Vielstimmige Kritik am Kabinettsbeschluss zur Krankenhausreform

Berlin – Die Krankenhausreform sorgt in den Bundesländern für parteiübergreifenden Widerstand. Auch Krankenhaus- und Ärzteverbände sowie Krankenkassen wandten sich gegen die Pläne. Das Bundeskabinett stimmte dem Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG) heute allerdings zu.
Baden-Württembergs Gesundheitsminister Manfred Lucha (Grüne), der lange die Verhandlungen aufseiten der Länder geleitet hatte, warf Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) in der Augsburger Allgemeinen heute mehrfachen Wortbruch vor und drohte mit einer Blockade der Gesetzespläne im Bundesrat durch den Vermittlungsausschuss.
Minister Lauterbach habe bei der Reform „den Weg der Verständigung mit den Ländern verlassen und hält sich nicht mehr an gemeinsame Absprachen“, kritisierte Lucha. Alle 16 Länder-Gesundheitsminister forderten parteiübergreifend Änderungen, fügte er hinzu. „Sollte der Bund die Vorschläge der Länder nicht aufgreifen, ist der Gang in den Vermittlungsausschuss unausweichlich. Und ob Karl Lauterbach dann ein gemeinsames Vermittlungsergebnis noch in seiner Amtszeit als Minister erleben wird, halte ich für fraglich.“
Wenn Lauterbach nicht auf die Vorschläge der Länder eingehe, müsse der Bundestag die Reform im parlamentarischen Verfahren deutlich nachbessern: „Am Ende entscheidet der Bundesrat so oder so.“ Das Vorgehen, die Reform als nicht zustimmungspflichtiges Gesetz auf den Weg zu bringen, sei „der größte Wortbruch, den sich der Bundesgesundheitsminister entgegen früheren Zusagen gegenüber den Ländern geleistet hat“.
Ein Gutachten im Auftrag mehrerer Länder sei zum Ergebnis gekommen, dass die Reform ein im Bundesrat zustimmungspflichtiges Gesetz sein müsse: „Die Länder halten sich eine Klage offen, das hängt vom weiteren Verhalten des Bundes ab.“
Die Vorsitzende der Gesundheitsministerkonferenz (GMK), Kerstin von der Decken (CDU), betonte: „Die Länder wollen eine Krankenhausreform – aber eine inhaltlich gute, eine realitätsbezogene und eine verfassungskonforme. Eine solche Reform wird nur in einem Miteinander von Bund und Ländern gelingen.“
Die Länder hätten fristgerecht eine umfangreiche, konstruktive und zwischen allen 16 Ländern geeinte fachliche Stellungnahme zum Referentenentwurf abgegeben. Dass keine der Forderungen der Länder vom Bundesgesundheitsministerium (BMG) in den Regierungsentwurf des KHVVG aufgenommen worden ist, stelle nicht nur einen in jeder Hinsicht ungewöhnlichen Vorgang im Rahmen einer Anhörung dar, sondern lasse auch die Expertise der Länder außen vor. Nun liege der weitere Prozess nicht mehr in der Hand der Bundesregierung, sondern beim Bundestag und Bundesrat.
„Die Nichtberücksichtigung der Länderforderungen im Regierungsentwurf und die daraus folgende Verlagerung der Diskussion in Bundestag und Bundesrat birgt die Gefahr einer erheblichen Verzögerung des Gesetzgebungsverfahrens, die der Bund zu verantworten hat“, so von der Decken. Sie kündigte an, dass sich die Länder „mit allem Nachdruck und weiterhin konstruktiv für ihre überparteilich geeinten und ausschließlich fachlich begründeten Änderungsforderungen“ einsetzen werden.
DKG sieht drohende Gefährdung der Versorgungssicherheit
Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) signalisierte zwar Unterstützung für die politischen Ziele der geplanten Krankenhausreform, wies aber zugleich darauf hin, dass die konkreten Reformbestandteile diese Ziele nicht erreichen und darüber hinaus zu „unabsehbaren Verwerfungen und einer Gefährdung der Versorgungssicherheit“ führen würden.
Auch die jüngste Verschiebung der Abstimmung im Kabinett habe der Gesundheitsminister nicht genutzt, um noch einmal wesentlich nachzubessern und das Gesetz praxistauglich zu machen, sagte der DKG-Vorstandsvorsitzende Gerald Gaß.
„Im Blindflug in ein neues Finanzierungssystem zu starten, in dem sich dann rund 70 Milliarden Euro in veränderter Art und Weise auf die Krankenhäuser verteilen, ist ein unverantwortliches Vabanquespiel der Politik“, so Gaß. Von einer Auswirkungsanalyse wolle das Bundesgesundheitsministerium bis heute nichts wissen. Zudem entspreche die Umsetzung der neuen Krankenhausplanung nach Leistungsgruppen nicht den Bund-Länder-Einigungen.
