Ärzteschaft

Fieberambulanzen: Unterschiedliche Reaktionen auf Spahns Vorstoß

  • Dienstag, 22. September 2020
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Berlin – Der Vorschlag von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), zur weiteren Coronaprävention in der kalten Jahreszeit sogenannte Fieberambulanzen einzurichten, wurde von den Akteuren des Gesundheitssystems unterschiedlich aufgenommen.

Spahn hatte erklärt, dass Test-Möglichkeiten auch jenseits des normalen Praxisbetriebs, wie es sie schon im Frühjahr vielerorts gab, angeboten werden sollen. Es gelte sicherzustellen, dass sich nicht Menschen im Wartezimmer untereinander anstecken.

Er setze darauf, dass die Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) solche Fieberambulanzen vor Ort anbieten. Einige KVen äußerten sich daraufhin irritiert. Eine offizielle Anfrage oder Anforderung des Bundesgesundheitsministeriums habe es laut der KV Thüringen bislang nicht gegeben.

Übernahme der Kosten noch nicht geklärt

Auch die KV Bayern erklärte, von den Berichten überrascht worden zu sein. „Im Vorfeld gab es keine entsprechenden Informationen oder auch Abfragen durch das Bundesgesundheits­ministerium. Insofern können wir auch noch nicht einschätzen, inwiefern der Bundes­gesundheits­minister dieser Aussage eine entsprechende Rechtsverordnung folgen lässt, was für die Frage nach der Übernahme der Kosten von Bedeutung wäre“, so die KV Bayern in einer Mitteilung.

Unabhängig davon gaben viele KVen an, sich gut für die kälteren Monate gerüstet zu fühlen. Man habe seit dem Frühjahr viele Erfahrungen im Umgang mit der Pandemie sammeln können. Auch die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) erklärte, die Praxen seien gut vorbereitet für die kommenden Wochen mit mehr grippalen Infekten und möglichen Coronafällen. Der Aufbau eigenständiger Coronaeinrichtungen könnte je nach Notwendigkeit hinzukommen - darüber sollte dann regional entschieden werden.

In Bayern laufen laut der zuständigen KV derzeit Planungen, in Hotspots mit hohen Neuinfektionsraten auch Schwerpunktpraxen in den Strukturen der Regelversorgung einzurichten.

Die KV Thüringen erklärte, bei Bedarf wären elf Infekt-Sprechstunden und drei weitere Anlaufstellen sowohl für Infekt-Patienten als auch für Corona-Abstriche verfügbar. Aktuell erfolgten Infektbehandlungen in der Regel in den Arztpraxen, vor allem denen von Haus- und Kinderärzten. Sie würden getrennt von der Behandlung anderer Patienten organisiert. Zwei Infekt-Sprechstunden außerhalb von Arztpraxen würden aber bereits jetzt nach Bedarf geöffnet, sagte ein Sprecher.

Eine Sprecherin der KV Berlin teilte mit, in der Hauptstadt seien Fieberambulanzen die gängige Regel. Diese Praxen gebe es bereits seit dem Frühjahr, aktuell seien es 30. In einer Covid-19-Praxis würden Personen mit Verdacht auf Covid-19 behandelt, die sich nicht an ihren eigenen Hausarzt wenden könnten.

Versorgung mit Schutzausrüstung sicherstellen

Die KV Nordrhein kündigte Infektionssprechstunden in den Praxen an, mit denen die Patienten räumlich und zeitlich geteilt werden können. Dieses Prinzip werde schon seit Monaten von den Niedergelassenen geübt und angewendet.

Darüber hinaus gebe es aber auch Schwerpunktpraxen, bei denen sich einzelne Praxen aus den Fachgruppen bereit erklärten, Corona-Patienten zu versorgen und damit die anderen Praxen zu entlasten. Auch die vorhandenen Testzentren in Nordrhein könnten bei Bedarf Infektionssprechstunden außerhalb der Praxen anbieten.

„Voraussetzung dafür ist, dass die erweiterten Leistungen, die dort erbracht werden, ebenso gegenfinanziert werden wie die nötige Versorgung mit Schutzausrüstung“, so die KV Nordrhein in einer Mitteilung.

Die Ärztegewerkschaft Marburger Bund begrüßte Spahns Vorschlag zur Einrichtung von „Fieberambulanzen“ als „sehr sinnvoll“. Solche speziellen Ambulanzen für mögliche Corona-Patienten könnten verhindern, dass Patienten mit anderen Erkrankungen aus Angst vor einer Coronavirus-Ansteckung den Gang zum Arzt oder in die Klinik meiden, sagte Gewerkschaftschefin Susanne Johna der „Passauer Neuen Presse“.

Forderung nach mobilen Corona-Einsatzteams

Auch die Deutsche Stiftung Patientenschutz begrüßte den Vorschlag von Fieberambulanzen, mahnte aber eine weitergehende Unterstützung von Pflegeeinrichtungen an. Es müssten „mobile Corona-Einsatzteams“ zur Verfügung gestellt werden, um akute Personallücken in den Heimen zu schließen, sagte Vorstand Eugen Brysch. „Es darf sich nicht wiederholen, dass infizierte Pflegekräfte weiterarbeiten, nur weil es keinen Ersatz gibt.“

Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) bezeichnete Fieberambulanzen hingegen als „den falschen Weg“. „Kranke Kinder und Jugendliche gehören in Kinder- und Jugendarztpraxen, nicht in Fieberambulanzen“, so BVKJ-Präsident Thomas Fischbach.

Säuglinge und Kleinkinder machten durchschnittlich acht bis zwölf Infektionen pro Jahr durch, im Herbst und Winter vor allem Atemwegsinfekte mit Fieber. Sie würden also die Patientenmehrheit in den geplanten Fieberambulanzen stellen, die darauf nicht in gleichem Maße eingestellt seien wie Kinder- und Jugendarztpraxen.

Pädiatrische Teststrategie fehlt bislang

„Wir wissen, wieviel Gesundheitskompetenz wir den Eltern zutrauen können, wir können beurteilen, welche Familie mit Husten, Schnupfen und Fieber gut alleine klarkommt und wer eng betreut werden muss“, so Fischbach. Besuche fiebernder Patienten würden auch genutzt, um auf fehlende Vorsorgen und Impfungen hinzuweisen. All dies könnten Fieberambulanzen nicht leisten.

„Wir haben in den vergangenen Monaten unsere Praxen auf Pandemiebedingungen umgerüstet, Schutzvorrichtungen angebracht und die Abläufe geändert, so dass Covid-19-Patienten weder andere Patienten noch die Praxisteams infizieren können“, erklärte Fischbach. Fehlen würde jedoch bislang eine auf pädiatrische Belange zugeschnittene Teststrategie des Robert Koch-Instituts (RKI).

afp/dpa/alir

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