KBV-Chef Gassen sieht dramatische Zeiten in der Gesundheitspolitik

Berlin – Man erlebe derzeit dramatische Zeiten, insbesondere in der Gesundheitspolitik. Angesichts der aktuellen Haushaltsprobleme der Bundesregierung drohten die Ressortabstimmungen über Gesetzesvorhaben des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) nicht einfacher zu werden, schätzte Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), heute die gesundheitspolitische Lage im Rahmen der KBV-Vertreterversammlung ein.
Klar sei aber auch, dass die ärztliche Vergütung kein Treiber der Ausgabenentwicklung ist, betonte Gassen. Er verwies darauf, dass die Ausgaben für ärztliche Behandlung in der gesetzlichen Krankenversicherung im ersten Halbjahr 2023 um nur ein Prozent gestiegen sind. Die Inflationsrate habe im gleichen Zeitraum bei 7,4 Prozent gelegen.
In diesem Kontext rief Gassen in Erinnerung, dass seitens des BMG seit längerem die Entbudgetierung für den hausärztlichen Bereich angekündigt wurde. „Die Entbudgetierung der Hausärztinnen und Hausärzte soll zeitnah erfolgen, hier haben wir die feste Zusage über einen entsprechenden Gesetzentwurf des BMG. Mit den Ankündigungen von Herrn Lauterbach ist es aber immer das Gleiche: Man muss auf die Erfüllung der Versprechen oft lange oder vergebens warten“, so der KBV-Chef.
Auch das jüngste Schreiben von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) an den KBV-Vorstand, lasse „nichts Gutes ahnen“. In dem Schreiben, welches dem Deutschen Ärzteblatt vorliegt, heißt es unter anderem, man werde von der Vertragsärzteschaft angesprochene Punkte prüfen und umsetzen, sofern dies „unter Berücksichtigung der finanziellen Situation der gesetzlichen Krankenversicherung“ möglich ist.
Leidtragende sind Patientinnen und Patienten
Die Leidtragenden einer solchen Politik würden nicht nur Ärzte und Psychotherapeuten sein, sondern sehr bald auch die Patientinnen und Patienten, warnte Gassen. Angesichts der gedeckelten und nicht ausreichenden Budgets hätten erste Kassenärztliche Vereinigungen bereits reagiert und ihre Honorarverteilungsmaßstäbe den vorhandenen Mitteln angepasst. „Damit setzen sie eigentlich nur den Wunsch der Politik nach einer gedeckelten Vergütung um – denn das Budget soll ja die Leistungsausweitung verhindern.“
In der Konsequenz werde es absehbar weniger Behandlungstermine geben, wie Gassen betonte, „nicht um den Versicherten Leistungen vorzuenthalten, sondern um die Versorgung überhaupt noch gewährleisten zu können“. Er verwies darauf, dass der Handlungsbedarf mittlerweile auch politisch erkannt und Maßnahmen von der Bundespolitik eingefordert würden. So habe beispielsweise der Landtag von Schleswig-Holstein vor kurzem die Entbudgetierung der gesamten ambulanten Versorgung gefordert, beginnend mit den grundversorgenden Fachgruppen.
Deutliche Diskrepanzen seien auch bezüglich der geplanten Krankenhausreform zu beobachten. Es sei „bemerkenswert“, wenn die Konferenz der Gesundheitsminister einen Brandbrief an den Bundesgesundheitsminister schickt, in dem die Landesminister die bisherigen Ergebnisse als sehr enttäuschend bezeichnen.
Ambulantisierung stockt
Ein aus Sicht der Niedergelassenen weiteres leeres Versprechen bleibe nach wie vor, die Ambulantisierung stärker zu unterstützen. Das BMG schaffe unter Bundesgesundheitsminister Lauterbach „munter neue, wenig durchdachte Möglichkeiten“ für Krankenhäuser, selbst ambulante Leistungen zu erbringen. Die existierende und noch leistungsfähige Struktur der Praxen scheine Lauterbach aber „geflissentlich zu ignorieren“.
Der Umfang des vom BMG in seinem Verordnungsentwurf festgelegten Katalogs für ambulant erbringbare Leistungen mit einer sektorengleichen Vergütung sei viel zu gering, um den Prozess substanziell voranzutreiben. Zudem sei die Abgrenzung der von den Hybrid-DRG umfassten Leistungen nicht klar geregelt, kritisierte Gassen. Zusätzlich seien die bürokratischen Hürden für Vertragsärzte, an dieser Form der Versorgung teilzunehmen, unverändert zu hoch – so könne man kaum die notwendigen Anreize zur Ambulantisierung setzen.
Gassen verwies mit Nachdruck auf die seit einiger Zeit laufenden Protestaktionen der Ärzte und Psychotherapeuten bezüglich eines Richtungswechsels der Gesundheitspolitik. Derzeit blicke man mit gespannter Erwartung auf die stetig steigende Kurve der Online-Zeichnungen der beim Bundestag eingereichten Petition zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für die ambulante Versorgung.
Bleibe es seitens des BMG weiter bei Ankündigungen, dann werde im kommenden Jahr nicht nur der ärztliche Bereitschaftsdienst in seiner jetzigen Form zur Disposition stehen, sondern die ambulante Versorgung insgesamt, warnte Gassen. Bundesgesundheitsminister Lauterbach müsse sich auf seine Kernaufgabe besinnen: Den Erhalt und die Zukunft der gesundheitlichen Versorgung in Deutschland.
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