Mangelernährung im Krankenhaus: Etwa 55.000 vermeidbare Todesfälle

Berlin – Etwa 20 bis 30 Prozent aller Krankenhauspatienten sind von Mangelernährung betroffen. Dies beklagte die Deutsche Gesellschaft für Ernährungsmedizin (DGEM) heute bei einer Pressekonferenz der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin (DGEM) im Rahmen der europaweiten „Malnutrition Awareness Week“.
„Mangelernährung ist auch in einer übergewichtigen Gesellschaft häufig. Sie verursacht Komplikationen und verschlechtert die Prognose“, erklärte Matthias Pirlich, Vizepräsident der DGEM und niedergelassener Endokrinologe und Ernährungsmediziner.
Die stationäre Verweildauer steige bei mangelernährten Patienten um mehr als 40 Prozent. Dies mindere nicht nur die Lebensqualität der Betroffenen erheblich, sondern führe auch zu massiv höheren Behandlungskosten, so Pirlich.
Im Jahr 2023 beliefen sich die Mehrkosten durch Mangelernährung auf bis zu 8,6 Milliarden Euro, wie aus einer Mitteilung der DGEM hervorgeht. Insbesondere Menschen mit chronischen oder schweren Erkrankungen und ältere Menschen leiden demnach unter Mangelernährung.
Diese entstehe stufenweise, erklärte Pirlich. Appetitlosigkeit, eine verminderte Nahrungsaufnahme und unbeabsichtigter Gewichtsverlust führten zu einem Abbau von Muskulatur und einer Schwächung wesentlicher Körperfunktionen, vor allem des Immunsystems. „Dies erhöht die Infektionsanfälligkeit und Morbidität. Wir wissen, dass die Komplikationsrate von Menschen mit Mangelernährung etwa verdreifacht ist“, so der Experte.
„Durch eine individuell angepasste Ernährungstherapie können ungefähr 55.000 Todesfälle pro Jahr vermieden werden. Und trotz des Mehraufwands durch die Ernährungstherapie reduzieren sich die Gesamtbehandlungskosten deutlich. Etwa neun Milliarden Euro können pro Jahr Euro pro Jahr gespart werden, bezogen auf diesen Zeitraum sechs Monate nach Entlassung“, erklärte Pirlich.
„Eine systematische Erfassung und Behandlung von Mangelernährung hat eine enorme Wirkung. Aus unserer Sicht ist eine Behandlung von Mangelernährung nicht nur medizinisch und ökonomisch sinnvoll, sondern vor allem auch ethisch geboten“, stellte der Experte klar.
Gert Bischoff, Präsident der DGEM und Leitender Arzt am Zentrum für Ernährungsmedizin und Prävention in München, sprach von einem „Armutszeugnis“ für ein so reiches Land wie Deutschland. Spezielle Ernährungsteam einzusetzen, scheitere weder am Willen der Krankenhäuser oder am mangelnden Fachpersonal, sondern am Geld.
„Aktuell haben weniger als zehn Prozent der Krankenhäuer in Deutschland Ernährungsteams, die eine Mangelernährung sicher erkennen und behandeln können. Das ist eine echte Versorgungslücke“, so der Experte.
Es gebe aber auch einen „kleinen Hoffnungsschimmer“, so Bischoff. Qualitätsverträge nach Paragraf 110a Sozialgesetzbuch (SGB) V, die in Kooperation mit Krankenkassen umgesetzt werden könnten, ermöglichten es, die Patientenversorgung signifikant zu verbessern und ein Ernährungsteam zu finanzieren.
„Leider nutzen bisher nur wenige Kliniken diese Möglichkeit, da die strukturellen Voraussetzungen fehlen.“ Bischoff forderte daher, dass alle Krankenhäuser verpflichtend über qualifizierte Ernährungsteams verfügen sollten, um flächendeckend die Versorgung sicherzustellen.
Die DGEM sieht weitere Herausforderungen bei der Qualität der Krankenhausverpflegung, wie aus der Mitteilung weiter hervorgeht. Aktuell belaufen sich die täglichen Ausgaben für die Verpflegung eines Patienten demnach häufig lediglich auf fünf bis sechs Euro.
„Eine qualitativ hochwertige Ernährungsversorgung kann so kaum gewährleistet werden. Wir brauchen klare Verpflegungsstandards und eine solide finanzielle Grundlage für die Klinikkost“, sagte Bischoff.
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