Erfolgreiche Maßnahmen gegen den Konsum zuckerhaltiger Getränke

München – Weltweit wurden bereits diverse Maßnahmen gegen den Konsum zuckerhaltiger Getränke durchgeführt und in Studien evaluiert. Zu den erfolgreichsten Interventionen zählen unter anderem das Kennzeichnen von Lebensmitteln, etwa mit einem Ampelsystem, sowie preisliche Anreize. Am besten belegt ist der Effekt von Haushaltsinterventionen bei Übergewichtigen, berichten deutsche und britische Forscher in einem Cochrane Systematic Review (2019; doi: 10.1002/14651858.CD012292.pub2).
Das Autorenteam um Peter von Philipsborn von derLudwig-Maximilians-Universität München hatte 58 Studien zu verschiedenen Maßnahmen gegen den Konsum zuckerhaltiger Getränke analysiert und einzelne Interventionen nach dem Grad ihrer Evidenz bewertet.
Die stärkste Evidenz erreichten Haushaltsinterventionen. Bei Menschen mit erhöhten Körpergewicht, die viel Süßgetränke konsumierten, führte die bessere Verfügbarkeit von kalorienarmen Getränken zu Hause zu einer Gewichtsabnahme. Das konnten zwei randomisierte kontrollierte Studien (RCT) beweisen (Pediatrics 2006, New England Journal of Medicine 2012).
Farbliche Lebensmittelkennzeichnung im Vorteil
Eine Evidenz mit moderater Vertrauenswürdigkeit, erreichte die farbliche Ampelkennzeichnung in zwei unterbrochenen Zeitreihenstudien (Appetite 2017,Health Promotion Practice 2017). Die farbliche Kennzeichnung ging mit weniger Süßgetränkeverkäufen einher.
Etwas weniger überzeugend war der Einfluss auf die Kaufentscheidung für Kennzeichnungssysteme, die keine Farben nutzen, sondern nur auf numerischen Nährwertscores beruhen – so wie das aktuell vom Max-Rubner-Institut im Auftrag des Ernährungsministeriums entwickelte Sternlabel.
„Diese Kennzeichnung sehen wir kritisch, weil sie mit nur einer Farbe arbeitet und zudem nicht intuitiv verständlich ist“ sagte Barbara Bitzer, Sprecherin der Deutschen Allianz Nichtübertragbarer Krankheiten DANK, „es wäre nicht nachvollziehbar, wenn die deutsche Politik nicht das wirksamste System wählt – und das ist eine Kennzeichnung in Ampelfarben.“
Ebenfalls gut belegt (moderat Vertrauenswürdigkeit) sind ökonomische Anreizsysteme. Preiserhöhung bei zuckerhaltigen Getränken in Restaurants, Läden und Freizeiteinrichtungen senkten deren Verkaufszahlen (Journal of Epidemiology and Community Health 2017; Journal of the Academy of Nutrition and Dietetics 2018, Plos One 2018).
Den Effekt einer Zuckersteuer haben die Autoren nicht untersucht, da dies Thema eines gesonderten Cochrane Review sein wird. Im Lancet hatten Forscher bereits 2018 etwa 300 internationalen Studien zu Steuern auf Erfrischungsgetränke, Alkohol und Tabak analysiert und diese als effektive Maßnahme eingestuft, um nichtübertragbare Krankheiten weltweit zu stoppen.
Selbstverpflichtung und viele weitere Interventionen ohne Evidenz
Aus einigen Interventionen konnten die Münchner Forscher aus bisherigen Studien keine Evidenz ableiten, da widersprüchliche Ergebnisse vorliegen. Dazu zählte unter anderem der Zusammenhang zwischen verbesserter Trinkwasserverfügbarkeit in Schulen und Körpergewicht der Schüler.
Für die Angabe des Kaloriengehalts von Getränken auf Speisekarten variierten die berichteten Effekte ebenfalls. Unerwünschte Effekte, wie etwa Umsatzrückgänge, kompensatorischer Süßgetränkekonsum, unzufriedene Betroffene oder ein Anstieg des Gesamtenergiegehalts, wenn kalorienarme Getränke subventioniert werden würden, erreichten in den meisten Fällen niedrige Effekte.
Auch die freiwillige Selbstverpflichtung der Lebensmittelindustrie konnte keine einheitliche Evidenz erzielen. Genau auf diese Taktik setzt Bundesernährungsministerin Julia Klöckner (CDU) bei der Reduktionsstrategie von Zucker, Fett und Salz in Fertiglebensmitteln.
Dass die freiwillige Selbstverpflichtung wirkt, wollte sie vergangene Woche in einem Video mit dem Nestlé-Deutschlandchef Marc-Aurel Boerschzeigen. Nach massiver Kritik an dem Video und dem Vorwurf der Schleichwerbung prüft jetzt die Medienanstalt Berlin-Brandenburg den Clip.
„Die Bundesministerin Klöckner kann nach Lage der Evidenz nicht mehr lediglich auf Selbstverpflichtungen der Industrie pochen, sondern muss die vorhandene Evidenz endlich zur Kenntnis nehmen und entsprechend handeln“, sagte Stefan K. Lhachimi,
Leiter der Forschungsgruppe „Evidence-Based Public Health“ am Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie (BIPS).
Der Konsum zuckerhaltiger Getränke gilt als zentraler Faktor für die weltweite Adipositasepidemie, die mit Karies, Diabetes und Herzerkrankungen einhergeht. Die Verringerung des Konsums von zuckerhaltigen Getränken sei von nicht zu unterschätzender Bedeutung, um der Adipositasepidemie zu begegnen, ist Lhachimi überzeugt.
„Viele Konsumenten nehmen alleine schon durch Süßgetränke mehr als die täglich empfohlene Menge an Zucker zu sich. Süßgetränke sind dabei besonders tückisch, da diese trotz hoher Kalorienmenge kein Sättigungsgefühl erzeugen.“
Viele öffentliche Gesundheitsbehörden, darunter die Weltgesundheitsorganisation (WHO), haben Regierungen, die Lebensmittel- und Getränkeindustrie, Bildungseinrichtungen, Arbeitsstätten und die Zivilgesellschaft aufgefordert, eine gesündere Getränkeauswahl zu unterstützen.
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