Ärzteschaft

Kinder- und Jugendärzte warnen vor erneuten Schulschließungen

  • Mittwoch, 5. August 2020
/picture alliance, GES, Oliver Hurst
/picture alliance, GES, Oliver Hurst

Leverkusen – Die Mehrheit der Kinder- und Jugendärzte empfiehlt im neu­en Schuljahr Unterricht im Regelbetrieb, aber mit festen Gruppen durchzuführen. Das ist ein Ergeb­nis der Studie „Homeschooling und Gesundheit 2020“ der pronova BKK, für die bundesweit im Juni und Juli 150 niedergelassene Kinder- und Jugendärzte online befragt wurden.

Die Rückkehr zum Schulalltag ohne Einschränkungen halten danach für Grundschulen 30 Prozent, für Mittelstufen 27 Prozent und für Oberstufen 36 Prozent der befragten Ärzte für den richtigen Weg.

Normalen Betrieb, aber in festen Gruppen mit jeweils unterschiedlichen Pausenzeiten und dem Verzicht auf Sport und Musik empfehlen 53 Prozent der Ärzte für Grundschulen, 57 Prozent für Mittelstufen und 51 Prozent für Oberstufen.

Für Unterricht in Kleingruppen an nur einzelnen Tagen pro Woche, wie er in vielen Bun­desländern noch bis zu den Sommerferien praktiziert wurde, sprechen sich derzeit ledig­lich knapp ein Sechstel der Kinderärzte aus.

Zu einem Regelbetrieb ohne jegliche Einschränkungen raten derzeit besonders die Kin­derärzte, die in sozial schwächeren Gebieten praktizieren. In diesem Umfeld sind gut 40 Prozent für eine Rückkehr zum normalen Schulalltag.

Kindeswohl beim Lockdown zu wenig beachtet

Die befragten Kinderärzte üben deutliche Kritik am staatlichen Vorgehen während der Coronakrise im vergangenen Schuljahr: Die Politik habe das Kindeswohl bei der Fest­le­gung der Einschränkungen und auch bei den Beschlüssen zur Lockerung zu wenig be­achtet, meinen 78 Prozent.

71 Prozent teilen die Einschätzung, dass derart starke Einschränkungen für Kinder nicht noch einmal verhängt werden können. Mit dem Infektionsrisiko durch Kinder müsse eine Gesellschaft leben.

Die Ärzte verweisen auf die negativen Folgen, die Schul- und Kitaschließungen sowie Kontaktbeschränkungen für die gesunde Entwicklung junger Menschen hätten. Das ließe sich in den Praxen beobachten: Eine Mehrheit der Pädiater spricht von einer Zunahme psychischer Störungen bei jungen Patienten infolge der Corona-Einschränkungen. 68 Prozent rechnen mit coronaedingten Traumata bei Heranwachsenden.

„Kindern und Jugendlichen wurde ihr gewohnter Alltag genommen, vertraute Strukturen brachen weg. Für viele eine einschneidende Erfahrung, die sie noch lange beschäftigen wird", sagte Gerd Herold, Beratungsarzt bei der pronova BKK.

Bei der Entscheidung über Einschränkungen zur Eindämmung der Pandemie dürften auch die zum Teil gravierenden gesundheitlichen Folgen und auch die Folgen für die Bildung der Kinder nicht übersehen werden.

Die Coronakrise hat auch aus Sicht der Vereinten Nationen zu den größten Verwerfungen von Bildungssystemen in der Geschichte geführt. Mehr als 1,6 Milliarden Kinder und Ju­gendliche in über 190 Ländern auf allen Kontinenten seien durch die Pandemie beim Ler­nen beeinflusst worden, teilten die Vereinten Nationen bei der Vorstellung eines Berichts gestern in New York mit.

Geschlossene Schulen und Lerneinrichtungen haben 94 Prozent aller weltweiten Lernen­den betroffen, in Ländern mit niedrigen Einkommen sogar 99 Prozent. Bis zu 23,8 Millio­nen Kinder und Jugendliche könnten wegen der wirtschaftlichen Auswirkungen die Krise die Schule verlassen, oder ihnen droht, im kommenden Jahr keinen Zugang zu Bildung zu haben.

Schulschließungen bei zweiter Welle keine Option

Bei einer erneuten Infektionswelle wäre die große Mehrheit der Kinder- und Jugendärzte gegen abermalige Schul- und Kitaschließungen. Ein Drittel spricht sich sogar gänzlich ge­gen Einschränkungen von Grundschulen und Kitas aus, gut die Hälfte würde den Be­trieb unter Auflagen wie Hygienemaßnahmen weiterlaufen lassen.

Der Unterricht an weiterführenden Schulen sollte aus Sicht von 28 Prozent der Ärzte oh­ne Eingriffe weiterlaufen, 67 Prozent würden bestimmte Auflagen emp­fehlen. Dabei ste­hen die Kinderärzte digitalem Unterricht durchaus offen gegenüber: 82 Prozent halten die Nutzung digitaler Methoden für eine sinnvolle Ergänzung zum klassischen Unterricht.

72 Prozent heben hervor, dass Kinder dadurch einen verantwortungsvollen Umgang mit Medien und ihren Inhalten lernen und zudem gut auf das spätere Berufsleben vorbereitet werden. Allerdings sieht knapp die Hälfte den Einsatz digitaler Konzepte an Grundschu­len skeptisch und befürchtet, dass dadurch die kognitive und motorische Entwicklung eher gebremst würden.

PB/dpa

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