Die Reform müsse zu den Kompromissen zwischen Bund und Ländern zurückkehren, das Leistungsgruppenmodell nach NRW-Vorbild einführen und eine tatsächlich fallzahlunabhängige Strukturkostenfinanzierung einführen, forderte Gaß.
Kassen warnen vor hohen Kosten
Deutliche Kritik übte auch der GKV-Spitzenverband. „Die in dem Gesetzentwurf benannten Reformziele unterstützen wir mit großem Nachdruck. Dies gilt insbesondere für die Sicherstellung und Steigerung der Behandlungsqualität sowie die flächendeckende medizinische Versorgung der Patientinnen und Patienten in Stadt und Land“, betonte Stefanie Stoff-Ahnis, Vorständin des GKV-Spitzenverbandes.
Allerdings würden die „teils groben Leistungsgruppen“ die dahinterliegenden komplexen Versorgungen der Patientinnen und Patienten nicht abbilden. Die notwendige Ausdifferenzierung werde in die Zukunft verlagert – dadurch bleibe die notwendige Verbesserung der Versorgungsstrukturen „vage und deren bedarfsgerechte Ausgestaltung ungeregelt“.
Für die Versicherten und deren Arbeitgeber seien durch die „geplante Fehlfinanzierung des Transformationsfonds“ hohe Zusatzkosten vorprogrammiert, so Stoff-Ahnis. Dies werde zu steigenden GKV-Zusatzbeiträgen führen. Darüber hinaus seien die im Gesetzentwurf skizzierten kurzfristigen Einsparungen unrealistisch.
„Auf- und Umbau von Krankenhäusern sind originäre Aufgaben des Staates und zuvorderst der Bundesländer. Die Finanzierung der Behandlungen und Operationen ist hingegen die Aufgabe der Krankenkassen. Während die Krankenkassen ihrer Finanzverantwortung mit Jahr für Jahr steigenden Milliardenbeträgen voll nachkommen, haben die Bundesländer die Kliniken bei der Investitionsfinanzierung hängen gelassen“, sagte Stoff-Ahnis.
Vor diesem Hintergrund sei es „absolut inakzeptabel“, den Beitragszahlenden der Krankenkassen den größten Anteil der Finanzierung des Transformationsfonds aufzubürden und „in einer ohnehin angespannten Finanzsituation der GKV eine Kostenlawine“ loszutreten.
Bei näherer Betrachtung entpuppe sich die Reform als „Etikettenschwindel“, kommentierte die Vorsitzende des Marburger Bundes (MB), Susanne Johna, den Kabinettsbeschluss. Weder die Verteilung der Vorhaltefinanzierung noch die Auszahlung an die Krankenhäuser sei fallunabhängig gestaltet. „Das ist nicht die Entlastung von ökonomischem Druck, die wir in den Krankenhäusern brauchen.“
Eine Reform, die bewusst darauf angelegt sei, die Zahl der Kliniken zu reduzieren, habe zudem komplexe Folgen für die Patientenversorgung und führe zwangsläufig zu Engpässen in der ärztlichen Aus- und Weiterbildung, so Johna. Daher sei es „völlig inakzeptabel, dass ein solcher Großversuch ohne flächendeckendes Versorgungskonzept, ohne vorherige Bedarfsanalyse und ohne Folgenabschätzung auf den Weg gebracht werden soll“.
Ähnlich äußerten sich weitere Kassenverbände. So hieß es vom Verband der Ersatzkassen (vdek), der Kabinettsentwurf zum KHVVG erfülle bei weitem nicht die Erwartungen, die der Bundesgesundheitsminister und die Regierungskommission zu Beginn der Debatte zur Klinikreform geweckt hatten. „Mit diesem Gesetzentwurf wird das Ziel verfehlt, die Krankenhauslandschaft bedarfsgerecht und modern auszugestalten und das ambulante Potenzial zu heben. Gleichzeitig wird die Versorgung erheblich teurer“, warnte Ulrike Elsner, Vorstandsvorsitzende des vdek.
Allein aufgrund dieser Reform bestehe das Risiko von Mehrausgaben in Milliardenhöhe und Beitragssatzsteigerungen in der GKV um mindestens 0,3 Prozentpunkte. „Teuer zu stehen kommt die GKV auch das faktische Verbot der Krankenhausrechnungsprüfung“, so Elsner. Man brauche dringend Nachbesserungen am Gesetz, wobei hier die Einbindung der Sozialen Selbstverwaltung beziehungsweise der Krankenkassen zwingend erforderlich sei, um praxistaugliche Lösungen zu entwickeln.
