Ärzteschaft

Migräne: Betroffene häufig nicht ausreichend versorgt

  • Freitag, 19. Januar 2024
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Berlin – Nur etwa vier Prozent der Personen mit Migräne erfahren durch eine entsprechende Therapie eine starke bis sehr starke Symptomlinderung und sind mit der Behandlung zufrieden. Das zeigte eine Auswertung des Praxisregisters Schmerz mit circa 16.000 Teilnehmenden, die Michael A. Überall, Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin (DGS), auf einer Pressekonferenz vorstellte.

Andersherum gaben fast 85 Prozent der Befragten an, dass die Behandlung mit keiner nennenswerten Besse­rung verbunden gewesen ist beziehungsweise den Akutschmerz nicht beeinflusst habe, so Überall weiter. Dabei handle es sich bei Migräne um die häufigste Kopfschmerzform und die häufigste neurologische Schmerzer­krankung in Deutschland, wie der Neurowissenschaftler erklärte.

Dennoch würden häufig nur die akuten Kopfschmerzattacken bekämpft. Diese Phasen seien allerdings „nur die Spitze des Eisbergs“, mahnte Überall. Die meisten Betroffenen erlebten davor und danach neurologische Ver­änderungen, die den Alltag beeinträchtigten – darunter Nackensteifigkeit, Müdigkeit oder eine Aura. Auslöser müssten stärker in den Blick genommen werden, um die Zahl der Migräneattacken zu reduzieren, mahnte er.

Die Analyse ergab weiterhin, dass die Betroffenen aufgrund ihrer Migräne an etwa zehn Tagen im Monat eine medikamentöse Akuttherapie nötigten. Aber nur gut ein Drittel (34,2 Prozent) erhielt eine medikamentöse Pro­phylaxe mit konventionellen Arzneimitteln hoher Evidenz und nur jede 10. Person eine spezifische Prophylaxe mit einem monoklonalen CGRP-Antikörper.

Etwa ein Viertel der Befragten (26,9 Prozent) wies zudem Zeichen einer relevanten Depression auf, wie Überall ausführte. Der Anteil der Betroffenen mit einer starken oder extremen Angstproblematik lag bei 37,5 Prozent. Suizidgedanken hatten etwa ein Viertel (25,6 Prozent) manchmal und etwa zehn Prozent sogar häufiger und konkret.

Die Ergebnisse des Migraine Disability Assessment (MIDAS) zeigten bei knapp neun von zehn Betroffenen (88,6 Prozent) eine starke beziehungsweise sehr starke migränebedingte Beeinträchtigung. Und das obwohl Überall zufolge in der meist mehrjährigen Krankengeschichte der Betroffenen (im Mittel 12,4 Jahre) bereits zahlreiche Ärzte unterschiedlicher Fachgruppen (im Mittel 5,9) konsultiert und viele sowie unterschiedliche Therapien versucht worden seien.

Dabei gehörten „Migränekopfschmerzen eigentlich zu den einfach zu diagnostizierenden, effektiv zu behandeln­den und mittlerweile auch gut vorzubeugenden chronischen Schmerzsyndromen“, betonte Überall. Die phäno­menologischen Klassifikationskriterien erforderten keinerlei Expertenwissen, die aktuell verfügbaren Pharma­kotherapien für die Akutbehandlung und Prophylaxe seien hocheffektiv und gut verträglich.

Menschen mit Migräne seien auch außerhalb akuter Attacken chronische Schmerzpatienten, hob DGS-Präsident Johannes Horlemann hervor. Die Lebensqualität leide darunter, wenn jemand etwa keinen Ausflug fürs Wochen­ende planen könne, weil eine Attacke dazwischenkommen könne: „Das Gehirn befindet sich im Daueralarm.“

Eine weiteres Schmerzsyndrom, das angesprochen wurde, ist der Rückenschmerz, an dem fast ein Drittel der Menschen in Deutschland (31,4 Prozent) leide, so Heinrich Binsfeld, ebenfalls DGS-Vizepräsident. Es sei wichtig, sowohl körperliche als auch psychische und soziale Faktoren zu berücksichtigen.

Rückenschmerzen würden auch im Mittelpunkt des Deutschen Schmerz- und Palliativtages im März stehen, wie die DGS ankündigte. Die schmerzmedizinische Versorgung betreffe jedoch viele gesundheitliche Felder und zahlreiche Erkrankte. So gebe es eine Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe, die etwa für Kopfschmerz-, Tumor- oder Endometriose-Patientinnen hilfreich sein könne.

kna/aks

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