Krankenhäuser wollen Schutzschirm bis „weit“ nach 2021

Berlin – Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) fordert nach den ersten Monaten der Pandemie weitere kurzfristige Gesetzgebung sowie langfristige Strukturentscheidungen für die Krankenhäuser. „In dieser Zeit haben die Kliniken mit einer enormen Kraftanstrengung bewiesen, dass sie in der gesundheitsbezogenen Daseinsvorsorge der zentrale Ankerpunkt sind“, erklärte der DKG-Hauptgeschäftsführer Georg Baum heute vor Journalisten.
Der Beitrag der Krankenhäuser mit der Ausweitung von Intensivbetten, Verschiebung von planbaren Leistungen und Operationen sowie Mitwirkung bei Diagnose und ambulanten Testung von Patienten „haben die Krankenhäuser und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter maßgeblich dazu beigetragen, dass Deutschland bis dato so gut durch die Krise gekommen ist“, so Baum weiter.
Insgesamt wurden rund 30.000 Patienten mit COVID-19 in Kliniken stationär behandelt, die Hälfte davon auch intensivmedizinisch. Das Robert-Koch-Institut (RKI) zählte bislang 194.700 COVID-19-Fälle in Deutschland. Die niedergelassenen Ärzte betonten, dass sechs von sieben Coronapatienten von ihnen versorgt worden seien.
Trotz der sich entspannenden Lage bei den Infektionszahlen, könnten die Krankenhäuser noch nicht wieder in den Regelbetrieb zurückkehren. „Wir haben weiterhin reduzierte Behandlungskapazitäten. Im Intensivbereich sind Freihaltequoten einzuhalten, die Unterbringung in Mehrbettzimmern ist nur begrenzt möglich“, erklärte DKG-Präsident Gerald Gaß.
Einnahmeausfälle kompensieren
Daher forderte er, dass der finanzielle Schutzschirm, der den Krankenhäuser bis zum 30. September Einnahmeausfälle kompensiert, bis „weit“ ins Jahr 2021 verlängert werden müsse. „Coronabedignt werden die Kosten für die Regelversorgung deutlich höher sein, deshalb ist ein Pandemiezuschlag für diesen Mehraufwand notwendig. Ebenso benötigen wir Freihaltepauschalen“, so Gaß.
Diese Gesetzgebung müsse zügig erfolgen. Bis zum 25. Juni haben die Krankenhäuser 5,73 Milliarden Euro aus dem Gesundheitsfonds erhalten, um die Einnahmeausfälle seit Mitte März kompensieren zu können. Seit März gibt es für jedes freigehaltene Bett 560 Euro pro Tag. Aab Mitte Juli wird diese Pauschale differenziert und liegt zwischen 360 und 760 Euro je nach Klinikgröße und Vorhaltekapazitäten.
Kritik an einer möglichen Bilanzverbesserung durch leere Betten seitens der Krankenkassen verbat sich Hauptgeschäftsführer Baum: „Ich ordne den Wert in die Gesamtbetrachtung der gesellschaftlichen Relevanz für die Bekämpfung der Pandemie ein“, erklärte er.
Damals hätten unter Worst-Case-Szenarien Entscheidungen getroffen werden müssen. Kliniken hätten in kürzester Zeit Kapazitäten geschaffen. „Die hämischen Äußerungen der Krankenkassen sind dabei zurück zuweisen. Diese werden in diesem schwierigen Jahr in der Gesundheitspolitik sogar Kosten sparen“, sagte Baum. Es seien zwischen Mitte März und Mitte Juni fast zehn Millionen Behandlungstage ausgefallen.
Positionspapier für die Strukturdebatte
In einem neunseitigen Resümee zur Pandemie beschreibt die DKG nun Ideen, wie die Strukturdebatte in der Krankenhauslandschaft, die ja bereits vor der Pandemie ausführlich diskutiert wurde, fortgeführt werden sollte.
„Die DKG steht zu ihrem Wort, die bedarfsgerechte Weiterentwicklung der Krankenhausversorgung verantwortlich mitzugestalten“, heiß es dabei. So wolle die DKG die Potenziale der Digitalisierung weiter deutlich ausweiten. Im Konjunkturpaket sind dafür rund drei Milliarden Euro vorgesehen.
