäuser sich ambulante Leistungen einverleibten, um überlebensfähig zu bleiben. „Umgekehrt wird ein Schuh draus: Es gehört mittlerweile zum Allgemeinwissen, dass ein erheblicher Teil von Behandlungen, die heute noch stationär erfolgen, genauso gut oder sogar besser in den Praxen erfolgen könnte“, sagte er. Das wäre nicht nur unter wirtschaftlichen Aspekten sinnvoller, sondern auch im Sinne der Patienten.
Doch es gehe bei dieser Debatte gar nicht darum, wer recht habe, sondern darum, konstruktive Lösungen zu erarbeiten. „Wir haben bereits einen solchen Lösungsvorschlag gemacht, und zwar in Form der Intersektoralen Gesundheitszentren“, führte Hofmeister weiter aus.
In einem von der KBV in Auftrag gegebenen Gutachten habe die Universität Bayreuth das Konzept der Intersektoralen Gesundheitszentren entwickelt: Kleine, defizitäre Krankenhäuser sollten so umgebaut werden, dass Standorte grundsätzlich erhalten bleiben und die Alltagsversorgung sichergestellt werden kann. „Das Entscheidende an unserem Konzept ist, dass die Versorgung und auch Arbeitsplätze vor Ort gewährleistet bleiben. Deshalb lautet unser Motto ‚Umbau statt Abbau‘“, betonte Hofmeister.
„Das Konzept stößt auf Interesse“, so KBV-Chef Gassen und ergänzte: „Für einen Dialog mit Kommunen und Krankenhäusern sind wir gerne bereit. Ziel sollte sein, die knappen ärztlichen und pflegerische Ressourcen zu bündeln. Unser Vorschlag liegt auf dem Tisch. Eine Frischzellenkur ist allemal besser, als das Siechtum mancher Häuser weiter unnötig zu verlängern.“
Die Debatte über eine Verringerung der Zahl der Krankenhäuser oder einen Umbau der Kliniklandschaft ist nicht neu. „Zugänglichkeit und Qualität der Klinken stehen seit langem in einem Spannungsverhältnis“, sagte Jürgen Wasem, Professor für Medizinmanagement an der Universität Duisburg-Essen. „Es geschieht auch schon einiges. Mit dem Krankenhausstrukturfonds werden die Zusammenlegung und die Schließung von Krankenhäusern finanziell unterstützt.“
Die Autoren der Bertelsmann-Studie schlagen einen zweistufigen Aufbau einer neuen Krankenhausstruktur vor. Neben Versorgungskrankenhäusern mit durchschnittlich gut 600 Betten soll es etwa 50 Unikliniken und andere Maximalversorger mit im Schnitt 1.300 Betten geben. Aktuell hat ein Drittel der deutschen Krankenhäuser weniger als 100 Betten.
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