Jürgen Hohnl, Geschäftsführer der gemeinsamen Vertretung der Innungskrankenkassen (IKK), sagte, das Bundesgesundheitsministerium bewege sich „weiterhin auf schmalem Grat“. Denn gleich dreifach drohe das Risiko der Verfassungs- beziehungsweise Rechtswidrigkeit.
Von Seiten der Länder wegen der aus ihrer Sicht bestehenden Zustimmungspflicht, seitens der GKV wegen Zweifeln an der Finanzierung des Transformationsfonds über die Beitragsmittel, und die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) äußere EU-rechtliche Bedenken. Insbesondere die Länder könnten – wie schon beim Krankenhaustransparenzgesetz (KHTG) – über den Vermittlungsausschuss das Gesetzgebungsverfahren „noch gehörig in die Länge ziehen“.
Die Vorstände der KBV, Andreas Gassen, Stephan Hofmeister und Sibylle Steiner, erklärten, es sei „höchst bedauerlich und auch nicht hinnehmbar, dass die ohnehin bestehenden Wettbewerbsnachteile des ambulanten Bereichs gegenüber den Krankenhäusern noch einmal verschärft werden sollen“. Das KHVVG verstoße gegen Regelungen zum EU-Beihilferecht, weil eine finanzielle Förderung ausschließlich der Krankenhäuser vorgesehen ist.
Man werde sich deshalb nun an die Europäische Kommission wenden mit der Bitte zu prüfen, ob eine mutmaßliche Beihilfeverletzung vorliegt. „Der viel apostrophierte Wettbewerb der gleich langen Spieße darf kein Trugbild sein, sondern muss endlich Realität werden“, so die KBV-Vorstände.
„Das Anliegen der Bundesregierung, die Qualität und Effizienz in der stationären Versorgung zu verbessern, ist richtig. Die geplante Vorhaltevergütung löst aber keines der vorhandenen Probleme, sondern führt zu neuen, massiven Fehlanreizen“, erklärte Florian Reuther, Direktor des Verbandes der Privaten Krankenversicherung (PKV). So drohten den Patienten in den spezialisierten Kliniken neue Versorgungsmängel, während die Versorgung in der Fläche nicht gesichert wird.
„Wir gehen davon aus, dass die Mitglieder des Deutschen Bundestages während der parlamentarischen Beratung die Partner der Selbstverwaltung aktiv einbinden werden“, betonte Jens Martin Hoyer, stellvertretender Vorstandsvorsitzender des AOK-Bundesverbandes. Auch aus Sicht der AOK-Gemeinschaft drohen mit dem KHVVG höhere Beiträge für die GKV-Beitragszahlenden, während der Nutzen für Patienten unklar bleibe.
Eine Strukturreform und die Reform der Finanzierung müsse Hand in Hand gehen, so Hoyer. Aktuell drohe jedoch eine Entkoppelung dieser beiden Themen. „Wenn die Pläne zur Finanzierung der Krankenhausreform weiter durchsegeln wie heute vom Kabinett beschlossen, wird das die Beitragszahlenden der GKV sehr teuer zu stehen kommen und zu höheren Beitragssätzen führen.“
„Im nun anstehenden parlamentarischen Verfahren werden wir besonders die Wirksamkeit dieser wichtigen Reform in den Blick nehmen und dort entsprechend nachschärfen, wo es notwendig ist, um Qualität und Wirtschaftlichkeit der Krankenhäuser zu Gunsten von Patienten und Personal verlässlich und flächendeckend in unserem Land zu steigern“, sicherten Janosch Dahmen (Grüne), Sprecher für Gesundheitspolitik, und Armin Grau (Grüne), Obmann im Gesundheitsausschuss, zu.
Heike Baehrens (SPD), gesundheitspolitische Sprecherin ihrer Bundestagsfraktion, appellierte an alle Beteiligten, sich „verantwortungsvoll und konstruktiv daran zu beteiligen, aus dem sehr guten Gesetzentwurf ein noch besseres Gesetz zu machen“. Nun schlage die Stunde des Parlaments: „Damit haben wir auch die Chance zu einem Neustart in der Art der Auseinandersetzung mit dem Gesetzentwurf.“
„Ohne sich über die konkreten Folgen für die Versorgung vor Ort klar zu sein, plant die Bundesregierung im Alleingang den Umbau auf Kosten der Länder und Versicherten“, kritisierte der gesundheitspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Tino Sorge. So nehme die Ampelkoalition „bleibende Schäden der Krankenhauslandschaft in Kauf“.
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