Hier fordert die DKG, dass es zügige Vergabeverfahren für die Gelder geben müsse. „Wir können hier nicht ewig in den Gremien mit den Ländern über die Verwendung der Mittel verhandeln“, so Gaß. Als wichtigste Projekte zur Digitalisierung im Krankenhaus sieht Gaß den Datenaustausch und die Datenerfassung in der Zusammenarbeit mit den Laboren, der Arzneimittelsicherheit mit einer automatischen Verblisterung sowie das Patientendatenmanagement.
Als weiteren großen Punkt gehöre in eine Strukturreform die sektorenübergreifende Weiterentwicklungen zum Beispiel zu Gesundheitszentren. Dies solle besonders in den Regionen geschehen, in der die ambulante Versorgung nicht mehr leistungsfähig sei, heiß es weiter. „Der Aspekt der Versorgungssicherheit ist nach dieser Pandemie sicher neu zu gewichten. Unser Leitbild sind regionale, sektorenübergreifende Versorgungsnetzwerke mit den Krankenhäusern als Fixpunkte auch für die ambulante Notfallversorgung“, erklärte Gaß.
Reform Notfallversorgung
Die Reform Notfallversorgung will das Bundesgesundheitsministerium ab dem Herbst erneut angehen. Hier deutete sich in den vergangenen Wochen allerdings ein Umdenken bei den verantwortlichen Gesundheitspolitiken an. So solle es auch einen Schwerpunkt auf der ambulanten Versorgung geben.
Für die hatten Baum und Gaß aber nicht nur lobende Worte in der Pandemie. „Zwar haben sich die niedergelassenen Ärzte nicht weggeduckt, aber nicht in dem Umfang eingebracht, wie sie möglich gewesen wäre. So hat es keine Hausbesuche gegeben und für viele Patienten war das Krankenhaus die letzte Möglichkeit für eine Versorgung.“
Kritik an DKG-Aussagen
Kritik an den Aussagen kam von den niedergelassenen Ärzten. „Es ist schon bemerkenswert, in welcher dreisten Art und vor allem mit welcher Unkenntnis Herr Baum versucht, die hervorragenden Leistungen der Vertragsärztinnen und Vertragsärzte in der Coronakrise kleinzureden“, sagte Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV).
Es sei Baum offenbar entgangen, dass sechs von sieben Coronapatienten in Deutschland ambulant versorgt worden seien. Ebenso, dass die Praxen Infektionssprechstunden und spezielle Hausbesuchsdienste angeboten oder ihre Patienten per Video versorgt hätten, um das Infektionsrisiko so gering wie möglich zu halten, so Gassen weiter.
Aus seiner Sicht lag es an der „ausgezeichneten ambulanten Versorgung“, dass die „Ärzte in den Krankenhäusern vor leeren Betten standen und nicht wie in Italien oder Spanien die Intensivstationen mit Patienten gefüllt waren.“
KBV-Vize-Chef Stephan Hofmeister appellierte an die Vernunft der DKG. „Statt das ewige Spiel ‚Wer ist der Beste?‘ zu spielen, sollte auch die DKG erkannt haben, dass Ärzte – egal, ob sie in einer Praxis oder einem Krankenhaus tätig sind – in Zeiten einer Pandemie zusammenarbeiten sollten“, sagte er. Das sollten Patienten erwarten können.
Auch der Spitzenverband der Fachärzte (Spifa) warnte die DKG vor voreiligen Schlüssen. Es sei „blanker Unsinn“, davon zu sprechen, dass es „ausschließlich auf die besondere Leistungsfähigkeit der Krankenhäuser zurückzuführen sei“, dass das deutsche Gesundheitswesen die Krise im internationalen Vergleich bislang gut bewältigt habe. Jetzt sei es an der Zeit, in die Zukunft zu schauen.
„Wir nehmen den neuen Hauptgeschäftsführer der DKG, Gerald Gaß, beim Wort und freuen uns auf den Dialog zu einer Weiterentwicklung der Strukturen im Gesundheitswesen“, erklärte Spifa-Vorsitzender Dirk Heinrich. „Für uns gehört zu diesem Dialog aber auch das Anerkenntnis der Leistungsfähigkeit der ambulanten Versorgung und die dringend notwendige Debatte um den Abbau unnötiger Krankenhausstrukturen.“
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